Picknick mit Mélenchon
18. April 2017Er ist ein großer Verführer - Jean-Luc Mélenchon kann Menschen amüsieren, für sich einnehmen, interessieren, überzeugen. Das macht ihn nach den Fernsehdebatten zum König der Umfragen. Viele sehen in ihm einen begnadeten Wahlkämpfer.
So tänzelt er auch an diesem sonnigen Nachmittag wie ein Boxer über die Bühne am Ufer der Garonne, vor sich eine Menge von einigen tausend Zuschauern, die er zum "politischen Picknick" eingeladen hat. Nur der Proviant fehlt. Auf der Wiese zu sitzen und Sandwiches zu essen, ist in Frankreich nicht üblich, alle Flaschen wurden am Eingang von den Ordnern konfisziert. Es ist einzig an Mélenchon, die Zuschauer für sich einzunehmen. Es ist eine der letzten Gelegenheiten für den unabhängigen Präsidentschaftskandidaten, die Menschen betrunken zu reden mit seiner Vision von einem linkssozialistischen - seine Gegner sagen "kommunistischen" - Frankreich.
Nur noch bis Freitag dauert der französische Wahlkampf. Dann ist es an den Franzosen, über die beiden Kandidaten zu entscheiden, die im Mai in einer Stichwahl gegeneinander antreten werden. Und so warten die Menschen nicht nur im traditionell linken Toulouse, sondern im ganzen Land mit angehaltenem Atem auf das Ergebnis der ersten Wahlrunde.
Hoffnung auf den Sieg
"Das Spiel ist noch nicht entschieden, es geht um alles", sagt Leila Chaibi. Sie war eine der Aktivistinnen der "Nuit Debout"-Demonstrationen im vorigen Jahr in Paris. Zusammen mit anderen jungen Franzosen kämpfte sie gegen die Arbeitsmarktreformen von Präsident Francois Hollande. Im Herbst hängte sie ihren Job in der Wohnungsverwaltung einer Pariser Vorstadt an den Nagel und arbeitet seitdem im Wahlkampfteam von Jean-Luc Mélenchon.
"Wir sind jetzt in der letzten Phase", sagt Leila begeistert. "Wir kämpfen um die Wähler, die beim letzten Mal für Francois Hollande gestimmt haben." Sie steht ganz und gar hinter Mélenchons Programm zum fundamentalen politischen und wirtschaftlichen Umbau Frankreichs. "Es ist weniger militant als 2012", meint sie. Bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren bekam Mélenchon nur rund elf Prozent der Stimmen. Derzeit sehen ihn die Umfragen bei 20 Prozent. "Uns unterstützen vor allem junge Leute, kleine Ladenbesitzer, Arbeiter", erklärt Leila. Will Frankreich, immerhin zweitgrößte Wirtschaft in der Europäischen Union, also einen politischen Umsturz? Für Laila beantwortet sich diese Frage von selbst: "Neun Millionen leben unter der Armutsgrenze, 10 Prozent sind seit Jahren arbeitslos."
Eric Coquerel ist Teil des Führungskaders der Bewegung Mélenchons. Er verteidigt sein Wirtschaftsprogramm als seriös: "Wir wollen ein Ende der Sparpolitik. Es ist ein Keynesianisches Programm: Milliardeninvestitionen im öffentlichen Haushalt führen zu mehr Arbeit, steigenden Löhnen, mehr Konsum. Am Ende bezahlen sie sich von selbst." Investiert werden soll etwa in den Umweltschutz und in die Sozialfürsorge. Woher das Geld kommen solle? "Von den Banken", antwortet Coquere. Im Prinzip gehe es um Umverteilung. Die Details bleiben jedoch vage. Nachfragen wischt der Wahlkämpfer beiseite.
