Perus Bürgerkrieg wirkt noch immer nach
23. November 2005"La guerra es hoy" - "Der Krieg ist heute!", prangt in großen Lettern über dem Eingang zur Flughalle des Militärpostens im peruanischen Satipo. Mit Hubschraubern und Soldaten sollen von der entlegenen Provinzhauptstadt im Quellgebiet des Amazonas aus die verbliebenen Gruppen des Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfades, bekämpft werden. Seit dem Ende der 1970er-Jahre führte die Terrororganisation einen erbitterten gewaltsamen Kampf gegen das Regime in Lima. Vor allem die Menschen auf dem Land waren von Gewaltakten betroffen. In den 1990-er Jahren beherrschten Militär und Geheimdienste das Land, während Präsident Alberto Fujimori in seinem Kampf gegen die Guerilla die Institutionen des Staates systematisch schwächte und Justiz, Medien und große Teile der Bevölkerung zu bloßen Zuschauern degradierte.
Der Leuchtende Pfad existiert noch als Mafia
Heute sind nur noch wenige hundert Kämpfer des Sendero Luminoso übrig. Sie leben in den entlegenen Regionen der Zentralen Selva. Rund zwei Autostunden von Satipo entfernt, am Rio Ene, bieten ihnen dichter Urwald und dünne Besiedlung Schutz vor dem Zugriff des Militärs. Der Kampf des Leuchtenden Pfades gilt heute weniger politischen als kriminellen und wirtschaftlichen Zielen. Sie handeln illegal mit Werthölzern und Drogen.
Satipo ist Provinzhauptstadt - ein Urwaldnest, wie man es vielfach im Amazonasgebiet trifft: Mopedtaxis knattern über kaum geteerte holprige Straßen, Händlern haben Berge von chinesischen Waren zu bunten Haufen auf der Straße aufgetürmt. Satipo gehört zu den Verlierern der peruanischen Geschichte - und der politischen Gegenwart. Die Region gilt als eine der ärmsten Perus. Fast alle Einwohner gehören zur indianischen Urbevölkerung. Gerade sie traf der Bürgerkrieg besonders hart: 30 bis 40 Dörfer in der Region wurden in der Zeit der Violencia völlig ausgelöscht. 6000 der 70.000 Opfer des Bürgerkriegs waren Aschanika-Indianer.
"Schon unsere Vorfahren waren Kämpfer"
Santiago ist der Bürgermeister von Satipo. Über lange Zeit war er Dorfchef von Puertocopa. Als Ende der 1980er-Jahre die Terrorgruppen des Sendero Luminoso die Macht beanspruchten, verboten sie Santiago, sein Amt auszuüben. Gleichzeitig bewaffnete die Regierung die Aschaninka, damit sie sich selbst verteidigten. 1990 kehrt Santiago in sein Dorf zurück und begann, Selbstverteidigungskomitees aufzubauen. Das Militär habe sich in dieser Zeit kaum in die Region vorgewagt, erinnert sich der 39-Jährige. "Wir sind als Kämpfer ausgebildet. Schon unsere Vorfahren waren Kämpfer, wehrten sich gegen die Kolonisation, die Zivilisation, die Siedler aus Europa", sagt Santiago. "Und weil wir Kämpfer sind, haben wir uns auch selbst gegen die Senderisten gewehrt, ohne das Militär. Das Militär kam erst später dazu."
Eine Gewaltgeschichte, die ihre Spuren hinterlassen hat. Kleinsten Konflikten in Familie oder Nachbarschaft wird mit Gewalt begegnet. Durch das Projekt des Zivilen Friedensdienstes bringt der DED Berater vor Ort, welche den Communidads beim Umgang mit solchen Konflikten helfen. In diesem Bereich sei die Hilfe von außen wichtig für die Aschanika. Es gelte die sozialen Beziehungen neu zu knüpfen - in einer Region, wo der peruanische Staat weitgehend abwesend sei, meint Santiago. Die Folgen der Violencia seien immer noch erkennbar. So gebe es viele Waisenkinder und Witwen in der indigenen Bevölkerung.
Witwen und Waisen
"Wir brauchen - um diesen Folgen der Violencia zu begegnen - dringend die Präsenz des Staates und auch die Arbeit internationaler Organisation wie des DED. Mit dem Ziel, die soziale und familiäre Sicherheit wieder herzustellen, Ruhe und Frieden für diese Region", sagt Santiago. Die Kultur der Gewalt sei immer noch präsent: "Die Gewalterfahrung hat sich sozusagen auf unsere Herzen gelegt. Und das lässt sich sogar noch bei Kindern beobachten." Viele Aschanika-Gemeinden versorgten die Terroristen des Leuchtenden Pfades mit Nahrungsmitteln, Transport oder Unterkunft - mitunter kämpften sie an deren Seite, mitunter auch an der Seite des Militärs. Wer sich dem Militärdienst verweigerte, dem drohten Folter oder gar der Tod.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Gemeinden um wirtschaftliches Überleben und die Überwindung der Gewalt kämpfen.
Die Aschanika-Gemeinde Coriteni gibt es noch. Auf dem Landweg ist die kleine Communidad der Aschanika-Indianer gar nicht zu erreichen. Von Puertocopa, der kleinen Siedlung am Rio Tambo, sind es noch einmal mehr als zwei Stunden Bootsfahrt, bevor man die Siedlung unmittelbar am Ufer des Flusses erreicht. 23 Familien leben hier, 57 Kinder gehören zum Dorf. Sie alle haben sich unter dem Versammlungsdach im Zentrum des Dorfes versammelt. Die Männer müssen noch von dem kleinen Feld gerufen werden, das die Grundversorgung der Communidad sichert.
