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Die Palästinenser und die Gerichtsbarkeit

Diana Hodali31. März 2015

Die Palästinenser sind ab sofort vollwertiges Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Doch ob es wirklich zu Anklagen gegen Israel kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.

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Palästinensischer Junge bei einer Demo vor dem UN-Sitz in Ramallah (Foto: AFP)
Bild: AFP/Getty Images/A. Momani

Anfang März kamen die Mitglieder des Zentralrats der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zusammen, um über den weiteren Umgang mit der israelischen Regierung zu beraten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas erhielt das Mandat, die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel aufzukündigen. Außerdem erhielt er Rückhalt für alle weiteren Schritte, um den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bei seiner Arbeit in den palästinensischen Gebieten zu unterstützen. Es war wichtig für Mahmud Abbas, eine Organisation wie die PLO im Rücken zu wissen, die für sich beansprucht, für alle Palästinenser zu sprechen. Den Prozess zum Beitritt zum IStGH hatte Abbas einige Wochen vorher bereits in Gang gesetzt.

Es war am Silvesterabend 2014, als der Palästinenserpräsident die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH durch Palästina erklärte. Zwei Tage später legte er das unterzeichnete Ratifizierungsdokument, das sogenannte Römische Statut, den Vereinten Nationen vor, erkannte dessen Zuständigkeit rückwirkend zum 13. Juni 2014 an und setzte damit den Beitrittsprozess Palästinas zum IStGH in Gang. Dieser wird jetzt am 1. April abgeschlossen. Ab sofort ist Palästina ein vollwertiges Mitglied beim Internationalen Strafgerichtshof, der geschaffen wurde, um Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen.

Israel gegen den Beitritt

Israel reagierte scharf auf die Initiative von Abbas. Außenminister Avigdor Lieberman stornierte die Überweisung von Steuergeldern, die der Palästinenserbehörde eigentlich zustehen. "Aus israelischer Sicht war das eine einseitige Handlungsweise. Die Palästinenser sehen sich hingegen zu einem Gang zur UNO genötigt, weil die bilateralen Verhandlungen bisher immer gescheitert sind", sagt Margret Johannsen, Konfliktforscherin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Auch Israels Verbündeter, die USA, bezeichneten das Vorgehen als kontraproduktiv. Einige Kongressabgeordnete forderten die Kürzung von Hilfsgeldern für die Palästinenser.

Doch davon haben sich die Palästinenser in ihren Bestrebungen nicht abhalten lassen: Palästina versuche über die Vereinten Nationen sein Profil als Staat öffentlich bestätigen zu lassen, sagt Nahost-Expertin Margret Johannsen. "Es kommt weniger darauf an, ob letztlich jemand verurteilt wird. Es kommt darauf an, dass Kriegsverbrechen aufgearbeitet werden." Der IStGH hat nun die gerichtliche Zuständigkeit für Verbrechen, die auf palästinensischem Territorium oder von Palästinensern seit dem 13. Juni begangen wurden. Chefanklägerin Fatou Bensouda sammelt seit Mitte Januar Informationen zur Lage in den palästinensischen Gebieten - auf der Webseite gibt es Informationen über den Ablauf der so genannten "Vorläufigen Untersuchungen zu Palästina".

"Verschiedene Gruppen, wie zum Beispiel Menschenrechtsorganisationen, werden dazu aufgerufen, ihre Berichte zur Lage der Palästinenser einzureichen", sagt Valentina Azarov, die an der Birzeit-Universität in Ramallah Internationales Recht mit dem Schwerpunkt Menschenrechte lehrt. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat derweil ein Komitee eingesetzt, das die Anliegen der Palästinenser beim Internationalen Strafgerichtshof verfolgen soll. Das von Chefunterhändler Saeb Erekat geleitete Gremium soll unter anderem Dokumente für den Strafgerichtshof sammeln und weiterleiten, damit Untersuchungen in Gang gesetzt werden können.

Kommt es zu Anklagen?

Doch ob es in Zukunft wirklich zu Prozessen gegen israelische Soldaten, Politiker oder gegen bewaffnete Palästinensergruppen kommt, ist ungewiss. Denn während der vorläufigen Untersuchungen wird sich herausstellen, ob die nötigen Kriterien dafür überhaupt erfüllt werden. Eine der größten Herausforderungen werde es sein, ob Israel mit dem IStGH kooperiert und Zugriff auf nötige Informationen erlaubt, erklärt Valentina Azarov. Das hat Israel aber bereits ausgeschlossen. "Außerdem wird man danach schauen, wie die verschiedenen palästinensischen Institutionen mit Menschenrechtsverstößen in ihren Gebieten umgehen", sagt sie.

Dabei wird es auch darum gehen, ob die Einheitsregierung, die im April 2014 gebildet wurde, im Stande sein wird, alle nötigen Informationen zusammen zu tragen. Informationen, die auch palästinensische Parteien und Gruppen betreffen, die nicht Teil der Einheitsregierung sind. Die Hamas ist zwar Teil der Einheitsregierung, aber in dem von ihr kontrollierten Gazastreifen operieren viele Gruppen völlig autark. Nur wenn die nötigen Informationen beschafft werden können, können auch Untersuchungen eingeleitet werden. Diese wünschen sich die Palästinenser für den israelischen Siedlungsbau, der ein Hindernis für den Frieden darstellt. Und auch die Ereignisse im Gaza-Krieg 2014 sollen untersucht werden.

Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (Foto: DPA)
Der IStGH ist jetzt auch für die Palästinenser tätigBild: picture-alliance/dpa

Innerpalästinensische Ziele

Der Beitritt der Palästinenser zum IStGH und die möglichen Anklagen haben nicht nur Auswirkungen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Auch innerpalästinensisch könnten die verschiedenen Parteien ihren Nutzen daraus ziehen.

Die radikalislamische Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, unterstützt das Vorgehen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Das Risiko, dass sie selbst ins Fadenkreuz gerät, geht sie erklärtermaßen ein. "Es ist sogar denkbar, dass die Hamas in diesem Risiko auch die Möglichkeit sieht, sich ihrerseits gegenüber ihren radikaleren Konkurrenten im Gazastreifen zu behaupten", sagt Nahost-Expertin Margret Johannsen. Da in den Augen vieler Palästinenser die palästinensischen Milizen den vergangenen Gaza-Krieg gewonnen haben, "wolle Mahmud Abbas als gemäßigter Palästinenser Flagge zeigen", so Margret Johannsen.

Valentina Azarov unterstreicht aber noch einen weiteren Aspekt, der durch mögliche Untersuchungen zu Kriegsverbrechen ins Spiel kommt: "Drittstaaten könnten ihr Verhalten dadurch in Zukunft ändern." Wenn es zu offiziellen Ermittlungen seitens des IStGH komme, dann wären Staaten und auch Institutionen schneller gezwungen, Konsequenzen zu ziehen. Sie sieht darin aber auch eine Chance, ein Ende der Gewaltspirale einzuleiten. Man wolle auf Dauer mit dieser Strafgerichtsbarkeit vor Kriegsverbrechen abschrecken. Beide Seiten müssten so ihr Verhalten überdenken. Israel hat bereits angekündigt, die einbehaltenen Steuern für die Palästinenser wieder freizugeben.