Petry: "Ein ständiges Wechselbad zwischen Enttäuschung und Hoffnung"
20. Dezember 2013DW: Herr Petry, Sie sind heute (20.12.2013) aus dem Südsudan angekommen. Wie geht es Ihnen?
Martin Petry: Ich bin vor allem froh wieder da zu sein. Übernächtigt, nach der Anspannung der letzten Tag und der langen Reise, aber es geht mir gut.
Sie haben im Südsudan für eine Hilfsorganisation gearbeitet. Was haben Sie genau gemacht?
Ich habe für die niederländische Organisation Cordaid die Auswirkungen der Erdölindustrie für die Bevölkerung in den Bundesstaaten Upper Nile und Jonglei erforscht. Deshalb war ich in den vergangenen Jahren regelmäßig im Land. Am letzten Wochenende war ich schon auf der Rückreise in Juba, von wo aus es am Mittwoch über Äthiopien zurück nach Deutschland weiter gehen sollte.
Wie haben Sie den Ausbruch der Gewalt am vergangenen Sonntag erlebt?
Wir haben die Schüsse in der Nacht auf Montag nicht sofort gehört. Im unserem Hotel, das wie viele Gebäude in Juba nicht an das Stromnetz angeschlossen ist, gibt es einen sehr lauten Generator. Später gab es auch Artilleriefeuer, das man am Himmel leuchten sehen konnte. Der Generator wurde dann abgestellt und man konnte deutlich hören, wie heftig an mehreren Orten in der Stadt gekämpft wurde. Allerdings nicht in unmittelbarer Nähe unseres Hotels.
Wie haben Sie und Ihre Kollegen reagiert?
Den Montag haben wir damit verbracht, herauszufinden, was passiert ist. Wir haben den ganzen Tag telefoniert. Es gab aber fast keine Informationen. Am schlimmsten war dann die Nacht zu Dienstag. Zunächst war es ganz still und dunkel, da überall in der Stadt die Generatoren abgestellt waren. Die Schüsse waren noch lauter als in der Nacht zuvor. Offenbar gab es Verfolgungsjagden quer durch die Stadt. Oft war der Lärm ganz nah. Wir hatten große Sorge, dass jemand ins Hotel eindringen könnte. Das Gebäude besteht nur aus leichten Containern die keinen Schutz vor Gewehrfeuer bieten. Einige Mitarbeiter aus unserem Team gerieten in Panik und wollten sich eine Fluchtroute zum Flughafen bereitlegen. Dabei war klar, dass das noch viel gefährlicher war, als im Hotel zu bleiben.
Wann erfuhren Sie, dass Deutschland und andere Staaten ihre Bürger aus dem Südsudan ausfliegen würden?
Wir haben zunächst versucht, alle Ausländer in unserem Team bei uns im Hotel zu sammeln und sicherzustellen, dass unsere einheimischen Mitarbeiter wohlbehalten bei ihren Familien sind. Aber dann fielen die Handynetze aus. Wir hatten immerhin ein Satellitentelefon und waren eng in Verbindung mit der niederländischen und mit der deutschen Botschaft. Es hieß dann später von der Botschaft, dass wir evakuiert würden. Es wurde aber auch gesagt, dass es noch mindestens 36 Stunden dauern werde, bis die deutschen Maschinen da sein könnten. Ich hatte eigentlich wie mehrere Mitarbeiter einen Flug für Mittwoch gebucht. Aber es war unmöglich herauszufinden, ob diese Flüge gestrichen wurden oder nicht.
Wir sind dann am Mittwochmorgen zum Flughafen gefahren, nachdem klar war, dass der Weg dorthin sicher war. Auf dem kleinen Flughafen waren bereits Hunderte Ausländer, die alle raus wollten. Es stellte sich heraus, dass die meisten internationalen Fluggesellschaften nicht flogen. Es gab eine kleine kenianische Airline, die versprach, mit zusätzlichen Maschinen zu fliegen. Dort haben wir uns zunächst registriert. Dann flogen die aber doch nicht. Während der ganzen Zeit standen wir in der prallen Sonne. Das kleine Terminalgebäude war völlig überfüllt. Es war ein ständiges Wechselbad zwischen neuer Hoffnung und Enttäuschung.
Wie sind Sie schließlich an Bord eines Flugzeugs gekommen?
Wir entdeckten schließlich zwei Sonnenschirme, einen mit einer britischen und einen mit einer amerikanischen Fahne. Die Briten versprachen, uns mit einer Militärmaschine am Nachmittag mitzunehmen. Da haben wir neue Hoffnung geschöpft. Dann gab es aber einen erneuten Schreckmoment, als einer kenianischen Maschine das Fahrwerk brach und diese die Landebahn blockierte. Es mussten erst die Blauhelm-Soldaten kommen, um das Flugzeug abzuschleppen.
Wie erleichtert waren Sie, als Sie das britische Flugzeug sahen?
Als die britische Militärmaschine da war, gab es schon die nächsten Stresssituation. Zunächst hatte es geheißen, wir könnten Gepäck mitnehmen. Später hieß es: nur Handgepäck. Als die letzten der 250 Passagiere einstiegen, zu denen auch ich gehörte, wurde uns gesagt, wir müssten alles zurücklassen, es gebe selbst für kleinere Taschen nicht genug Platz. Ich konnte nur meinen Laptop und Mobiltelefone mitnehmen.
Die Stimmung im Flugzeug war extrem angespannt. Es gab nur wenige Sitzplätze. Die meisten Passagiere saßen in Sechserreihen auf dem Boden, mit Spanngurten festgeschnallt. Neben mir saß eine Familie aus Australien. Die beiden Eltern stammten aus dem Südsudan. Sie erzählten mir, sie seien als Kinder vor dem Bürgerkrieg geflohen. Nach 23 Jahren wollten sie zum ersten Mal wieder ihre Heimat besuchen. Sie waren am Samstag angekommen. Einen Tag bevor die Kämpfe ausbrachen! Der erste Besuch in der Heimat und wieder mussten sie vor dem Krieg fliehen!
Wohin wurden Sie gebracht? Und wie ging es dann weiter?
Die Briten haben uns nach Entebbe in Uganda geflogen. Es hieß von Anfang an: 'Wir bringen Euch hier raus. Von Entebbe müsst Ihr selbst sehen wie ihr weiterkommt. Cordaid hat für uns dann Flüge nach Amsterdam und für mich weiter nach Frankfurt gebucht. Von dort bin ich dann mit dem Zug gefahren.
Wissen Sie ob es Ihren Kollegen gut geht, die ausgereist oder weiter vor Ort sind?
Ja. Unser Teamleiter hat vorhin angerufen. Alle Ausländer sind jetzt evakuiert. Auch das Auswärtige Amt hat inzwischen angerufen und sich erkundigt, ob ich zu Hause angekommen bin.
Einer unser einheimischen Mitarbeiter ist mittlerweile mit seiner Familie nach Uganda ausgereist. Die anderen wollten bei ihren Familien bleiben. In den Regionen von Jonglei und Upper Nile, in denen wir vor allem gearbeitet hatten, ist es bisher ruhig geblieben. Ich hoffe, dass das so bleibt.