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Merck mit Frau an der Spitze

3. Mai 2021

Seit dem 1. Mai ist die Spanierin Belén Garijo Chefin des deutschen Pharma- und Chemiekonzerns Merck. Sie ist damit die erste Frau, die allein an der Spitze eines Dax-Unternehmens steht.

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Belen Garijo
Belén Garijo steht ab dem 1. Mai 2021 an der Spitze des Pharma- und Chemiekonzerns MerckBild: Bernd Hartung/Merck/picture-alliance/dpa

Eines vorweg: Dass in diesen Tagen so viel über den Aufstieg der Managerin Belén Garijo an die Konzernspitze von Merck geschrieben wird, beweist nur, dass Frauen in Führungspositionen immer noch einen langen Weg vor sich haben.

Die erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens überhaupt war die US-Amerikanerin Jennifer Morgan, die sich ab Herbst 2019 nur ein halbes Jahr lang die Top-Position beim Softwarekonzern SAP mit einem Mann teilte, bevor sie das Unternehmen verlassen musste.

Garijo wird den Chemie- und Pharmakonzern Merck dagegen allein führen. Sie finde es aber "nicht so wichtig", die erste Frau in dieser Position zu sein, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Für mich ist es wichtiger, dass ich nicht die letzte Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns sein werde - und nicht die einzige."

Zum 1. Mai löste Garijo ihren Vorgänger Stefan Oschmann ab, als dessen Stellvertreterin sie im vergangenen Jahr rund 6,3 Millionen Euro verdient hat. Ihre übrigen Vorstandskollegen sind allesamt Männer.

Nicht besser sieht es in den Führungsgremien der 160 deutschen Konzerne aus, aus denen sich die Börsenindizes für große (Dax), mittelgroße (MDax) und kleine Aktiengesellschaften (SDax) zusammensetzen. Der Frauenanteil unter den Vorständen lag zu Jahresbeginn bei 11,5 Prozent, hat die Beraterfirma EY berechnet.

Gleichberechtigung? Vielfalt!

Bei Merck will Garijo auch die Strukturen verändern, die Frauen davon abhalten, noch oben zu streben. Derzeit liege der Frauenanteil in Führungspositionen konzernweit bei 35 Prozent, doch Managerinnen sähen weitere Karriereschritte oft als problematisch für ihr Privatleben an, etwa als Hindernis für eine Familiengründung, sagt Garijo. "Das müssen wir ändern, damit uns die Talente nicht verlorengehen."

Belen Garijo
Diskutiert nicht gern "mit Klonen von sich selbst": Belén Garijo, die neue Vorstandsvorsitzende von MerckBild: Markus Scholz/picture-alliance/dpa

Von einer Frauenquote hält die 1960 in der spanischen Kleinstadt Almansa geborene Garijo allerdings nichts: "Ich bin gegen jede Diskriminierung, positive wie negative."

Auch sei die Gleichberechtigung von Männern und Frauen für sie "nur eine Art Eisbrecher". Ihr Ziel sei die Vielfalt, also "noch viel mehr unterschiedliche Menschen in verantwortliche Positionen zu bringen".

Führungskräfte neigen dazu, Mitarbeiter einzustellen oder zu fördern, die ihnen ähnlich sind. Garijo will dieses Verhalten durchbrechen, weil man "mit Klonen von sich selbst keine besonders interessanten Gespräche führen" könne. "Interessant wird es immer dann, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein Thema schauen. Das bringt uns voran."

Breite Produktpalette

Die Medizinerin Belen ist mit einem Arzt verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Ihre Karriere führte sie von einem Madrider Krankenhaus zum US-Pharmakonzern Abbott und danach in mehreren Stationen zum französischen Branchenriesen Sanofi.

Seit 2011 ist sie beim Merck, wo sie ab 2015 die Pharmasparte leitete. Die Merck KGaA, eine Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Sitz in Darmstadt, sollte nicht verwechselt werden mit dem US-Konzern Merck & Co Inc. Die Amerikaner verfolgen ihre Wurzeln zwar ebenfalls zur deutschen Industriellenfamilie Merck zurück, sind aber seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ein eigenständiges Unternehmen.

