Paris will weg von der Kernkraft
11. Juli 2017Die Ferien des Monsieur Hulot stehen vor der Tür. Und sie könnten ähnlich turbulent werden wie die in dem berühmten Film von Jaques Tati. Umweltminister Nicolas Hulot kommt von den Grünen - ein weiteres Zeichen, wie bunt die neue Regierung zusammengewürfelt ist. Und Hulot rüttelt an einem französischen Sakrileg: Er will bis 2025 "vielleicht bis zu 17" Atomkraftwerke schließen, wie er vorsichtig im Sender RTL sagte, das wäre jeder dritte.
Die Atomkraft gehört seit Jahrzehnten zum Selbstverständnis der französischen Nation. Bei der Erzeugung von Atomstrom steht Frankreich nach den USA weltweit an zweiter Stelle. Gingen schon in den 1980er Jahren die Deutschen in Massen gegen AKWs auf die Straße, hatte man in Frankreich dafür nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Doch der Wind hat sich gedreht.
Erste Zweifel setzten 2011 nach dem Nuklearunfall im japanischen Fukushima ein, als Deutschlands Bundeskanzlerin und gelernte Physikerin Angela Merkel, die die Kernkraft bis dahin als sicher bezeichnet hatte, von einem Tag auf den anderen den Ausstieg beschloss. 2015 verabschiedete die damals sozialistisch beherrschte Nationalversammlung ein Gesetz, nach dem 2025 "nur" noch 50 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken stammen sollte. Die erneuerbaren Energien sollten ausgebaut werden.
Atomland Frankreich
Für Frankreich war das ehrgeizig. Denn heute liefern 58 Kernkraftwerke 75 Prozent des Stroms. Kein anderes Land der Erde ist so abhängig von der Nukleartechnik wie Frankreich. Für die Verbraucher ist der Strom im europäischen Vergleich billig; auch ein Grund, warum so viele französische Häuser mit Strom beheizt werden. Das Land verdient außerdem an seinen Atomstrom-Exporten jährlich rund drei Milliarden Euro. Es ist daher nicht ganz einfach, gegen eine starke Industrie- und Verbraucherlobby anzukommen.
Aber vielleicht gelingt das Nicolas Hulot. "Das ist eine sehr interessante Ankündigung", sagte Charlotte Mijeon, Sprecherin der Anti-Atom-Kampagne "Sortir du nucléaire" über Hulots Schließungspläne der Nachrichtenagentur AFP: "Zum ersten Mal haben wir eine Person und eine Regierung, die bereit sind, gegen das Dogma zu verstoßen, keine Atommeiler zu schließen."
Der neue Umweltminister ist eine schillernde Persönlichkeit, zum Politiker wurde er erst spät im Leben. Angefangen hatte der 62-Jährige mit der Wuschelfrisur als Fernsehmoderator und Filmemacher - alles für die Sache der Umwelt. Er hat auch eine Stiftung gegründet, die sich die Bewusstseinsbildung für Natur- und Umweltfragen auf die Fahnen geschrieben hat. Mit anderen Worten: Nicolas Hulot ist ein Überzeugungstäter.
Die AKWs müssen ohnehin bald ersetzt werden
Was seinen Abschaltplänen entgegenkommt, ist die Tatsache, dass etwa drei Viertel aller Meiler bis 2027 ohnehin das Ende ihrer normalen Lebensdauer von 40 Jahren erreicht haben werden. Die Blöcke waren in den 1970er und 80er Jahren als Antwort auf die damaligen Ölkrisen errichtet worden. Jede Betriebsverlängerung muss im Einzelfall von der staatlichen Atomaufsicht genehmigt werden und ist jeweils mit komplizierten Sicherheitsprüfungen, hohen Zusatzinvestitionen und manchmal mit politischem Widerstand verbunden.
Trotz erwarteter Zusatzkosten von 48 Milliarden Euro bis 2025 hat sich die staatlich dominierte Elektrizitätsgesellschaft EdF für die Verlängerung ausgesprochen. Zudem unterstützen oft lokale Politiker und Gewerkschaften die Atomwirtschaft aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, und viele konservative Politiker in Paris wollen die weltweite französische Führungsrolle auf dem Gebiet nicht aufs Spiel setzen. Solcher Widerstand dürfte bei jeder weiteren Schließung drohen.
Beißende Kritik an Hulot kommt auch vom rechten Front National. Dessen Vizepräsident Florian Philippot nannte die Schließungspläne eine "gefährliche Dummheit". So viele Kraftwerke in so kurzer Zeit stillzulegen, würde "der Kaufkraft der Franzosen und dem Planeten schaden und beiden zusammen, wenn man zum Beispiel deutschen Kohlestrom importieren müsste", sagte Phillippot.
Nichts verdeutlicht den Streit um die Atompolitik besser als das älteste französische Kernkraftwerk Fessenheim am Oberrhein direkt an der deutschen Grenze. Seit Jahren laufen vor allem deutsche Umweltschützer und Politiker Sturm gegen den Weiterbetrieb von Fessenheim, wo es eine Reihe von Pannen und Zwischenfällen gegeben hat. Auch wenn der frühere Staatspräsident François Hollande schon 2012 im Wahlkampf eine Schließung der Anlage versprochen hatte, dauerte es bis ganz zum Ende seiner Amtszeit im April dieses Jahres, dass sie wirklich beschlossen wurde.
Ersatz für Fessenheim soll ein neues AKW in Flamanville in der Normandie sein. Kostenpunkt: mehr als zehn Milliarden Euro, dreimal soviel wie ursprünglich angesetzt. 2019 soll es fertig sein - nach bisheriger Planung. Trotzdem hat Hulots Ankündigung auf der deutschen Seite große Freude ausgelöst. "Frankreich beginnt mit dem Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft. Das ist eine gute Nachricht", jubelte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter.
Konkreter bitte
Was die Kritiker vermissen, sind Einzelheiten. Wie will Hulot die Stromerzeugungskapazitäten ersetzen, wenn ein Drittel der Atommeiler wegfällt, was wird das kosten und wer wird die Kosten tragen? Der Ausbau erneuerbarer Energien kommt in Frankreich nur langsam voran. Aber auch fossile Produktionskapazitäten wie Kohle- und Gaskraftwerke könnten eine größere Lücke im Moment nicht schließen, abgesehen davon, dass bei mehr Kohlekraftwerken Frankreichs Klimaschutzziele gefährdet wären. Auch Charlotte Mijeon von "Sortir du nucléaire" rät dem Minister, "diese Ankündigung zu konkretisieren" und "darüber hinauszugehen".
Hulot weiß, dass er genaue Pläne nachliefern muss, er ahnt aber auch die Widerstände, die ein radikaler Umstieg in der Energiepolitik auslösen würde. Daher bleibt er zunächst vage: "Mit Brutalität gefährdet man die Umsetzung", hat er bei seiner Ankündigung überraschend offenherzig gesagt.