Parzinger: "Klage kommt überraschend"
24. Februar 2015DW: Herr Parzinger, haben Sie mit der Klage der Nachfahren der deutsch-jüdischen Kunsthändler gerechnet?
Hermann Parzinger: Ich bin schon überrascht und auch etwas irritiert. Wir hatten keinerlei Anzeichen von der Gegenseite, dass man eine solche Klage vorbereitet. Irritiert bin ich vor allem deshalb, weil die Gegenseite damals um die Klärung durch die Limbach-Kommission gebeten hat. Wir haben uns nicht verwehrt. Die Anwälte der Gegenseite hatten mir persönlich versichert, dass sie die Entscheidung akzeptieren würden, egal in welche Richtung sie ausfallen würde. Jetzt tut man im Grunde genau das Gegenteil. Als Scheinprozess wird das Verfahren jetzt bezeichnet. Es wäre die gleiche Diskriminierung, wie sie die Verwandten während der Nazi-Zeit erfahren hätten. Bei einer solchen Gleichsetzung fehlen mir die Worte. Ich finde das einfach ungeheuerlich.
Nach der Empfehlung der Limbach-Kommission im Frühjahr 2014 hatten die Nachfahren aber doch schon angekündigt, dass sie die Entscheidung nicht akzeptieren würden…
Ja, das haben sie gesagt, aber wir haben ein Jahr lang nichts mehr gehört. Man konnte damit rechnen, dass so etwas vielleicht angestrebt wird, aber für uns war es dennoch überraschend.
Für wie aussichtsreich halten sie die Klage?
Wir sind uns da eigentlich sehr sicher und sehen die Sache deshalb gelassen. Wir haben jahrelang recherchiert. Wir haben mehrere Aktenordner voller Fakten, in denen wir genau die Punkte, die nach den Prinzipien des Washingtoner Abkommens zu klären sind, sehr gut belegen können. Das sind beispielsweise: Angemessenheit des Kaufpreises und freie Verfügbarkeit des Erlöses. Wir sind schon neugierig, was die Gegenseite nun für neue Fakten präsentieren will. Was man bisher so hört, scheint es bislang keine wesentlich neuen Aspekte zu geben. Natürlich werden wir nun als allererstes mit unseren Anwälten die Klageschrift, sobald wir sie haben, genau prüfen. Dann muss man schauen, ob das US-Gericht sich überhaupt zuständig erklärt und den Fall annimmt. Danach wird geklärt, ob es denn auch zuständig ist. Grundsätzlich gilt: Kein Gericht der Welt kann die Fakten außer Acht lassen und deshalb sind wir da auch gelassen. So sehr die andere Seite auch versucht, das Ganze von der Wortwahl her zu skandalisieren.
Halten Sie die Umstände des Verkaufs 1935 für restlos aufgeklärt? Es ist ja noch nicht einmal vollständig bekannt, wer zu dem Händlerkonsortium gehörte, das den Schatz verkaufte…
Ja, aber das ist eben die Aufgabe der Anspruchsteller. Die Limbach-Kommission hätte im Grunde das ganze Verfahren gar nicht annehmen müssen. Die Anspruchsteller behaupten von sich, dass Ihnen 95 Prozent des ganzen Welfenschatzes zusteht. Das ist aber gar nicht unsere Aufgabe zu klären, wer alles anspruchsberechtigt ist. Wer einen Anspruch stellt, muss nachweisen, dass er anspruchsberechtigt ist. Von unserer Seite müssen wir nachweisen, dass der Kaufpreis angemessen war und dass frei über die Mittel verfügt werden konnte. Einer der Händler, der Verhandlungsführer Saemy Rosenberg, war in Amsterdam. Dort lag übrigens auch der Welfenschatz, also außerhalb des Deutschen Reiches. Von dort aus hat man verhandelt. Der durfte sich dann für den Anteil, der ihm zustand, weil er das so wollte, Objekte aus den Berliner Museen aussuchen. Er war damit so zufrieden, dass er 1935 dem Berliner Kunstgewerbe Museum noch einen venezianischen Glaspokal geschenkt hat.
Aus ihrer Sicht sind die Umstände also lückenlos aufgeklärt?
Ja.
Hermann Göring hatte den Schatz als "nationales Kulturheiligtum" bezeichnet und er hatte ein vitales Interesse daran, ihn für das Deutsche Reich zurückzugewinnen. Die an dem Konsortium beteiligten Kunsthändler bereiteten ihre Emigration vor. War nicht jeder Verkauf in dieser Zeit eine Art Zwangsverkauf?
Immer wieder Hermann Göring zu bemühen, das ist natürlich schön, weil man damit ein gewisses Bild erzeugt: Da sitzt dieser verbrecherische Göring und ihm gegenüber die verängstigten Kunsthändler. Das war ja gar nicht so. Es war eine gewisse Lobbyarbeit nötig, damit das Finanzministerium und der preußische Staat überhaupt bereit waren, das Geld bereitzustellen. Das waren 4,2 Millionen Reichsmark. Das wäre heute eine Summe von 100 Millionen Euro. Das Händlerkonsortium ist an den deutschen Staat herangetreten, gar nicht mal umgekehrt. Ein Mensch wie Göring hat sich damit natürlich geschmückt: Seht her, was wir geschafft haben und die Vorgängerregierung war nicht dazu in der Lage.
Kürzlich wurde der Welfenschatz in die Kulturgutliste aufgenommen. Das bedeutet, dass nur die Kulturstaatsministerin genehmigen kann, dass so ein Kulturgut aus Deutschland ausgeführt werden darf. Waren das Vorsorgemaßnahmen, um die Erfolgschancen der Klage zu schmälern?
Nein, das schmälert auch nicht die Erfolgschancen der Klage, wenn man das unter Schutz stellt. Es ist eine dezidierte Politik der Kulturstaatsministerin, die deutsche Kultur vor Abwanderung zu schützen. Das ist eine Koinzidenz zeitlicher Art gewesen, aber solche Prozesse ziehen sich ja über mehrere Monate. Wir haben auch die amerikanischen Reisetagebücher von Alexander von Humboldt unter Schutz gestellt. Das ist eine zufällige Koinzidenz.
Die Gegenseite argumentiert aber, das sei ein Beweis, dass Deutschland ein Problem mit solch einer Klage habe…
Das mag die Gegenseite sagen. Wir haben damit kein Problem. Wenn wir vor dem US-Gericht verlieren, dann schützt diese Unterschutzstellung in keiner Weise. Das ist nicht der Punkt. Es kommt auf die Fakten an. Das muss vor Gericht im Mittelpunkt stehen. Und da bin ich gespannt, was die Gegenseite an neuen Erkenntnissen vorzulegen hat.
Was würde es bedeuten, wenn die Klage Erfolg hätte?
Das wäre Kaffeesatzleserei. Ob man da auf Ausgleich spekuliert oder sonst etwas. Dass das komplett umgedreht wird, halte ich für ausgeschlossen. Man kann nicht das, was wir vorlegen, vom Tisch wischen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wissen es noch nicht. Wir werden heute die Klageschrift bekommen, die werden wir dann studieren und dann wird man weitersehen.
Hermann Parzinger ist seit 2008 Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine der größten Kulturstiftungen weltweit. Der gebürtige Münchner ist Prähistoriker und Archäologe. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat alle Kunstwerke in ihrem Bestand auf ihre Herkunft untersuchen lassen.