Gegen Merkels Europa, die NATO und den Rest der Welt
Auf der großen Bühne spielt Jean-Luc Mélenchon unterdessen mit dem Publikum: "Wollt ihr ein Leben mit weniger Arbeit?" "Ja", ruft die Menge. Sie lässt sich auch zu "Aufhören, Aufhören"-Rufen animieren, wenn es um Finanzkapitalismus, Neoliberalismus und andere Schreckgespenster der Linken geht. Dabei betont Mélenchon die Unterschiede zu seiner rechtsextremen Gegnerin Marine Le Pen. Dabei wirbt auch er mit einem Austritt aus der EU, will allerdings erst versuchen, die Verträge neu zu verhandeln.
Wenn das nicht klappt, könne Frankreich sich mit Ländern in Afrika und Lateinamerika internationalistisch verbünden. Damit befindet sich Mélenchon in Tradition des kommunistischen Vordenkers Karl Marx, der die länderübergreifende Vereinigung der Arbeiterklasse propagierte. Die konservative Tageszeitung "Le Figaro" greift diese Komponente in einer spitzen Überschrift auf: "Das irre Programm des französischen Chávez". Damit spielt das Blatt auf den verstorbenen Staatspräsidenten und linken Politiker Venezuelas an.
Wie Le Pen will auch Mélenchon Frankreich aus der NATO führen. Er schwärmt von einer weltumfassenden Friedenspolitik ohne Waffen. Und er greit seine politischen Gegner an: "Wenn Francois Fillon, der für gut geschnittene Jacketts schwärmt, mich einen Kommunisten nennt - dann lassen wir ihm von den Wählern eine handgenähte Jacke verpassen". Die Attacke sitzt. Der konservative französische Präsidentschaftskandidat ließ sich von einem Gönner Maßanzüge im Wert von mehreren Tausend Euro schenken.
Unentschlossen in Toulouse
Am Flussufer sitzen die Freunde Amaury, Simon und Paul, die gemeinsam in einem Start-Up Unternehmen arbeiten. Nur Paul unterstützt offen Mélenchon, aber weniger weil er sein Programm für realistisch hält, sondern weil Frankreich umgekrempelt werden müsse. "Eine bessere Verteilung des Reichtums und ein anderes Wirtschaftsmodell wären gut", meint er. Man müsse es eben mal probieren. Amaury dagegen findet, der sozialistische Politiker gehe zu weit. Man müsse Dinge ändern, klar, sagt er. Aber er werde auf keinen Fall für Mélenchon stimmen. Simon wiederum zuckt die Schultern. Er guckt sich das Spektakel an, um sich eine Meinung zu bilden, hat sich aber noch für keinen Kandidaten entschieden. Damit gehört er zu den rund 30 Prozent unentschlossener Franzosen.
Unterdessen redet Mélenchon vom Ende des Präsidialsystems, einer sechsten Republik, einer Verfassungsänderung für Frankreich. Nach einer Stunde beginnen die ersten Zuhörer abzuziehen. "Die Jungen haben keine Ausdauer mehr, das reicht nur noch für einen Tweet", schimpft ein älterer Zuschauer in roter Trainingsjacke. Dabei verdankt Mélenchon seine Haupterfolge bei den Wählern zwischen 18 und 30 gerade seinem cleveren Social-Media-Team, das Mélenchons Blog, seinen YouTube-Kanal und den Twitter-Account professionell betreibt.
Die beiden jungen Ingenieure Juliette und Remy wissen trotzdem nicht, wem sie ihre Stimme geben sollen. Während in den Reihen gleich vor der Bühne begeisterte Anhänger blau-weiß-rote Fahnen schwingen, halten sie sich eher im Hintergrund. Von Mélenchon sind die beiden nicht überzeugt. "Ein paar seiner Themen finde ich gut - zum Beispiel Feminismus und Sozialpolitik", sagt Juliette. Aber sie will auf keinen Fall die EU verlassen und hält das Wirtschaftsprogramm für Unsinn. "Wir wählen ihn sicher nicht. Aber wen dann?", fragt sie. Beide haben jedenfalls Angst, wie viele unter den Zuschauern, dass sie in einer Stichwahl zwischen zwei Extremen entscheiden müssten. Das könnte passieren, wenn nach der ersten Wahlrunde nur der linke Mélenchon und die rechtsextreme Le Pen übrig blieben. Remy fürchtet: "Frankreich würde ins Chaos fallen."