Papstbesuch im Zeichen der Proteste
21. Juli 2013Seit mehr als einer Woche vergeht kein Tag ohne Proteste. Nach den gewaltsamen Ausschreitungen in Rios Nobelviertel Leblon kündigte nun die brasilianische Militärpolizei an, ihre Sicherheitsstrategie zu überdenken.
"Alle sind nervös, denn Brasilien hat sich verändert und keiner weiß, wohin das Land steuert", erklärt der Vatikanspezialist und Journalist Luiz Paulo Horta im Gespräch mit der Deutschen Welle. Es sei gut möglich, dass Demonstranten die Bühne des Weltjugendtags politisch missbrauchen wollten, so Horta, der Mitglied der angesehenen brasilianischen Akademie für Literatur sowie der Kulturkommission der Erzdiözese von Rio de Janeiro ist.
Brasiliens Militärpolizei hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie hart durchgreifen will. "Bei den Massendemonstrationen im Juni haben sich alle über den Einsatz von Tränengas beschwert, aber es hilft, Demonstranten auseinander zu treiben", stellte Oberst Erir Ribeiro, Chef der Militärpolizei in Rio, vor Journalisten klar.
Militärpolizei will hart durchgreifen
Mittlerweile verteilen sich die Proteste über das ganze Stadtgebiet von Rio und erreichten erstmals auch die Stadtteile Ipanema und Leblon in der vornehmen Südzone Rios. Die Zahl der Teilnehmer ist allerdings stark zurückgegangen. Die Gründe für die Demonstrationen sind nach wie vor unterschiedlich: Einerseits richtet sich die Wut weiterhin gegen Korruption und Polizeigewalt. Andererseits werden Reichtum und Privilegien von Politikern und Unternehmern angeprangert.
So blockierten Bewohner des größten städtischen Armutsviertels "Rocinha" zeitweise die Tunnelausfahrt einer Ausfallstraße, weil die Polizei einen Anwohner mit einem Drogenhändler verwechselt und, wie es hieß, irrtümlich festgenommen hatte. In Ipanema und Leblon kam es zu Plünderungen von Geschäften und vor der Wohnung von Rios Gouverneur Sergio Cabral gab es ebenfalls Ausschreitungen.
Proteste gegen hohe Ausgaben für Papstbesuch
Vermummte Demonstranten zündeten Müllsäcke an, errichteten Straßenbarrikaden und schmissen Steine in Schaufenster von Boutiquen und Banken. Hubschrauber des brasilianischen Fernsehens kreisten über den Hochhäusern und filmten, wie Demonstranten Geschäfte plünderten und die Hauptverkehrsader des Stadtteils in Schutt und Asche legten.
"Montag kommt der Papst und wir werden demonstrieren: Gegen öffentliche Ausgaben für den Weltjugendtag, gegen den Verbleib von Gouverneur Sergio Cabral im Amt, gegen Polizeigewalt und für einen laizistischen Staat", heißt es in der Protestplattform "Anonymous Brasil". "Wir werden nicht aufhören, bis die Proteste so unerträglich werden, dass die Fifa sich ein anderes Land für die WM suchen wird", postet einer der Teilnehmer. Brasilien ist 2014 auch Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft.
Polizei und Militär erhöhen ihre Präsenz
Seit der Protestwelle sind Polizei und Streitkräfte in Alarmbereitschaft. In den vergangenen zwei Monaten wurde die Anzahl der Soldaten aus Heer, Marine und Luftwaffe, die für die öffentliche Sicherheit während des Weltjugendtages sorgen sollen, von 8.500 auf 14.300 Mann erhöht. Hinzu kommen noch tausende von Einsatzkräften der Militär- und Zivilpolizei.
An der Abschlussmesse mit Papst Franziskus am 28. Juli im Rio-Vorort Guaratiba werden rund 20.000 Sicherheitskräfte, darunter Polizisten, Soldaten und Feuerwehrmänner, im Einsatz sein. Von den über eine Million Teilnehmern darf laut Anweisung des brasilianischen Militärs niemand maskiert sein. Taschen und Rucksäcke werden kontrolliert, um gefährliche Gegenstände zu konfiszieren.
"Wir sind ein wenig besorgt um die Sicherheit", räumt die freiwillige Helferin Thalia Martins da Costa aus dem brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ein. Die explosive Mischung aus Protesten, Pilgern und Gebeten nimmt die 22-Jährige in Kauf, um den Papst zu sehen. "Ich habe meiner Mutter gesagt, gut, dass ich in Madrid war und Benedikt noch gesehen habe! Jetzt muss ich Franziskus sehen!".
Einwohner Rios besorgt um ihre und Franziskus' Sicherheit
Noch vor wenigen Tagen war auch die brasilianische Regierung noch fest davon überzeugt, dass die Proteste sich weder gegen den Papst richten, noch negative Auswirkungen auf den Weltjugendtag haben könnten. Die Jugendlichen aus aller Welt und das brasilianische Volk würden für die Sicherheit von Franziskus sorgen, ließ der Chef des Präsidialamtes, Gilberto Carvalho, wissen. Er fahre "unbesorgt" nach Rio, beteuerte der praktizierende Katholik.
Mittlerweile halten viele Cariocas, wie die Einwohner Rios genannt werden, solche Aussagen für realitätsfern. "Der Minister sollte die Bedrohungen ernst nehmen, genauso wie die Interessenskonflikte zwischen Religiösem und Profanem", schreibt Rodolpho Heggendorn Donner in einem Leserbrief an die Tageszeitung "O Globo". Es wäre sicherlich besser, wenn Franziskus nicht mit einem offenen Papamobil durch die Stadt führe.