Verwildern Städte und Gemeinden?
22. Mai 2020Ulrich Eckhoff und Maria Stark gehören zur Graswurzelbewegung - im wahren Wortsinn. Stark plant naturnahe Gärten. Eckhoff ist Vorstandsmitglied des Ortsverbandes von Bündnis 90/ Die Grünen in Erftstadt. Als Mann der Basis hat er das Bündnis "Pestizidfreies Erftstadt" initiiert. Eckhoff und Stark haben das gleiche Ziel: Die heimische Flora und Fauna schützen und fördern.
Deutschlands Natur geht es nämlich nicht so prächtig. Das geht aus den Erhebungen hervor, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), kürzlich vorlegten. Sie basieren auf dem Monitoring von 14.000 Stichproben zwischen 2013 und 2018. Untersucht werden jeweils im Zeitraum von sechs Jahren Flora und Fauna zwischen Wattenmeer und Watzmann. Der Zustand der Buchenwälder sei gut, mehr Vögel werden in Wäldern und Siedlungen gesichtet.
"Wir erleben gerade in dieser Zeit, wie wichtig die Natur für uns sein kann", hatte die Ministerin mit Hinweis auf die Corona-Krise ihren Bericht "zur Lage der Natur" eingeleitet: "Jetzt, da Kinos, Kneipen, Konzerthäuser geschlossen haben, zieht es einen großen Teil der Menschen in die Natur, die Parks, die Wälder." Sie habe erfahren, so die SPD-Politikerin vor der Bundespressekonferenz, "dass die Natur mehr Wertschätzung erfährt und allen gut tut".
Dennoch reichen die bisherigen Bemühungen der EU-Strategie zur Wiederherstellung der Ökosysteme nicht, die die Europäische Union im Mai 2011 verabschiedet hatte. Und so legte auch die EU-Kommission rechtzeitig zum Internationalen Tag der Artenvielfalt (22.05.2020) ihre Strategie 2030 zur Biodiversität vor. Einen Entwurf zumindest, den Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen und Europäischen Bauernverbandes als "Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft" bezeichnete. Die Agrarwirtschaft trägt vor allem in der Viehzucht erhebliche Mengen Klimagase bei.
Besorgniserregend ist die Natur in der Agrarlandschaft auch, weil die Landwirte immer noch zu hohe Mengen Pflanzenschutzmittel einsetzen. Damit können die Ertrage erhöht, die Preise für Lebensmittel niedrig bleiben.
Pestizide sind sowohl für Maria Stark als auch für Uli Eckhoff ein Graus. Denn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf Äckern, gegen Grünbelag auf Fassaden, in Fugen und zur Bekämpfung von Schädlingen wie Nagern oder Insekten, trägt wesentlich zum Verlust der biologischen Vielfalt bei. Wildpflanzen und -tiere werden geschädigt, Nahrungsketten, Boden- und Wasserqualität und nicht zuletzt das ganze Ökosystem beeinträchtigt.
Pflanzenschutzmittel werden seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft, aber auch in privaten Gärten und auf kommunalen Grünflächen, Parkanlagen und Friedhöfen verwendet.
Und gerade Städte und Gemeinden haben eine Vorbildfunktion, befanden Umweltbundesamt (UBA) und der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) und riefen 2015 die Aktion "pestizidfreie Kommunen" ins Leben.
Lichtblicke gibt es: Über 500 Kommunen in ganz Deutschland bewirtschaften inzwischen ihre Flächen ganz oder teilweise ohne Biozidprodukte.
Das Spiel mit der Natur
Ulrich Eckhoff aus dem westdeutschen Rheinland und die am Bodensee beheimatete Maria Stark gehören zu den Botschaftern naturalistischer Bepflanzung, der eine ist ehrenamtlich im Einsatz, für die andere ist es Beruf und Berufung.
Beide kämpfen mit Leidenschaft gegen Unwissen, betreiben Aufklärung, um "Wildkrautbewuchs" bei der Planung von Flächen zu berücksichtigen und setzen sich für eine neues "Schönheitsideal" auf Straßen, Wegen und Plätzen ein.
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Der Grünen-Politiker hat vorrangig seine Gemeinde im Blick: "Sie ist landwirtschaftlich geprägt. Die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, hat großen Einfluss auf die Entwicklung der Natur. Damit verbunden sind das Insektensterben und der Rückgang der Artenvielfalt."
