Pille gegen Alkoholismus
2. November 2013DW: Professor Mann, Sie haben Versuche mit Alkoholikern durchgeführt, haben Ihnen den Wirkstoff Nalmefen verabreicht. Wie sind die Ergebnisse?
Prof. Karl Mann: Im Gegensatz zu einer Kontrollgruppe, die ein Placebo bekommen hat, konnten wir bei den Probanden, die Nalmefen genommen haben, feststellen, dass sie ihren Alkoholkonsum tatsächlich signifikant stärker reduzieren konnten.
Ist es denn dabei egal, wie ausgeprägt der Alkoholismus ist, und wie lange der oder die Betroffene schon trinkt?
Das wäre die nächste Frage. Wir mussten zunächst einmal zeigen, ob der Ansatz überhaupt eine Chance auf Erfolg hat, und das haben wir in dieser Studie gesehen. Es gibt noch zwei weitere ähnliche Studien. Eine lief sogar über ein ganzes Jahr und hat die gleichen guten Ergebnisse gebracht. So können wir sagen, das ist ein sehr interessanter Ansatz.
Bezogen auf den Zusammenhang von Dauer der Abhängigkeit und Wirkung der Therapie haben wir schon einige Hinweise. Beispielsweise haben Leute, die größere Trinkmengen konsumiert hatten, besser reagiert als diejenigen, die zwar abhängig waren, aber weniger große Trinkmengen zu sich genommen hatten.
Bei einigen Patienten reicht schon der Gang zum Hausarzt, der die Leberwerte kontrolliert, um den Alkoholkonsum zu reduzieren. Das klappt aber nur bei etwa 20 Prozent der Betroffenen. Bei den anderen 80 Prozent ist es sinnvoll, es mit der Pille zu probieren.
Aber die Pille hat nicht dazu geführt, dass Ihre Probanden ganz mit dem Trinken aufgehört haben?
Nur ganz wenige haben das geschafft. Die anderen haben auf 40 Prozent des ursprünglichen Volumens reduziert. Das hat mich selbst auch überrascht, denn ich komme auch aus der Tradition, die sagt: "Jemand, der alkoholabhängig ist, muss abstinent sein. Alles andere bringt nichts." Hier haben wir über ein halbes Jahr hinweg Daten erheben können, die zeigen, dass die Leute, obwohl abhängig, tatsächlich unter Umständen massiv reduzieren, und dass es ihnen danach gesundheitlich, aber auch in ihrem Sozial- und Arbeitsleben besser geht.
Reicht für die Therapie die Einnahme des Medikaments oder gehört dazu ein Gesamtpaket mit Psychotherapie?
Die Pille gehört zu einem Gesamtpaket, zu dem aber die Psychotherapie im engeren Sinne nicht zählt. Diese kann nur einer begrenzten Zahl von Patienten angeboten werden. Die Mehrzahl der zwei Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland kommt nicht in den Genuss einer Psychotherapie oder will sie auch gar nicht.
Der Hausarzt verordnet das Medikament und zusätzlich psychosoziale Betreuung. Er fragt, wie es dem Patienten geht, prüft die Leberwerte, motiviert im Gespräch und bezieht die Angehörigen, den Ehepartner unter Umständen mit ein. Alles das gehört dazu.
Wie wirkt eigentlich dieser Wirkstoff Nalmefen, was bewirkt er?
Nalmefen ist ein Stoff, der unser körpereigenes Opiatsystem reguliert. Endorphine oder endogene Opiate sorgen dafür, dass wir uns wohl fühlen, dass wir Lust empfinden und dass wir, zum Beispiel wenn wir Alkohol trinken, guter Stimmung sind. Das Medikament blockiert diese gute Stimmung und diese Ausgelassenheit, die der Alkohol normalerweise beim Menschen bewirkt. So wird der Konsument nach einem oder zwei Glas Wein dieses positive Feedback nicht mehr verspüren, und dann gibt es eigentlich keinen Grund mehr weiterzutrinken.
Lässt sich das denn auch auf andere Suchtkrankheiten übertragen, auf sogenannte "harte Drogen" oder auf Tabakkonsum oder Essstörungen?
Wir wissen schon länger, dass diese Substanzen auch bei Drogenabhängigen funktionieren. Wenn die Substanz die Rezeptoren im Gehirn blockiert, kann beispielsweise auch Heroin nicht mehr ansetzen. Neu ist, dass sie jetzt auch beim Alkohol eingesetzt wird, und dass sie nicht nur an die absolute Abstinenz gekoppelt ist, sondern dass sie auch zu einer Reduktion führen kann.
Sie bezeichnen sich als einen Mann der alten Schule, waren früher der Meinung, dass man dem Alkohol ganz abschwören müsse. Was bringt der Einsatz von Medikamenten gegenüber diesem klassischen "kalten Entzug"?
Der entscheidende Punkt ist, dass wir mit den klassischen Vorgehensweisen nur ungefähr zehn Prozent der Betroffenen wirklich erreicht haben. Das ist irrsinnig. Wenn der Hausarzt diesen neuen Ansatz nutzt, schaffen wir es vielleicht, diese Zahl auf 20 bis 30 Prozent hochzuschrauben. So könnten wir nicht nur mehr Menschen helfen, sondern auch die körperlichen und sonstigen Konsequenzen des Alkoholkonsums reduzieren. Das würde wahrscheinlich auch Kosteneinsparungen für das Gesundheitswesen bedeuten.
Prof. Dr. Karl Mann ist ärztlicher Direktor am Institut für seelische Gesundheit in Mannheim. Er arbeitet an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin.
Die Fragen stellte Tobias Oelmaier.