Offener Brief an Erdoğan
24. Juli 2017"Ich schreibe Ihnen diesen Brief, den zu lesen Sie wohl nicht den Mut haben werden". Mit diesen Worten wendet sich Regula Venske, Präsidentin des deutschen Zentrums der internationalen Schriftstellervereinigung PEN, an den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und seinen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım. Am 24. Juli 1908 wurde in der Türkei die Zensur abgeschafft. Ein Anlass zum Feiern, sollte man meinen. Doch genau an diesem Tag wird 17 Mitarbeitern der Zeitung "Cumhuriyet" der Prozess gemacht. Binnen eines Jahres sind in der Türkei mindestens 165 Journalisten verhaftet worden. Damit hätten Erdoğan und sein Regierungschef ihr Land zum "weltweit größten Gefängnis für Journalisten" gemacht, kritisiert PEN-Präsidentin Venske in ihrem Brief. Sie seien Politiker, die von Angst beherrscht würden und deshalb "selbst mit Angst und Willkür" regierten, so Venske.
"Politischer Angriff auf die Pressefreiheit"
Den beschuldigten Mitarbeitern von Cumhuriyet wird die Unterstützung terroristischer Organisationen vorgeworfen. Sie sollen unter anderem mit der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen sowie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammengearbeitet haben. Nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 wurden in der Türkei unter diesem Vorwand große Säuberungsaktionen vorgenommen.
Cumhuriyet, 1924 gegründet und damit die älteste Zeitung der modernen Türkei, habe bereits fünf Militärcoups überlebt, "noch nie aber gab es eine solche konzentrierte Anstrengung, die Zeitung gänzlich zu eliminieren", schreibt Regula Venske in ihrem offenen Brief an Erdoğan und Yıldırım. "Dieser Angriff auf die Cumhuriyet ist ganz offensichtlich ein politischer Angriff und zielt direkt auf die Pressefreiheit und die säkulare Republik", so Venske. Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung und im deutschen Exil lebend, schrieb in seiner Kolumne in der ZEIT: "Dieses Jahr feiern wir den Tag der Pressefreiheit im Gefängnis, vor Gericht und im Exil als Tag des Kampfes für die Pressefreiheit."
Deutsch-türkische Beziehung in Gefahr
PEN-Präsidentin Venske sieht nicht nur die türkische Pressefreiheit, sondern auch die deutsch-türkischen Beziehungen in Gefahr. So schreibt sie in ihrem Brief: "Beenden Sie die Politik der Spaltungen - zwischen Türken und Kurden in Ihrem Land, zwischen türkischen und türkisch-stämmigen und deutschen Bürgern in Deutschland. Sie beschwören Konflikte herbei, die die deutsch-türkischen Beziehungen um Jahrzehnte zurückwerfen können." Tatsächlich sind die deutsch-türkischen Beziehungen erneut auf einem Tiefpunkt angelangt, nachdem in Istanbul der deutsche Menschrechtsaktivist Peter Steudtner verhaftet wurde. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte daraufhin einen härteren Kurs gegenüber der Regierung in Ankara angedeutet. Der türkische Präsident Erdoğan reagierte prompt: "Niemand hat das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen." Sollten die angeklagten Cumhuriyet-Mitarbeiter verurteilt werden, wäre eine neue Stufe der Eskalation zu erwarten. Deshalb fordert Regula Venske in ihrem Brief an Erdoğan und Yıldırım: "Setzen Sie heute, am Tag der türkischen Presse, ein Zeichen. Setzen Sie sich für die Freilassung der zu Unrecht inhaftierten politischen Gefangenen ein und für die Einstellung des Prozesses gegen die Mitarbeiter der Cumhuriyet, der heute, am 24. Juli, beginnt."