Therapie für Pädophile
2. September 2009Der Bildschirm ist weiß. Ein kleiner schwarzer Mauszeiger wandert in die Bildmitte, ein Klick, der obere Rand eines Fotos rollt auf: Ein Männergesicht, daneben Kopf und Hals eines Jungen, eine Männerhand im Nacken. "Haben Sie den Wunsch, im Internet Kinderpornographie anzuklicken?", fragt eine Stimme aus dem Hintergrund. "Dieser Wunsch ist kein Missbrauch. Aber das Anklicken ist Missbrauch!"
Provokativ wirkt der Anfang des Filmspots, mit dem das Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Berlin seit Ende Juni pädophile Männer für eine Therapie gewinnen will. Vor allem zielgerichtet sei er, findet Institutsdirektor Professor Klaus Michael Beier. Wer betroffen ist, verstehe die Botschaft sehr genau: Im 'Projekt zur präventiven Behandlung von Kinderpornografienutzern' wird nicht vorschnell entlastet, aber auch nicht vorschnell verurteilt.
Das Leiden der Täter
Fakt sei, so Beier, dass es diese Gruppe von pädophilen Männern gibt, für die der Anreiz besonders hoch ist, sich kinderpornografisches Material anzusehen. "Wie bei einem sexuell auf Frauen gerichteten Mann eben Nacktbilder von Frauen von Interesse sind, so sind das bei Männern mit pädophiler Neigung kindliche Körper, in Interaktion mit anderen Kindern oder mit Erwachsenen." Fakt sei aber auch, dass viele Pädophile selbst unter ihrer Neigung leiden und versuchen, ihr Verhalten so zu kontrollieren, dass sie weder sexuell übergriffig werden noch Kinderpornografie nutzen. "Denjenigen, die sich dabei helfen lassen möchten", verspricht Beier, "denen können wir helfen!"
Bereits seit 2005 arbeiten Beier und seine Mitarbeiter am Institut für Sexualmedizin mit pädophilen Männern, erforschen Ursachen und Ausprägungsformen der Pädophilie. Unter den Männern, die direkte sexuelle Übergriffe auf Kinder begehen - die Polizeistatistik zählt rund 20.000 solcher Fälle jährlich - stellen Pädophile den Berliner Sexualmedizinern zufolge nur eine Minderheit dar. Im Bereich Kinderpornografie dagegen, sagt Beier, wiesen die meisten Nutzer pädophile Neigungen auf. "Es ist ein Indikator für eine pädophile Neigung, wenn man in größerem Umfang diese Bilder sammelt, speichert und tauscht."
Sexuelle Störung mit unklarer Ursache
Welche Faktoren dazu führen, eine Pädophilie auszubilden, ist noch nahezu unbekannt. Genauso unbekannt übrigens, sagt Beier, wie auch die Gründe für Hetero- oder Homosexualität. Derzeit gehen Sexualwissenschaftler davon aus, dass sich die sexuellen Präferenzstrukturen eines jeden Menschen in der Pubertät manifestieren. "Also auf welches Geschlecht bin ich orientiert, wie soll das Entwicklungsalter des begehrten Partners sein und welche Interaktionen sollen mit dem Partner laufen. Da sind alle Kombinationen möglich."
Konsens in der Forschung ist auch, dass sowohl individuelle psychische und biologische Voraussetzungen als auch bestimmte soziale Umstände im Jugendalter die jeweilige sexuelle Ausrichtung prägen. Und dass Hormone eine entscheidende Rolle spielen, Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin, die im Gehirn Emotionen und Erregung verschalten sowie deren Rezeptoren. "Wir wissen, es gibt individuelle Unterschiede, entweder weil der Neurotransmitter in einer besonderen Dosierung vorliegt oder die Rezeptoren unterschiedlich ansprechbar sind."
Therapieziel: vollständige Verhaltenskontrolle
Ihre Neigung könne man Pädophilen nicht vorwerfen, betont Klaus Michael Beier. Sehr wohl jedoch tragen sie Verantwortung für ihr Verhalten. Lebenslang besteht die Verpflichtung, ihre auf den kindlichen Körper gerichteten sexuellen Impulse so zu kontrollieren, dass es weder zur Nutzung von Kinderpornografie noch zu direktem Missbrauch kommt. Hier sei die Schnittstelle zwischen Forschung und Therapie. "Wenn jemand eine pädophile Neigung hat und damit sexuelle Impulse, die sich auf Minderjährige richten", erläutert Therapeutin Janina Neutze den Ansatz des Instituts, "dann interessiert uns die Frage: Wie gelingt es Männern, die von dieser Neigung betroffen sind, diese auf der Fantasieebene zu belassen und wie unterscheiden sie sich von denen, bei denen es auf die Verhaltensebene drängt."
Das Leiden der Opfer
Zur Zeit arbeiten die Sexualmediziner der Charité zum einen mit Medikamenten, die sexuelle Impulse dämpfen. Zum anderen mit verhaltenstherapeutischen Methoden, mit denen vor allem die Fähigkeit trainiert wird, eigene Handlungen aus der Perspektive eines Kindes zu sehen. Denn bei vielen Männern, die sie betreut, sagt Janina Neutze, gebe es eine irrige Verkennung der Wirklichkeit. "Nehmen wir das Beispiel Kinderpornografie. Da wird aus der sexuellen Erregung heraus oftmals der ängstliche Gesichtsausdruck eines Kindes missinterpretiert als neugierig." Unbefangenes Verhalten eines Kindes werde missinterpretiert als sexuelles Aufforderungsverhalten. Das sei so eine Art rosa Brille, versucht Neutze zu erklären. "Eine verzerrte Wahrnehmung der Realität und die wollen wir therapeutisch entzerren."
Hilfe für Täter ist Schutz für Opfer
Schon in den ersten zwei Wochen nach Projektstart meldeten sich 15 Männer über die geschaltete Telefon-Hotline. 24 Therapieplätze gibt es insgesamt, therapiert wird nur, wer juristisch noch nicht auffällig geworden ist. Die Männer kommen aus ganz Deutschland, aus allen gesellschaftlichen Schichten und sozialen Milieus. "Je mehr Empathie, also Einfühlungsvermögen in potenzielle Missbrauchsopfer sie entwickelt haben werden, desto besser werden sie ihr Sexualverhalten kontrollieren können", so Janina Neutze. Ergebnisse früherer Studien des Instituts bestätigten, dass es gelingt, Opfer-Empathie und Perspektivenübernahme therapeutisch so zu beeinflussen, dass das Risiko für einen Übergriff gesenkt wird. "Wir wissen, dass es uns damit schon gelungen ist, ganz konkret sexuelle Übergriffe zu verhindern", versichert Janine Neutze.
Autorin: Lydia Heller
Redaktion: Judith Hartl