So haben Bürger der Kleinstadt, angeführt von Eckhoff, ihr Bündnis "Pestizidfreies Erfstadt" geschlossen, um den zerstörerischen Prozess aufzuhalten: "Wir haben damit große Aufmerksamkeit erregt, bei allen möglichen Bürgern aus politischen, religiösen und weltanschaulichen Richtungen. Auch Landwirte engagieren sich."
Für die Verwendung von Pestiziden gibt es ja nach Blickwinkel dreierlei Motivationen stellt Eckhoff fest: Bequemlichkeit bei der "Reinigung" von Terrassen und Gehwegen, Kostenaspekte für Kommunen und eine Notwendigkeit für Landwirte, um das von den Verbrauchern geforderte niedrige Preisniveau zu erreichen.
Einsichtige Landwirte: Was der Bauer für gut befindet setzt er in die Tat um
Einige Landwirte haben die langfristig schädigende Wirkung von Pestiziden erkannt und erste Erfahrungen damit gemacht, ungewollte Beikräuter auf Weizenfeldern mit mechanischen Harken zu entfernen. Durch die sanfte Bodenbearbeitung werde der Boden luftiger und weniger anfällig für Pilzbefall, berichtet Eckhoff.
Damit die Unkrautbekämpfung mechanisch und nicht chemisch erfolgen kann, soll nun ein entsprechendes Gerät, ein sogenannter Striegel, angeschafft werden. Dazu wurden bei dem europäischen Förderprogramm LEADER Zuschüsse beantragt. Die Ideen reichen sogar schon weiter: Eckhoff hat Landwirte sagen hören, auch andere Produkte wie die Erbsenaussaat mechanisch behandeln zu wollen.
Schwieriger sei es, so Eckhoff, die privaten Gartenbesitzer vom naturnahen Gärtnern und dem Wert der Unkräuter zu überzeugen. Aus ästhetischen Gründen legen sie ihre Beete nicht artenfreundlich an und setzen aus Unkenntnis Pestizide ein. In Eckhoffs Garten wachsen inzwischen Wildblumen, was aber nicht immer auf Verständnis in seinem Umfeld stößt.
Aus Schaden klug werden
Der Einsicht folgt meist der Wille zur Besserung, hat Maria Stark erfahren. Sie wird oft von verzweifelten Gartenbesitzer kontaktiert, deren Anlage sie nicht angelegt hat: "Sie glaubten, mit Kiesgärten und nur wenigen Pflanzen keine Pflege zu haben, aber in den Schotterwüsten sammelt sich im Herbst Laub. Das zersetzt sich zu Humus. Und darauf wachsen Allerwelts-Unkräuter."
Bei der Planung wählt Stark unter Berücksichtigung des heimischen Bodens regionaltypisches Saatgut aus, das Tiere anlockt. "Und bei Schulwegen achte ich zum Beispiel darauf, dass die Pflanzen nicht so hoch werden und die Sicht versperren", erläutert Maria Stark. Passe die Mischung, brauche es weder Dünger noch Unkrautvernichtungs- oder Schädlingsbekämpfungsmittel. Und dann beginnt sie, ein Pläydoyer für Blattläuse zu halten, die gemeinhin als Schädlinge verdammt werden: "Blaumeisen benötigen ungespritzte, unvergiftete Blattläuse und andere Insekten zur Aufzucht der Brut."
Jede Kommune oder Firma könne auf Pestizide verzichten, aber da müssten Mitarbeiter und Kunden überzeugt sein und Lust auf Natur haben", meint die Naturgartenplanerin. Sie berät renommierte Firmen, Privatleute und Kommunen zwischen dem Elsaß/ Frankreich und Innsbruck in Österreich. "Die Natur macht keine Fehler. Und wir müssen zurück zur Natur", sagt Maria Stark zum Abschied.
Das "Bündnis für eine pestizidfreie Stadt" konnte durchsetzen, dass im Bebauungsplan der Gemeinde für Neubaugebiete insektenfreundlich bepflanzte Vorgärten vorgeschrieben sind. Zusammen mit Gartenbauern und Landschaftsplanern erarbeiten Eckhoff und seine Mitstreiter Vorschläge für solche insektenfreundlichen Anlagen.
Auch Paris, Barcelona und Kopenhagen haben pestizidfreie Zonen eingeführt. In den USA haben sich Gemeinden zu den USA: Non toxic communities zusammengeschlossen. Urheber der Initiativen ist häufig das Pesticide Action Network (PAN). Dem Netzwerk gehören über 600 Nichtregierungsorganisationen, Institutionen und Einzelpersonen in über 90 Ländern an. Nach den jüngsten Ankündigungen von Bund und EU dürfte pestizidfreien Kommunen die Zukunft gehören.
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