Palästinenser vor der Pleite
11. April 2006Die EU-Kommission hat bereits am vergangenen Freitag (7.4.) alle Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde eingestellt, und dabei soll es vorerst auch bleiben. Das haben die EU-Außenminister am Montag (10.4.06) beschlossen. Rund 30 Millionen Euro werden jetzt erst mal eingefroren. In den kommenden Wochen wollen die EU-Außenminister aber einen Weg finden, wie man der Hamas-Regierung Geld vorenthalten, den Palästinensern aber weiter humanitär helfen kann.
Die EU ist mit rund 500 Millionen Euro im Jahr größter Geldgeber der Palästinenser. Seit dem Wahlsieg der Hamas haben die Europäer aber bereits mehrmals erklärt, die Finanzhilfe könne nur fortgesetzt werden, wenn die Bewegung sich von der Gewalt lossage, Israel anerkenne und die bisher erzielten Abkommen im Friedensprozess akzeptiere.
Loch nicht nur im Hamas-Haushalt
Rund 280 Millionen Euro erhielt die Palästinensische Autonomiebehörde im vergangenen Jahr von der EU-Kommission. In diesem Jahr wurden bereits rund 121 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese geplanten Zahlungen fehlen jetzt aber im Hamas-Haushalt und somit auch das Geld für die Bezahlung der Staatsbediensteten. Die Autonomiebehörde ist der größter Arbeitgeber Palästinas, sagt Martin Beck vom Deutschen Orient-Institut in Hamburg. 130.000 Menschen seien so von einem Wegfall der EU-Finanzhilfen betroffen, berichtet auch Basem Ezbidi, Politik-Professor an der Birzeit Universität in der Westbank. Dabei handelt es sich nicht nur um Verwaltungsangestellte, sondern auch um Lehrer, Ärzte und Polizisten. Wie lange sie noch Lohn bekommen, sei unklar. "In fast jeder Familie hier ist der Versorger beim Staat angestellt. Der Wegfall der EU-Gelder trifft somit die ganze Bevölkerung. Die EU muss versuchen anders mit der Hamas umzugehen", fordert Ezbidi.
EU-Aktion als Strafe
Diese Meinung teilt auch die palästinensische Bevölkerung. Sie seien sauer und wütend auf die EU, sagt Ezbidi. "Für sie sieht es so aus, als wolle man sie dafür bestrafen, dass sie Hamas gewählt haben." Dabei sei die Hamas-geführte Regierung aus einer demokratischen Wahl hervorgegangen, der Eingriff der EU und das Stellen der Ultimaten hingegen, sei für sie jetzt alles andere als demokratisch.
"Eine Fortführung der Zahlungen wäre das falsche Signal", sagt dagegen Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament und CDU-Europa-Abgeordneter. Der europäische Steuerzahler könne keine Regierung finanzieren, die dem Friedensprozess entgegen stehe. Nicht von dem Zahlstopp betroffen ist allerdings die deutsche bilaterale Hilfe. Diese wird vor allem an kommunale Behörden gezahlt.
Humanitäre Hilfe soll fortgesetzt werden
Die EU-Außenminister haben sich darauf geeinigt, nur für Grundbedürfnisse wie die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Strom weiter zu zahlen. "Die Hamas muss getroffen werden, nicht die Bevölkerung", sagt auch Brok. Deshalb sollen auch die Gelder für die Hilfswerke der Vereinten Nationen witer fließen. Im vergangenen Jahr waren das für das Flüchtlingshilfswerk UNRWA rund 64 Millionen Euro.
"Aber eine Schule oder ein Krankenhaus muss nicht der Staat betreiben, weshalb ich hoffe, dass wir bessere Wege finden, als die Zahlungen einfach einzustellen", sagt auch Brok. Finanzspritzen könnten so auch an andere Regierungskreise überwiesen werden, denkt Ezbidi. Seine Forderung: "Die Europäer sollten hier ganz klar unterscheiden". Darauf setzt auch EU-Parlamentarier Brok. Er möchte die Spielräume von Palästinenser Präsident Mahmud Abbas weiter ausloten und gegebenenfalls nutzen.
Unterstützung für die Bevölkerung könnte auch über zahlreiche andere Nichtregierungsorganisationen erfolgen, sagt Beck. "Kein Land der Welt hat so ein engmaschiges Netz an internationalen Hilfsorganisationen und NGOs wie Palästina." Gezielte Zahlungen an diese Einrichtungen für humanitäre Zwecke seien seiner Meinung nach machbar. Bisher werden diese aber nur von wenigen Palästinensern genutzt, sagt Ezbidi. Die große Mehrheit sei dagegen auf die Fortzahlung ihrer Gehälter angewiesen.
Druckmittel scheint zu wirken
Der finanzielle Druck, den die EU auf die Hamas ausübt, scheint hingegen eine erste Wirkung zu zeigen. "Zumindest wird ja schon offiziell darüber diskutiert, die Zwei-Staaten-Lösung anzuerkennen", sagt Beck. Auch die Hamas wolle die Bevölkerung zufrieden stellen und ohne Geld gehe das nicht. Dass sich die Regierung dafür nach neuen Geldgebern wie dem Iran oder Saudi-Arabien umsieht, hält Ezbidi für unwahrscheinlich. "Ihre Zahlungen wären dabei gar nicht ausreichend und keine wirkliche Unterstützung für die Regierung. Diese Länder haben schließlich selbst genug Probleme."
Öffentliche Ordnung gefährdet
Dem Ansehen der Hamas-geführten Regierung habe der Zahlstopp bisher nicht geschadet, sagt Ezbidi. "Im Gegenteil, die finanziellen Sorgen der Menschen fördern die radikalen Hamas-Ansichten sogar noch."
Wie lange weite Teile der Bevölkerung aber auf ihr Einkommen verzichten würde und den Kurs der Hamas unterstützen, ist unklar. Auf lange Sicht könne die Hamas so definitiv nicht weiter machen und auch die EU riskiere eine gefährliche Entwicklung, denkt Beck. "Wenn die Polizisten nicht mehr bezahlt werden, kann auch die öffentliche Ordnung ganz schnell zusammenbrechen."