Palästinenser stellen Gegenforderungen
1. Juli 2006Israel solle nicht nur sämtliche Anführer der verschiedenen palästinensischen Gruppierungen freilassen, sondern auch alle älteren und alle kranken Gefangenen, verlangten am Samstag (1.7.2006) die drei Palästinensergruppen, die sich zur Entführung des 19-jährigen israelischen Soldaten bekannt hatten. Die drei palästinensischen Gruppierungen ließen offen, ob Gilad Schalit freikommt, wenn Israel ihre Forderung erfüllt. Für Informationen zu dem Entführten müsse Israel zunächst alle weiblichen und minderjährigen palästinensischen Gefangenen freilassen, bekräftigten sie in der Erklärung. Darin fordern sie zudem ein Ende der israelischen Militäroffensive im Süden des Gazastreifens.
Neue Drohungen aus Israel
Israel flog in der Nacht zum Samstag Luftangriffe auf Straßen im mittleren und nördlichen Teil des Gazastreifens. Damit sollte nach Armeeangaben die Bewegungsfreiheit von militanten Palästinensern eingeschränkt werden. Mutmaßliche Abschussstellungen für Kassam-Raketen seien mit Artilleriefeuer belegt worden.
Die israelische Regierung lehnte Verhandlungen mit den Kidnappern erneut ab. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums forderte am Samstag die bedingungslose Freilassung des Soldaten. Andernfalls werde Israel selbst für seine Heimkehr sorgen.
Unterdessen erhielt die Palästinenserführung in Ramallah ein Lebenszeichen des Israelis, der verletzt sei, sich aber in stabiler gesundheitlicher Verfassung befinde. Ein palästinensischer Arzt habe den Entführten besucht, sagte der Vizeminister für Gefangenenangelegenheiten, Siad Abu Ain.
EU fordert Ende der Offensive
Die Europäische Union forderte von Israel die unverzügliche Freilassung der Hamas-Politiker sowie einen Stopp der Bombardierungen wichtiger Versorgungseinrichtungen in den Palästinensergebieten. Der amtierende EU-Ratspräsidenten, der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen, äußerte sich "sehr besorgt" über die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten. "Der einzige Weg, den Konflikt zu lösen, ist die Rückkehr an den Verhandlungstisch", sagte er in einem Gespräch mit der Zeitung "Die Welt". Er rief beide Seiten zur Mäßigung auf. Israel müsse seine Offensive einstellen, die Palästinenser müssten den entführten
Soldaten freilassen.
Schlagabtausch im Weltsicherheitsrat
In einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrats lieferten sich Vertreter Israels und der Palästinenser unterdessen einen heftigen Schlagabtausch. Der palästinensische UN-Beobachter Rijad Mansur wiederholte Vorwürfe an Israel, schon vor Schalits Verschleppung eine Großoffensive im Gazastreifen geplant zu haben, um die jüngste Einigung über die Zukunft der Autonomiegebiete zwischen Fatah und Hamas zu torpedieren. Israels Ziel sei der Kollaps der Autonomieregierung, damit es ungehindert einseitige Schritte verfolgen könne.
Der israelische UN-Gesandte Daniel Carmon entgegnete, Israel habe auf die Entführung Schalits reagiert, nachdem es sich wochenlang trotz wiederholten Raketenbeschusses auf sein Territorium und versuchter Entführungen zurückgehalten habe. Gaza habe sich zu einer "Terrorbasis" entwickelt, die von der Hamas-Regierung aktiv unterstützt werde, hielt er den Palästinensern vor.
Mansur rief den Sicherheitsrat auf, die israelische Offensive zu verurteilen und die Freilassung Dutzender festgenommener palästinensischer Politiker zu fordern. Zahlreiche Sprecher riefen zu einem Ende der israelischen Militäraktion auf, zu einer Resolution entschloss sich das Gremium am Freitagabend jedoch nicht.
Drei Bekenner-Gruppen
Schalit war am vergangenen Sonntag nach einem Angriff auf einen israelischen Grenzposten im Süden des Gazastreifens entführt worden. Zu seiner Entführung bekannten sich die radikalen Essedin-el-Kassam-Brigaden, die Volkswiderstandskomitees sowie eine bisher ungekannte Gruppierung Armee des Islam.
Auf der Suche nach dem Entführten war die israelische Armee am Mittwoch in den Süden des Gazastreifens eingerückt. Einen Tag später nahm sie mehr als 60 ranghohe Hamas-Politiker, darunter auch mehrere Minister, fest. Gleichzeitig verzichtete sie auf die geplante Ausweitung ihrer Bodenoffensive auf den dichtbesiedelten Norden des Palästinensergebiets, nach offiziellen Angaben, um Ägypten mehr Zeit für seine Vermittlungsbemühungen zu geben. (kas)