Papst-Aussage zu Ukraine-Krieg stößt auf viel Widerspruch
11. März 2024Die Ukraine hat Überlegungen von Papst Franziskus zurückgewiesen, das Land solle erwägen, im Krieg mit Russland eine "weiße Fahne" zu hissen. "Unsere Flagge ist gelb und blau", schrieb Außenminister Dmytro Kuleba auf seinem Social-Media-Account und bezog sich dabei auf die Farben der Nationalflagge. "Dies ist die Flagge, unter der wir leben, sterben und siegen. Wir werden niemals eine andere Flagge hissen."
Franziskus solle sich "auf die Seite des Guten" stellen und die Kriegsparteien "nicht auf die gleiche Ebene stellen und das dann 'Verhandlungen' nennen". Die "weiße Fahne" gilt in Kriegszeiten seit Jahrhunderten das Zeichen der Kapitulation, also der kampflosen Aufgabe des Militärs gegenüber feindlichen Truppen.
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies den umstrittenen Appell des Papstes zu Friedensgesprächen zurück. Die Kirche sei bei den Menschen, sagt Selenskyj in seiner aktuellen Videoansprache. "Und nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will."
Er fügte hinzu: "Als das russische Böse am 24. Februar (2022) diesen Krieg begann, standen alle Ukrainer auf, um sich zu verteidigen. Christen, Muslime, Juden - alle." Und Selenskyj danke jedem ukrainischen Geistlichen, der in der Armee sei. Sie stünden an der vordersten Front, sie schützten das Leben und die Menschlichkeit, sie unterstützten mit Gebeten, Gesprächen und Taten.
Russland: Papst bestätigt unsere Sicht der Dinge
Russland sieht in dem Vorstoß von Franziskus eine Bestätigung der eigenen Haltung. "So wie ich es sehe, bittet der Papst den Westen, seine Ambitionen beiseitezulegen und zuzugeben, dass er falsch lag", sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Der Westen benutze die Ukraine, um Russland zu schwächen, so Sacharowa. Russland habe nie Verhandlungen blockiert.
Auslöser der zahlreichen Reaktionen ist ein Interview, das der Papst dem Schweizer Sender RSI gegeben hat. Es wurde bereits im Februar geführt, aber erst am Samstag veröffentlicht. Darin ermutigt der Papst die Ukraine, den Mut zu haben, eine "weiße Fahne" zu hissen und mit Russland über ein Ende des Krieges zu verhandeln. Er denke, "dass der Stärkste derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt, den Mut der weißen Fahne hat und verhandelt", hatte Franziskus gesagt. "Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln." Der 87-Jährige fügte hinzu: "Schämt euch nicht zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird."
Vatikan-Sprecher Matteo Bruni erklärte später, Franziskus habe das Bild von der "weißen Fahne" aufgegriffen, um zwei Punkte zu bezeichnen: "eine Einstellung der Feindseligkeiten" und "einen Waffenstillstand, der mit dem Mut zur Verhandlung erreicht wurde". Franziskus wünsche sich vor allem eine "diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden". An anderer Stelle des Interviews habe der Papst klargemacht, dass eine Verhandlung "niemals eine Kapitulation" sei. so sein Sprecher.
Entschiedener Widerspruch aus Osteuropa und Deutschland
Auch Polen kritisierte Franziskus. "Wie wäre es, wenn wir Putin zum Ausgleich ermutigen würden, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen", ließ Außenminister Radoslaw Sikorski verlauten. "Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlungen nötig wären." Der lettische Präsident Edgars Rinkevics machte deutlich, man müsse das Böse bekämpfen und besiegen, damit das Böse die weiße Fahne hisse und kapituliere.
Auch in Deutschland stießen die Äußerungen des Papstes auf scharfe Kritik. Außenministerin Annalena Baerbock reagierte entgeistert auf den Appell des Papstes. "Ich frage mich wirklich, was er sich dabei gedacht hat", sagte die Grünen-Politikerin dem Sender ARD. Man müsse den Mut haben, an der Seite der Menschen in der Ukraine zu stehen und alles für die Ukraine zu tun, dass sie sich verteidigen könne. Wenn es eine minimale Chance gebe, dass die russische Seite Gesprächsbereitschaft zeige, "dann wäre die ganze Welt da und würde reden. Nur leider sehen wir jeden Tag das Gegenteil."
Empört reagierte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. "Bevor die ukrainischen Opfer die weiße Flagge hissen, sollte der Papst laut und unüberhörbar die brutalen russischen Täter auffordern, ihre Piraten-Fahne - das Symbol für den Tod und den Satan - einzuholen", sagte sie der Funke-Mediengruppe.
"Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine", sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Auf Distanz ging auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter: "Unglaublich, das Oberhaupt der katholischen Kirche stellt sich auf die Seite des Aggressors", schrieb der Christdemokrat auf seinem Social-Media-Account. Der Papst liefere damit Russlands Präsident Wladimir Putin eine "Blaupause für weiteres Vorgehen".
Kretschmer bestärkt den Papst
Dagegen stellte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hinter Papst Franziskus. "Seinen Aufruf 'Mut zu Verhandlungen' teile ich", sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei klar, dass die Ukraine unterstützt werden müsse und Russland der Aggressor in diesem Krieg sei. "Dennoch müssen wir uns mehr anstrengen, das Sterben im Krieg zu beenden", betonte Kretschmer. Er forderte die europäische Gemeinschaft dazu auf, einen Waffenstillstand anzustreben.
Die Ukraine gerät im Krieg gegen Russland zunehmend unter Druck. Den ukrainischen Soldaten an der Front mangelt es an Munition - unter anderem wegen der Verzögerung weiterer Militärhilfe aus den USA. Russland dagegen konnte zuletzt neue Gebiete unter seine Kontrolle bringen, darunter die hart umkämpfte Stadt Awdijiwka.
kle/AR (rtr, afp, kna, epd, dpa)