Pestizide in Muttermilch
26. Juni 2015"Die Ergebnisse zeigen vor allem eines: Glyphosat ist allgegenwärtig", sagt Harald Ebner, der Pestizid-Experte der Grünen im Bundestag. Die Bundestagsfraktion hat 16 Muttermilch-Proben stillender Mütter getestet. Keine einzige war frei von Glyphosat-Rückständen. Stattdessen wurden Glyphosat-Mengen zwischen rund 0,2 und 0,4 Nanogramm pro Milliliter Milch gemessen - für Trinkwasser sind 0,1 Nanogramm zulässig.
Nach Angaben der Grünen-Pressestelle gegenüber der DW wurden die Proben zwischen Mitte Mai und Ende Juni 2015 entnommen und in einem Labor in Leipzig analysiert. An der Untersuchung nahmen Mütter zwischen 30 und 39 Jahren teil, die ihr erstes, zweites oder drittes Kind im Alter von 1,5 bis 11 Monaten stillten. Die Frauen kommen aus acht unterschiedlichen Bundesländern und leben teils im ländlichen und teils im städtischen Raum. Im landwirtschaftlichen Bereich arbeitet keine von ihnen, so dass die Rückstände nicht vom direkten Kontakt mit dem Pflanzenschutzmittel kommen können.
Glyphosat ist seit den 1970er Jahren einer der weltweit am meisten eingesetzten Wirkstoffe zur Unkrautbekämpfung. Neben der Landwirtschaft wird es auch im Gartenbau oder auf Bahngleisen verwendet. Nach Angaben der Grünen wurden im Jahr 2013 bundesweit rund 6000 Tonnen reine Wirkstoffmenge verbraucht. Harald Ebner zufolge hat der Absatz des Herbizids zwischen 2010 und 2012 um rund 20 Prozent zugenommen. Das sei alarmierend, schreibt er auf seiner Website.
Oft werden dem Glyphosat noch zusätzliche Stoffe beigemischt, die das Eindringen des Wirkstoffs in die Pflanze erleichtern und die Wirkung verstärken. Die Beisätze sind nach Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung zum Teil giftiger als das Glyphosat selbst. Welche genau das sind, ist unklar: Sie zu benennen, fällt unter die gesetzlich festgelegten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse.
Klar ist jedoch, wie das Glyphosat selbst wirkt. Pflanzen nehmen es durch ihre Blätter und andere grüne Pflanzenteile auf. Von dort wird der Wirkstoff in die Wurzeln und Triebe transportiert. Der Unkraut-Vernichter blockiert die Produktion bestimmter Aminosäuren, die für das Wachstum von Pflanzen essentiell sind. Das entsprechende Enzym kommt bei Tieren und Menschen nicht vor.
Viele Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass Glyphosat für Menschen und Tiere ungefährlich ist. Das ist allerdings strittig: Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO stufte den Wirkstoff im März als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dagegen sieht in einem Bericht vom Dezember 2013 keine Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier.
Irene Witte, Professorin am Institut für Toxikologie der Universität Oldenburg, ist von den Ergebnissen der Grünen-Stichprobe überrascht: "Ich hätte nicht mit solch hohen Rückstandswerten in der Muttermilch gerechnet, da Glyphosat stark wasser- und nicht fettlöslich ist", sagt sie. Aus den 16 Proben könne man zwar keine endgültigen Schlüsse ziehen, aber die Ergebnisse sollten einen Anstoß geben, den Gebrauch von Glyphosat neu zu überdenken, so die Pressestelle des Fraktionsbüros in Berlin.
Wie das Glyphosat in die Muttermilch gelangen konnte, ist noch nicht vollständig geklärt. "Die Wissenslücke besteht nicht nur hinsichtlich des Vorkommens und Übergangs in die Muttermilch, sondern insgesamt zum Vorhandensein und der Wirkungsweise im Körper sowohl von Menschen als auch von Säugetieren", hieß es in einer Mitteilung der Grünen-Bundestagsfraktion.
Dem Bundesinstitut für Risikobewertung zufolge konnten bei einer Untersuchung 2012 keine messbaren Rückstände in der Milch sowie im Fleisch oder Fett von Nutztieren nachgewiesen werden. Organe mit messbaren Rückständen seien vor allem die Nieren gewesen, also dem Ausscheidungsorgan für Urin.
Der Anlass für die neue Untersuchung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die auslaufende Genehmigung für Glyphosat in der Europäischen Union Ende des Jahres. Pflanzenschutzmittel erhalten in der Regel eine zunächst auf zehn Jahre befristete Zulassung, danach muss der Stoff erneut für sicher befunden werden. Jeweils ein EU-Mitgliedstaat ist Berichterstatter für diese Überprüfung - im Falle von Glyphosat ist es Deutschland.
Das zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung hatte das Pflanzenschutzmittel bisher als nicht gesundheitsgefährdend bezeichnet. Es will neu prüfen, sobald die WHO-Daten vollständig vorliegen, und sie in die Gesamtbewertung des Wirkstoffs auf EU-Ebene einfließen lassen. Bei dem Institut selbst hieß es am Freitagnachmittag auf DW-Nachfrage, es sei bisher nur zu einer vorläufigen Stellungnahme bereit. Die Daten und die Untersuchungsmethode der Grünen-Stichproben müssten zunächst genauer analysiert werden; bei bisherigen Auswertungen lagen die Glyphosat-Gehalte immer deutlich unterhalb des gesundheitlich bedenklichen Bereichs.
Für die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn, ist die Lage eindeutig: "Die Bundesregierung muss Glyphosat aus dem Verkehr ziehen, bis die Frage der krebsauslösenden Wirkung geklärt ist", sagte sie am Freitag. Und Harald Ebner schloss sich an: "Jetzt muss wirklich Schluss sein mit der Glyphosat-Verharmlosung."