Pentagon: Türkei soll Offensive abbrechen
11. Oktober 2019Die USA lehnten die "unkoordinierten Aktionen" im Nordosten des Bürgerkriegslandes ab, da sie Fortschritte der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat gefährdeten. Dies teilte US-Verteidigungsminister Mark Esper seinem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar in einem Telefonat mit, wie das Pentagon erklärte.
Esper habe die Türkei "ermutigt", die Maßnahmen im Nordosten Syriens einzustellen, um die Situation zu deeskalieren. Die Türkei hatte am Mittwoch ihren dritten Einsatz in Nordsyrien begonnen. Er hat das Ziel, die Kurdenmiliz YPG von der Grenze zu vertreiben.
Der Einmarsch folgte auf Trumps überraschende Ankündigung, amerikanische Soldaten aus der Grenzregion abzuziehen - was auf große Empörung stieß. Kritiker werteten dies als grünes Licht der Amerikaner für Ankara, eine Offensive zu starten. Ein ranghoher Regierungsbeamter aus dem US-Außenministerium wies das zurück und betonte, die USA sähen das Vorgehen der Türkei als "großen Fehler" und hätten keineswegs grünes Licht dafür gegeben, sondern im Gegenteil ihren großen Widerstand dagegen klar gemacht. "Dieser Einfall birgt ernsthafte Konsequenzen für die Türkei", warnte das Verteidigungsministerium.
"Die türkische Wirtschaft stillegen"
Auch im Weißen Haus ist man über die Entwicklung beunruhigt, wie Finanzminister Steven Mnuchin durchblicken ließ. "Wenn wir müssen, können wir die türkische Wirtschaft stilllegen", warnte er. Mnuchin sprach von "sehr harte Sanktionen. Ich hoffe, dass wir sie nicht einsetzen müssen".
Trotz der Maßnahmen zum Schutz der US-Streitkräfte könnten die Aktionen der Türkei auch zur Gefahr für US-Kräfte in Syrien werden. Die von den kurdischen Milizen dominierten SDF waren im Kampf gegen die Terrormiliz IS ein enger Verbündeter der USA. Ihre Truppen gingen in Syrien am Boden gegen die Extremisten vor und konnten wichtige Gebiete einnehmen. Sie überwachen außerdem zahlreiche Lager mit gefangenen IS-Kämpfern. Die türkische Regierung will eine sogenannte Sicherheitszone unter ihrer alleinigen Kontrolle einrichten, aus der sich alle Kurdenmilizen zurückziehen sollen. Sie will dort auch Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei leben. Die Türkei führt unter anderem Selbstverteidigung als Rechtfertigung für ihren Einsatz auf.
Unterdessen hat auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Türkei zur "Zurückhaltung" bei ihrer Offensive gegen kurdische Kräfte in Nordsyrien aufgerufen. "Auch wenn die Türkei ernstzunehmende Sicherheitssorgen hat, erwarten wir von der Türkei, mit Zurückhaltung vorzugehen", sagte Stoltenberg nach einem Gespräch mit Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara. Durch die Offensive drohe eine "weitere Destabilisierung der Region".
Cavusoglu wies Kritik der Europäer an der Offensive zurück. "Die Türkei hat bis zuletzt auf Diplomatie gesetzt. Da sie nicht funktioniert hat, müssen wir diese Bedrohung beseitigen", sagte er bei der Pressekonferenz mit Stoltenberg.
In der EU stößt der türkische Einmarsch auf Ablehnung. Frankreich droht nun mit europäischen Sanktionen und will dies beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende nächster Woche zum Thema machen. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte sagte, die Europäische Union dürfe sich von der Türkei beim Thema Flüchtlinge nicht erpressen lassen.
"Wir lehnen diese Offensive ab", sagte auch ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die Bundesregierung fordere, dass sie eingestellt werde. Die mit dem Einsatz verbundenen Ziele seien nicht nachzuvollziehen. Deutschland werde sich in New York dafür einsetzen, dass die Offensive Thema im UN-Sicherheitsrat werde.
Keine Waffen mehr für Ankara
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, fordert einen Stopp von Waffenlieferungen an die Türkei wegen ihres Angriffs auf die Kurden-Miliz YPG in Syrien. "Die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien ist inakzeptabel und muss die Bundesregierung zum Umdenken zwingen", sagte Roth den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Deutschland darf keine Waffen mehr in die Türkei exportieren, solange der Einmarsch ins Kurdengebiet fortgesetzt wird." Der Exportstopp dürfe nicht nur für Neugenehmigungen gelten. "Für bereits erteilte Genehmigungen muss ein Exportmoratorium in Kraft treten, ähnlich dem gegenüber Saudi-Arabien", verlangte Roth.
Das Parlament in Schweden verlangte ein Waffenembargo gegen die Türkei. Auch Russland, der engste Verbündete des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, rief die Türkei erneut zur Zurückhaltung auf.
Laut dem UN-Welternährungsprogramm sind aus dem Kriegsgebiet inzwischen mehr als 70.000 Menschen geflohen. Experten befürchten eine neue Flüchtlungswelle.
cgn/ml (afp, ap, dpa)