Kabinettsmehrheit für sanften EU-Abschied?
16. Juli 2017In der britischen Regierung zeichnet sich nach den Worten von Finanzminister Philip Hammond (Artikelbild) eine Mehrheit für eine Übergangsphase beim Austritt aus der EU ab. Noch vor fünf Wochen sei diese Idee komplett neu gewesen, sagte der Finanzminister dem Sender BBC. Mittlerweile könne sich aber fast jeder am Kabinettstisch vorstellen, dass es eine Art Übergangszeit gebe. Diese Phase werde voraussichtlich einige Jahre dauern. Ihre Länge hänge davon ab, wie viel Zeit benötigt werde, neue Strukturen zu schaffen. Hammond gilt im Gegensatz zu Premierministerin Theresa May und Brexit-Minister David Davis als Verfechter eines "weichen Brexits". Hammond strebt weiterhin einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt an - und sieht auch Zugeständnisse in der Einwanderungspolitik vor.
Jeden Monat eine Woche Brexit-Verhandlungen
Am Montag beginnt in Brüssel die erste Verhandlungswoche um die Scheidungsvereinbarung zwischen der EU und Großbritannien. EU-Chefunterhändler Michel Barnier und der britische Brexit-Minister Davis kommen im Kommissionsgebäude Berlaymont mit ihren Arbeitsstäben zusammen, um den Fahrplan für die weiteren Runden bis zum britischen Austrittsdatum am 29. März 2019 festzulegen. Eine Woche lang soll nun jeden Monat verhandelt werden. Denn um einen geordneten Austritt hinzubekommen, müssen die Verhandlungen bis Oktober 2018 abgeschlossen sein, damit die Ergebnisse termingerecht in allen EU-Staaten ratifiziert werden können.
Zu Beginn wird über die die Rechte von britischen und EU-Bürgern im jeweils anderen Hoheitsgebiet, die britischen Finanzverpflichtungen gegenüber der EU sowie über den Umgang mit der künftigen EU-Außengrenze zwischen Nordirland und Irland verhandelt. Anschließend soll das von Großbritannien gewünschte Freihandelsabkommen Thema sein. Dieses ist von besonderer Bedeutung für Großbritannien, da das Land den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen will.
EU mit Tempo auf britischer Seite unzufrieden
Erschwert werden die Verhandlungen durch die politische Lage in Großbritannien, wo Premierministerin May nach der Parlamentswahl im Juni ihre absolute Mehrheit verloren hat und nun auf die Unterstützung einer kleinen nordirischen Partei angewiesen ist.
Brüssel ist vor allem über den Streit über die Brexit-Rechnung verärgert. Und auch bei der sogenannten Freizügigkeit gibt es massive Differenzen. Barnier und der Chefunterhändler des Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, haben die Vorschläge Mays zu den Rechten der drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien nach dem Brexit als zu vage und unzureichend kritisiert. Ziel sei es, das gleiche Schutzniveau für die Bürger zu verankern wie im EU-Recht, sagt Barnier.
Die Freizügigkeit ist auch für die britische Wirtschaft wichtig, die auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. In Großbritannien leben 3,2 Millionen EU-Bürger. Die EU fordert, dass ihre Bürger nach fünf Jahren im Land ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen und Leistungen aus dem britischen Sozial- und Rentensystem beziehen können. Ein Angebot der britischen Premierministerin, das eine Art Sonderstatus für die EU-Bürger vorsieht, geht Brüssel nicht weit genug. London will hingegen nicht akzeptieren, dass die EU-Bürger ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen können.
Britische Wirtschaft sorgt sich um negative Folgen
In der britischen Finanzindustrie, einer der Schlüsselbranchen in Großbritannien, beginnt die Abwanderung, Banken verlagern b bereits Jobs in die verbleibenden 27 EU-Länder. Denn nach dem EU-Austritt brauchen in London ansässige Finanzinstitute eine eigene Gesellschaft mit Banklizenz in einem EU-Land, um ihre Produkte und Dienstleistungen in den verbleibenden Staaten vertreiben zu dürfen.
pab/qu (afp, dpa, rtr)