Die Wohlfahrtsbranche boomt
30. Juni 2013Fragt man im Ausland nach deutschen Großkonzernen, werden gerne Namen wie Volkswagen, die Deutsche Bank, Siemens, BMW oder Bayer genannt. Alles Unternehmen, die in Deutschland Tausende von Mitarbeitern beschäftigen. Die größten Arbeitgeber in Deutschland sind allerding weitgehend unbekannt: es sind - nach dem Staat - die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie.
Mehr als 1,5 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Bereich Wohlfahrt. Neben der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie gehören auch das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Paritätische Wohlfahrtsverband zu den Großen der Branche.
Sie betreiben Pflegeheime und mobile Pflegedienste, aber auch Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Schuldnerberatungen und Anlaufstellen für Einwanderer, Drogenabhängige oder Obdachlose - und bilden damit einen Grundpfeiler des deutschen Sozialstaates.
Gewinne sind verboten
Die erbrachten Leistungen werden zum allergrößten Teil vom Staat und den Sozialversicherungen bezahlt, im Bereich der Pflege auch von den Betroffenen selber.
Gewinne dürfen die Wohlfahrtsverbände nicht erwirtschaften - Überschüsse gibt es aber dennoch. "In vielen Einrichtungen kommt das Geld dann den Bedürftigen zugute - zum Beispiel im Bereich Infrastruktur, Ausstattung und vielem mehr", sagt Dominik Enste, Wohlfahrtsökonom vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Zum Beispiel errichten Pflegeheime mit dem Überschuss Grünanlagen für ihre Bewohner. Aber, so merkt Dominik Enste an: "Manchmal fließt das Geld auch in unsinnigere Bereiche, wie größere Büros oder Dienstwagen."
Gerade im Bereich der Pflege gibt es mittlerweile aber auch viele private Anbieter. Diese konkurrieren mit den Wohlfahrtsverbänden um Kunden. Doch die gesetzlichen Bedingungen, unter denen Private und Wohlfahrtsverbände arbeiten, sind nicht identisch. "Es gibt eine klare Ungleichbehandlung", sagt Bernd Tews vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa).
Wohlfahrtsverbände im Vorteil
Neben Steuervergünstigungen für die Wohlfahrtsverbände stört ihn vor allem eine gesetzliche Regelung. "Die Wohlfahrtsverbände können ehrenamtlich helfenden Personen aus dem Umfeld der Pflegebedürftigen steuer- und sozialversicherungsfreie Aufwandsentschädigungen zahlen. Diese Möglichkeit haben wir leider nicht."
Trotzdem ist die Anzahl der privaten Anbieter in den vergangenen Jahren stark angestiegen und hat den Anteil der Wohlfahrtsverbände auf dem Pflegemarkt schrumpfen lassen. 1999 betrug der Anteil der Privaten noch 51 Prozent, zehn Jahre später waren es bereits 62 Prozent, so das Statistische Bundesamt. Da die Anzahl der Pflegebedürftigen jedoch stetig wächst, muss sich niemand um zu wenige Aufträge sorgen - im Gegenteil.
Mehr Kopfzerbrechen bereitet den Pflegedienstleistern etwas anderes: "Wir haben keinen Wettbewerb um die Kunden, sondern vielmehr um die Fachkräfte", sagt Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied bei der Arbeiterwohlfahrt. Schätzungen des bpa gehen davon aus, dass aktuell etwa 50.000 Stellen in der Pflege nicht besetzt werden können, da es zu wenig ausgebildetes Personal gibt. Nun versucht die Bundesregierung gezielt aus dem Ausland, Pflegekräfte zu gewinnen. Erst kürzlich hat sie ein Abkommen mit den Philippinen unterzeichnet.
Pflege ist teuer
Da Pflege viel Geld kostet und die Pflegeversicherung nur für einen Teil der entstehenden Kosten aufkommt, müssen die Betroffenen und ihre Angehörigen einen Teil der Kosten tragen. "Eine legale Rund-um-die-Uhr-Betreuung im häuslichen Umfeld kostet schnell 4000 bis 8000 Euro, wenn man die Pflegekräfte regulär beschäftigt", so Wohlfahrtsökonom Enste.
Daher hat sich neben Wohlfahrtsverbänden und privaten Pflegediensten eine dritte Gruppe von Anbietern gebildet. Ausländische Betreuerinnen, vornehmlich aus Osteuropa, werden von Vermittlern monatsweise zu deutschen Senioren geschickt. Offiziell sind sie aber in ihrem Heimatland angestellt und werden "entsendet". In Deutschland verdienen sie dann mehr als in ihrer Heimat - aber deutlich weniger, als in der Bundesrepublik üblich.
"Da ist offensichtlich ein Bedarf, und dieser Bedarf wird gedeckt", sagt Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied bei der Arbeiterwohlfahrt. "Es gibt da oftmals Schelte, aber der würde ich mich nicht anschließen."
Aktuell gibt es rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. 2030 werden es eine Million Menschen mehr sein. Mit den heutigen Finanzierungsmodellen scheint dieser Anstieg bei gleichzeitigem Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung kaum zu bewältigen. Zukünftig wird die Gesellschaft also noch mehr Geld in die Pflege investieren müssen - zum Nutzen der Pflegebedürftigen und der Wohlfahrtsverbände.