Das Dorf lebt von etwas Landwirtschaft und vom Verkauf des Holzes im Waldstück, das zur Communidad gehört. Doch inzwischen sind die kostbaren Mahagonibäume fast alle zum Schleuderpreis verkauft. Die Nichtregierungsorganisation ACPC hat hier mit Unterstützung des DED ein Forstprojekt auf die Beine gestellt, das der Communidad erlauben soll, fertig verarbeitete Holzprodukte zu einem fairen Preis zu verkaufen, anstatt den Rohstoff zu verschleudern.
Elie Sanchez Benaz ist Mitte 30. Er hält es für wichtig, dass seine Communidad nach neuen Wegen sucht, um mit dem Holz nachhaltig umzugehen. "Das ist ein Problem: Die Besitzer der großen Firmen und Holzhändler kaufen den Rohstoff Holz sehr billig bei uns ein, für nicht mehr als 20 Centimos pro Fuß. Für uns wäre es aber weit günstiger, ein ganzes Möbelstück zu verkaufen, zum Beispiel für 20 oder 30 Soles", sagt er. "Unsere Communidad hatte einmal einen Vertrag mit dem Großhändler Velasquez, dem wir etwas von unserem Wald verkauft haben. Aber der Preis, den er gezahlt hat, war zu gering. Deshalb haben wir den Vertrag gelöst."
Flucht in die Berge
Als die Gewalt in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eskalierte, flohen auch die Familien aus Coriteni in die Berge. Erst vor einigen Jahren kehrten sie zurück. Elie erinnert sich noch genau an die Vertreibung. Die peruanische Regierung hatte die Aschanika über lange Zeit der Gewalt überlassen, erst 1991 begann das Militär, die Menschen in der Region um Satipo bei der Verteidigung gegen die Terrorgruppen zu unterstützen. An dieser strukturellen Benachteiligung der Ureinwohner habe sich bis heute nicht viel geändert, kritisieren Elie und andere in Coriteni und Satipo.
Zehntausende verschleppt
So profitiert die Region nicht vom offiziellen Armutsprogramm der Regierung, obwohl sie zu den ärmsten des Landes zählt. Nur 50 Prozent der Kinder gehen hier in die Schule, die Kindersterblichkeit ist immer noch extrem hoch. Kein Sol ist bisher in die Infrastruktur der Region geflossen. Die geteerte Straße endet unweit des Ortsausgangs von Satipo, die erste Ampel entstand vor einem Jahr. Vom Reparationsfonds der Regierung für die Opfer des Bürgerkriegs hat in Satipo noch niemand profitiert.
Judith Bässling arbeitet als Psychologin seit zwei Jahren mit den Aschanika. Sie berät die peruanische Organisation SIPA, die in fünf Aschanika-Gemeinden aktiv ist. Sie bilden Mediatoren in den Gemeinden aus, die sich künftig bei Konflikten einschalten und in enger Abstimmung mit den Dorfchefs nach Lösungen suchen. "Die Aschanika sind am schlimmsten von allen Bevölkerungsgruppen von der Gewalt betroffen gewesen. Von 55.000 Aschanika sind 6000 bis 9000 ermordet worden, zehntausende verschleppt", sagt Bässling.
Vor zwei Jahren hatte die peruanische Wahrheitskommission eine Dokumentation der Zeit der Violencia veröffentlicht und darin Opfer und Täter genannt. Die Kommission sprach Empfehlungen aus und forderte Reparationen. Die Empfehlungen gehen unter anderem davon aus, dass man vor allem mit den Betroffenen die politische Gewalt aufarbeiten solle. "Insofern folgt die Arbeit des DED im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes, den wir hier machen, diesen Empfehlungen", sagt die Psychologin.
Kampf um Eigenständigkeit
Bernadita Vega hat die Gewalt in der Zeit der Violencia beobachtet. Heute ist sie im Vorstand der indigenen Interessengruppe CART aktiv. In ihrer Flussgemeinde Puertocopa habe der Sendero Luminoso wenig Rücksicht genommen, erinnert sie sich: "1987 kam der Sendero in unsere Communidad. Sie haben uns zu Versammlungen gerufen, haben uns gesagt 'Wir haben die Macht, wir werden ungerecht behandelt und müssen uns wehren' und uns aufgefordert, mitzumachen. Ich besuchte damals die Schule - auch dahin kamen die Vertreter des Sendero", sagt sie. "1990 kamen dann die Soldaten der Spezialeinheiten der Polizei. Ich wollte nie zum Sendero gehören, denn ich sah, dass diejenigen, die das taten, immer halbverhungert zurück kamen und sehr schlecht aussahen."
Bernadita, die ein kleines Kind hat, ist überzeugt: An die Stelle des Kampfes gegen den alltäglichen Terror sei für die Aschanika heute - mehr als zehn Jahre nach dem Ende der Violencia - der Kampf um die kulturelle und wirtschaftliche Eigenständigkeit ihres Volkes getreten. Und erst dann, wenn dieser Kampf gewonnen sei, davon ist Bernadita überzeugt, hätten die Aschanika in Peru eine Zukunft.