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O'Sullivan: "Pausenknopf für Syrienpolitik"

Alois Berger11. September 2013

US-Präsident Obama hat in seiner Rede für den Krieg geworben - und gleichzeitig versucht, Zeit zu gewinnen, meint Geschichtsprofessor Donal O'Sullivan von der California State University im DW-Interview.

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Barack Obama auf einem Fernsehschirm. .Foto: EPA/CJ GUNTHER
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Professor O'Sullivan, im Kern hat Präsident Obama in seiner Rede an die US-Bürger um Unterstützung für einen Militärschlag in Syrien geworben und gleichzeitig einer diplomatischen Lösung den Vorrang gegeben. Waren Sie überrascht?

Donal O'Sullivan: Nein. Die Angelegenheiten hatten sich ja in den letzten 24 Stunden überschlagen. Das russische Angebot, dass Syrien seine Chemiewaffen abgeben würde, hat im Grunde alles durcheinander gebracht. Obama war eigentlich angetreten, das amerikanische Volk und den Kongress von der Notwendigkeit militärischer Schläge zu überzeugen. Und jetzt ist praktisch der Pausenknopf gedrückt worden kurz vor der Rede. Das heißt, der Zweck der Rede war plötzlich ein anderer. Jetzt sollte der US-Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass man moralisch reagieren muss, dass man gezwungen ist, irgendetwas zu tun.

Wohin tendiert Barack Obama, zum Militärschlag oder zur diplomatischen Lösung?

Er will sicherlich Zeit gewinnen. Denn im Kongress wäre die Gefahr groß, dass eine Abstimmung über militärische Schläge negativ ausfallen würde. Und er weiß, dass die amerikanische Bevölkerung kriegsmüde ist. Auch wenn jeder den Einsatz von Chemiewaffen abscheulich findet, ist doch die Bereitschaft gering, sich militärisch zu engagieren. Für die meisten Amerikaner ist der Nahe Osten ein Knäuel von völlig wirren und zerstrittenen Fraktionen, wo keiner erklären kann, wem ein Militärschlag nützen würde. Einige Radiokommentatoren werfen zudem die Frage auf, warum man eigentlich die 1400 Toten eines Chemiewaffen-Einsatzes höher einschätzt als die 100.000 Toten, die bisher im syrischen Bürgerkrieg durch konventionelle Waffen gestorben sind. Warum müssen wir uns da einmischen?

An wen war diese Rede wirklich gerichtet: An die Bürger, die kriegsmüde sind, an die Politiker im Kongress, die Obama überzeugen muss, oder ans Ausland?

Die Rede war im Wesentlichen ans Inland gerichtet. Obama hat sich in eine schwierige Ecke manövriert, indem er gesagt hat, dass in Syrien nicht eingegriffen wird, solange dort keine Chemiewaffen eingesetzt werden. Das wäre die rote Linie. Jetzt ist diese rote Linie überschritten und jetzt muss etwas getan werden. Aber weder der Kongress, noch die Bevölkerung sind auf seiner Seite. Da sind die Zauderer in der Überzahl und auch jene, die sagen: jetzt reicht's, wir führen immer noch Kriege, wir wissen nicht, was aus dem Iran wird. Ich glaube, die grundsätzliche Bereitschaft zu Militärschlägen ist gering und da hat auch die Rede nichts geändert.

Der US-Präsident hat in seiner Rede betont, gegenüber Syrien seien nach wie vor alle Optionen offen. Auch ein Angriff sei möglich. Was passiert, wenn Syrien nun auf Zeit spielt und die Vernichtung der Chemiewaffen verschleppt?

Es ist nun ganz eindeutig so, dass Russland und Syrien gar kein Interesse haben, die Chemiewaffen unschädlich zu machen. Man müsste das ja nicht nur überprüfen, sondern auch verhindern, dass wieder neue Chemiewaffen produziert werden. Das heißt, es müssten dauerhaft Inspektoren in Syrien stationiert werden, die dann auch militärisch geschützt werden müssten. Es ist ja in Syrien ein Bürgerkrieg im Gange. Wenn man die Überprüfung also wirklich durchführen will, dann muss man auch Militärpersonal schicken. Und da hat Russland ja schon signalisiert, dass es damit überhaupt nicht einverstanden ist. Syrien will mit seiner Strategie verhindern, dass Amerika eingreift und hat mit Russland einen stabilen Verbündeten bei dieser Strategie.

Haben Sie aus der Rede von Barack Obama heraushören können, wie groß sein Vertrauen in die Vermittlung des russischen Präsidenten tatsächlich ist?

Ich glaube nicht, dass sein Vertrauen in Putin sehr groß ist. Aber er weiß, dass der Kongress im Moment einer militärischen Aktion nicht zustimmen wird und da nützt es allen Seiten, ein wenig Zeit zu gewinnen – außer natürlich der syrischen Bevölkerung. Aber den beteiligten Politikern, den beteiligten Großmächten, die zerstritten sind, denen nützt es, jetzt den Pausenknopf zu drücken, sich in Genf zu treffen und ein wenig zu reden, was man jetzt weiter macht. Im Grunde geht es ja gar nicht darum, den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, sondern nur darum, aus dieser verworrenen Lage herauszukommen, in die die Diplomatie sich selbst gebracht hat .

War in der Rede von Präsident Obama auch Erleichterung zu spüren, dass die militärische Auseinandersetzung mit Syrien doch noch vermeidbar ist?

Ich glaube nicht. Ich glaube, Präsident Obama weiß genau, dass sein Prestige auch auf dem Spiel steht. Wenn er jetzt erklärt, dass er Militärschläge will und wenn dann viel Zeit vergeht und nichts passiert, dann wird er sicher noch einmal vor die Öffentlichkeit treten und versuchen zu begründen, warum er nichts getan hat und warum jetzt etwas zu tun sein soll. Er ist da keineswegs aus der Bredouille. Ich denke, auch die Frage von Militärschlägen ist noch keineswegs vom Tisch. Bisher war es ja immer so, dass amerikanische Präsidenten immer dann vor die Presse getreten sind, wenn bereits Militärschläge erfolgt sind. Obama ist einer der wenigen, der vorher die Bevölkerung informiert und um Rat fragt und um Zustimmung bittet. Die meisten Präsidenten vor ihm haben erst gehandelt und dann die Bevölkerung um Zustimmung gebeten und meist auch bekommen, weil die Bevölkerung stets auf der Seite der Truppen steht und ihnen nicht in den Rücken fallen will.

Donal O'Sullivan lehrt Geschichte an der California State University Northridge, USA.