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Am Hauptsitz in Darmstadt arbeiten 11.000 der weltweit 58.000 BeschäftigtenBild: picture alliance/dpa/A. Dedert

Zu Garijos Hauptaufgaben als Merck-Chefin wird es gehören, den Konzern mit seinen gut 58.000 Mitarbeitern und zuletzt 17,5 Milliarden Euro Jahresumsatz auf Wachstumskurs zu halten.

Das Unternehmen ist breit aufgestellt und vertreibt Arzneien gegen Krebs, Unfruchtbarkeit und Diabetes ebenso wie Laborausrüstung für Forscher, Lacke für Autos und Pigmente für Kosmetik sowie Flüssigkristalle für Smartphone- und TV-Displays.

Eine solche Vielfalt ist ungewöhnlich für börsennotierte Konzerne, die von ihren Investoren oft gezwungen werden, sich aufzuspalten und auf ein Kerngeschäft zu konzentrieren.

Dass Garijo hier freier agieren kann, liegt an den Besitzverhältnissen im Unternehmen. Die Familie Merck kontrolliert rund 70 Prozent des Gesamtkapitals. Größere Aktienpakete halten zudem die Vermögensverwalter Blackrock (7,4 Prozent) und MFS (4,9) aus den USA sowie DWS (4) aus Deutschland.

"An vorderster Front" gegen Corona

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie sieht die neue Chefin ihr Unternehmen "an vorderster Front", denn Merck beliefere "mehr als 50 Impfstoffhersteller, mehr als 35 Diagnostikunternehmen und 20 Entwickler von Therapeutika", unter anderem mit Einwegbeuteln, Membranen und Filtern für die Vakzin-Produktion.

Besonders gefragt sind derzeit Lipide, die beim Corona-Impfstoff von BiontechPfizer die mRNA-Botenstoffe beim Transport in den Körper umhüllen. Garijo will die Produktion schnell ausweiten. "Wir haben bereits im zweiten Quartal Aufträge vorgezogen und werden in der zweiten Jahreshälfte unsere Lieferungen weiter ausbauen, um den hohen Bedarf an dringend benötigten Lipiden für Biontech und unsere anderen Kunden zu decken", sagte die der Deutschen Presse-Agentur.

Schon als Chefin der Pharmasparte hatte Garijo Allianzen mit Pfizer und anderen Firmen geschlossen und das Arznei-Portfolio neu ausgerichtet: weg von rezeptfreien Arzneien, dafür viel Geld für die Entwicklung neuer Medikamente, etwa gegen Krebs und Multiple Sklerose.

Stefan Oschmann
Unter Garijos Vorgänger Stefan Oschmann kaufte Merck den Chip-Spezialisten VersumBild: Hasan Bratic/picture-alliance/dpa

Unternehmenswert steigern

Garijos Vorgänger hatten zudem viel Geld ausgeben, um Firmen zu übernehmen: 2015 den Laborausrüster Sigma-Adrich für umgerechnet 13 Milliarden Euro, 2019 dann den Halbleiterzulieferer Versum für rund sechs Milliarden Euro.

"Das war ein genialer Schritt, um das Geschäft komplett neu auszurichten", lobte Garijo den Zukauf von Oschmann. Nun profitiert der Konzern von der Forschung an Corona-Impfstoffen und dem großen Bedarf an Mikrochips in der Digitalisierung.

Garijo kündigte an, ebenfalls ein "sehr aktives Portfoliomanagement" zu betreiben. "Wir schließen große, transformative Zukäufe ab 2022 nicht aus." Wahrscheinlicher seien aber "kleinere bis mittelgroße ergänzende Akquisitionen von innovativen Technologien".

Bei Käufen und Verkäufen von Geschäftsteilen hat Merck seit 2007 fast 50 Milliarden Euro bewegt und den Börsenwert stark gesteigert. Damals kostete eine Aktie fast 50 Euro, heute knapp 150 Euro.

Und Garijo weiß, dass der Unternehmenswert der Gradmesser für ihren Erfolg ist. Denn Kapitalgebern ist es letztlich egal, ob ihr Geld von einem Mann oder einer Frau vermehrt wird.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.