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Para-Leichtathlet Johannes Floors: "Sprinten ist Freiheit"

27. August 2024

Bei den Paralympics in Paris möchte Johannes Floors eine Goldmedaille gewinnen. Doch der Weltmeister ist mehr als ein herausragender Sportler. Er ist Vorbild - und springt zum Abschalten auch gerne mal in den Moshpit.

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Para-Athlet Johannes Floors jubelt nach einem Zieldurchlauf und breitet die Arme aus
Johannes Floors ist einer der erfolgreichsten Para-Athleten weltweitBild: Nanako Sudo/The Yomiuri Shimbun/AP Images/picture alliance

Die Sonne strahlt, am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen, und das Thermometer hat die 30 Grad-Hürde bereits locker übersprungen. Die Trainingshalle auf der Fritz-Jacobi-Anlage in Leverkusen hat sich an diesem Tag ordentlich aufgeheizt. Einige Athletinnen und Athleten sind trotz Hitze in die Halle gekommen und bereiten sich auf ihr Training vor.

Mittendrin sitzt auch Johannes Floors auf einer Bank. Er wechselt seine Prothesen und beginnt mit einigen Dehnübungen. Der 29 Jahre alte Sprinter wirkt entspannt, arbeitet in aller Ruhe seinen Plan ab und macht sich im Anschluss auf den Weg nach draußen ins Leichtathletikstadion, um weiter an seiner Schnelligkeit zu arbeiten.

Johannes Floors zeigt bei der Siegerehrung der Paralympics 2021 in Tokio seine Goldmedaille, die er über 400 Meter gewonnen hat
Bei den Paralympics 2021 in Tokio gewann Johannes Floors die Goldmedaille über 400 MeterBild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

Es ist die heiße Phase vor den Paralympics in Paris. Für Floors ist es nach Rio de Janeiro 2016 und Tokio 2021 bereits die dritte Teilnahme an den Spielen. "Ich will meine Weltrekorde brechen", sagt Floors im DW-Interview selbstbewusst und macht klar: "Mein Ziel ist es, die Goldmedaille über 400 Meter zu gewinnen." Es wäre nach Tokio sein zweiter Paralympics-Sieg auf seiner Paradestrecke. 

Zudem ist er Weltrekordhalter über 100 Meter (10,54 Sekunden), 200 Meter (20,69) und auch über die 400-Meter-Distanz (45,78). In diesem Jahr sprintete er bei der Weltmeisterschaft in Kobe in Japan zu seinem vierten WM-Titel über 400 Meter in Folge. Ohne Frage zählt der Sprinter zu den weltbesten Athleten seiner Klasse (T62, beidseitig unterschenkelamputiert).

Floors ist stolz auf seine Rekorde, dennoch ist Erfolg für ihn nicht nur in Medaillen zu messen. "Wenn die harte Arbeit sich lohnt und in etwas mündet, auf das man stolz sein kann, das ist für mich Erfolg", sagt der Leichtathlet.

Über Nacht 20 Zentimeter größer geworden

Floors kommt 1995 mit einem sogenannten Fibula-Defekt zur Welt, einer Fehlbildung der Beine. Bei ihm handelt es sich um einen Längsdefekt, die Wadenbeine fehlen völlig. 

Johannes Floors als Baby
Johannes Floors kam 1995 mit einem Fibuladefekt, einer angeborenen Fehlbildung beider Unterschenkel, zur WeltBild: Johannes Floors

"Ich bin auf die Welt gekommen, und meine Füße und meine Unterschenkel auf beiden Seiten waren deformiert", erklärt er. Mehr als zehn Minuten Stehen oder Gehen seien im Alter von 14, 15 Jahren nicht möglich gewesen. "Ich hatte enorme Schmerzen."

Nach langen Gesprächen mit seinem Arzt entscheidet sich Floors Anfang 2011 im Alter von 16 Jahren für die Amputation. "Es war die beste Entscheidung meines Lebens, weil ich seit der Amputation keine Schmerzen mehr habe", sagt er im DW-Interview. Schmerzen, so Floors, seien der eine Grund gewesen, aber er sei durch die Prothesen über Nacht auch 20 Zentimeter gewachsen.

