OSZE zwischen den Fronten
23. Juni 2015Seit mehr als einem Jahr beherrscht der Konflikt im Osten der Ukraine die Weltnachrichten. Hunderte Journalisten berichten über Kämpfe und Flüchtlinge. Über eine russische Beteiligung an diesem Krieg wird wild spekuliert. Russische, ukrainische und internationale Medien zeichnen häufig vollkommen unterschiedliche Bilder von den Ereignissen. Vor Ort gibt es nur eine Instanz, die Neutralität für sich beanspruchen kann - die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz OSZE. Die knapp 400 OSZE-Beobachter können sich auf beiden Seiten der Frontlinie bewegen - ein Privileg, das die meisten Journalisten vor Ort nicht haben. Entsprechend hoch sind auch die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Berichte der OSZE-Mitarbeiter.
OSZE-Öffentlichkeitsarbeit: Offen, modern, vorsichtig
Darüber, wie schwierig es ist, diese hohen Erwartungen zu erfüllen, berichteten einige Vertreter der OSZE-Beobachtermission bei einem Workshop im Rahmen des Global Media Forums am Dienstag in Bonn. Und vor allen Dingen: Wie können und müssen sich internationale Organisationen auf den 24/7 Nachrichtenzyklus einstellen? Dass die OSZE in der modernen Medienwelt nicht als Dinosaurier wahrgenommen werden möchte, wird auch hier sehr schnell deutlich: Eine Sprecherin tweetet live von der Veranstaltung, Interviews mit Vertretern der Organisation werden im Anschluss live im Netz übertragen. "Wir lassen keine Gelegenheit aus, an die Öffentlichkeit zu gehen und über unsere Arbeit zu sprechen. Wir sind offen und wollen unsere Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen", betont der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, Alexander Hug.
Zwar drängt die OSZE mit ihren Inhalten immer offensiver ins Netz. Noch aber sind die Tweets von Journalisten, die vor Ort exklusiv recherchiert haben, wesentlich beliebter als die Berichte der OSZE-Beobachter. Besonderen Erfolg haben die Reporter mit penibel gesammelten Beweisen für eine russische Militärpräsenz in der Ostukraine. Dass die OSZE-Beobachter auch nach mehr als einem Jahr des Konfliktes in der Donbass-Region immer noch nicht eindeutig sagen können, dass russische Truppen in der Ostukraine präsent sind, bringt die Mission oft in Erklärungsnot: "Gibt es russische Truppen in der Ukraine - ja oder nein? Diese Frage höre ich sehr oft", sagt Alexander Hug. Aber sein Mandat erlaube ihm kein Urteil darüber. "Wir berichten über alles, was wir sehen: Personen in russischen Militäruniformen, mit russischen Hoheitsabzeichen und über ganz bestimmte Waffensysteme, die wir entsprechend klassifizieren und einordnen können. Aber die Schlüsse aus diesen einzelnen Berichten müssen Journalisten und Politiker selbst ziehen", so Hug.
"Wir können nur über das berichten, was wir sehen"
Auch Paul Picard wird häufig nach russischen Truppen in der Ostukraine gefragt. Der OSZE-Beobachter ist seit einem Jahr auf einem Grenzübergangspunkt in der umkämpften Region Donezk stationiert. "Wir berichten immer alles, was wir sehen. Oft sehen wir, wie Uniformierte die Grenze passieren. Einmal kam ein Krankenwagen des russischen Militärs über die Grenze und holte einen Verwundeten ab", erzählte Picard. Er unterstreicht aber: Nur zwei Grenzübergänge werden von OSZE-Beobachtern kontrolliert - entlang eines mehr als 400 Kilometer langen Grenzabschnitts zwischen der Ukraine und Russland, der von Kiews Truppen nicht kontrolliert wird. Eine Ausweitung des OSZE-Mandats auf andere Grenzübergänge wird von Russland blockiert. Auf mehreren Gernzabschnitten lassen die Rebellen die OSZE-Beobachter nicht näher als 10 Kilometer an die Grenze heran, beklagt die Mission.
"Wir erleben immer wieder, wie russische Medien unsere Aussagen manipulieren. Sie sagen, wir würden keine russischen Truppen über die Grenze gehen sehen. Aber das betrifft nur zwei konkrete Grenzübergänge. Wir wissen ja nicht, was auf den anderen passiert", sagt OSZE-Beobachter Paul Picard. Auch sein Wiener Kollege Frane Maroevic, Berater der OSZE-Medienbeauftragten, spricht über den Propagandakrieg um die Ostukraine, dem sich seine Organisation widersetzen will. "Propaganda tötet. In diesem Krieg wird Hass zwischen den Ukrainern und Russen gesät", kritisiert Maroevic. Immer wieder stellen OSZE-Beobachter fest, dass Geschichten von Journalisten einfach erfunden werden. "So berichtete das russische Staatsfernsehen neulich beispielsweise über ein getötetes Mädchen in Donezk, das nie existierte", so Maroevic. Er ist überzeugt: Propaganda kann nur mit Wahrheit begegnet werden - nicht mit Gegenpropaganda.
Um die Öffentlichkeit noch besser mit Informationen aus erster Hand zu versorgen, wagt die OSZE ein Experiment. Demnächst sollen mehrere Beobachter kleine Videokameras bekommen und ihre Einsätze filmen. Schließlich kommen die Beobachter an Orte, die Journalisten verschlossen sind. Die Videos sollen später ohne Kommentar im Netz veröffentlicht werden. Mit diesen Bildern können sich die Nutzer dann selbst ein Bild von der Lage machen.