Auch auf mentaler Ebene "wächst" er und entwickelt mehr Selbstbewusstsein als vor der Operation. Mit seinen Prothesen sei er nicht mehr "eingeschränkt gewesen", erzählt Floors. Bouldern, Tauchen und Wandern war auf einmal möglich für ihn. Und "eine Prothese sieht auch viel cooler aus als ein deformierter Unterschenkel", findet Floors.

Er lernt erst das Gehen, dann das Laufen und schließlich das Rennen mit seinen neuen Prothesen und macht sein Abitur mit einem besonderen Schwerpunkt im Sport. Er braucht nicht lange, um im Top-Bereich der Sportler mit Behinderung anzukommen. 2015 holt er mit der Sprint-Staffel bei der WM in Doha Gold über 4x100 Meter und Bronze über 400 Meter.

"Vier Jahre nach der Amputation im Leistungssport sein zu können, hätte ich mir nie träumen lassen", sagt der Sprinter mit leuchtenden Augen. "Laufen und Sprinten ist für mich etwas sehr Besonderes, weil ich es 16 Jahre meines Lebens nie so richtig konnte."

Floors: "Sprinten ist für mich Freiheit"

Es dauert nicht lange, bis sich Floors in der Weltspitze etabliert und regelmäßig um die Top-Platzierungen mitläuft. Auch 2016, bei seiner ersten Paralympics-Teilnahme in Rio, gelingt ihm der Sieg mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel. 

Sport habe sehr viel mit ihm gemacht und sein Leben nachhaltig verändert, berichtet er. "Sprinten ist für mich einfach Freiheit. Den Wind spüren zu können, zu merken, wie der ganze Körper die harmonische und symmetrische Bewegung durchführt, ist für mich etwas enorm Befreiendes."

Para Sprinter Johannes Floors rennt auf einer Tartanbahn, im Hintergrund der Eiffelturm in Paris
Bei den Paralympics in Paris tritt Johannes Floors über die 100- und 400-Meter-Distanz anBild: Mika Volkmann/picture alliance

Floors ist Perfektionist. Beim Training bei seinem Verein, dem TSV Bayer Leverkusen, feilt er bei seinen täglichen Einheiten an letzten Details, bevor es Ende August nach Paris geht: mal kurze Sprints, mal etwas längere, immer mit höchster Konzentration und vollem Einsatz.

Auch wenn die Bedingungen an diesem Tag in Leverkusen nicht gerade zum Lauftraining einladen, Floors gibt alles. Nach dem Training gilt es, die Anspannung wieder runterzufahren und den Kopf frei zu bekommen.

Zum Abschalten in den Moshpit

"Ich unternehme viel, was mit dem Sport nichts zu tun hat. Das kann ein gutes Buch sein, das kann aber auch Musik sein", sagt der Rekordläufer. "Metal-Musik kann viele Emotionen wecken. Sie kann aufwühlen, sie kann mich gut auf ein Rennen vorbereiten, aber mich auch runterfahren lassen." So ein Moshpit auf einem Konzert oder Metal-Festival mache schon viel aus, verrät Floors.

Bei einem Moshpit bildet die Menge einen Kreis, in den dann im passenden Moment des Liedes alle Beteiligten hineinspringen, sich gegenseitig anrempeln und stoßen. Eine wichtige Regel: auf alle Rücksicht nehmen und darauf achten, dass keiner verletzt wird.

Wenn Floors gerade nicht im Moshpit oder auf der Laufstrecke unterwegs ist, kümmert er sich um den Nachwuchs. Für viele junge Menschen ist er ein Vorbild und Motivator. "Ich will mich nicht verstellen. Ich will so gesehen werden, wie ich bin. Mit den Werten, für die ich stehe. Und wenn sich das eignet, um ein Vorbild zu sein, dann macht mich das glücklich", sagt der 29-Jährige und beginnt zu lächeln. 

"Wenn jemand sagt, er kann sich mit jemandem identifizieren, der keine Beine hat und Metal-Musik hört, dann ist das doch perfekt."