Pistole im Lippenstift
19. Juli 2002Das Projekt führte frühere Feinde zusammen: Veteranen des CIA und einstige KGB-Mitglieder. Ihr Ziel war es nicht, eine Zunft zu glorifizieren, die ohnehin schon durch Film und Literatur von zahlreichen Mythen und Legenden umrankt ist. "Vielmehr soll die Öffentlichkeit über Geschichte und Aufgaben der Spionage aufgeklärt werden", sagt Museumsdirektor Peter Earnest, selbst ein langjähriger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes.
Nach vierjähriger Bauzeit geöffnet
Das neue Museum beansprucht für sich, die weltweit umfassendste Präsentation eines Berufsstandes zu sein, der durch die Jahrhunderte kreative Höchstanstrengungen vollbracht hat, um den jeweiligen Feind auszutricksen. Auf 6000 Quadratmetern Fläche zeigt das International Spy Museum, wie sich Techniken und Methoden im Laufe der Geschichte wandelten und wie Ausbildung und Aufgabengebiete des modernen Agenten aussehen.
Lippenstiftpistole namens Todeskuss
Auf besonderes Interesse des Publikums dürften dabei die vielen Kuriositäten aus dem Instrumentenkoffer des Geheimagenten stoßen. Sie belegen, dass die Realität oft gar nicht so weit von der Fiktion entfernt ist. Aus US-Produktion stammt etwa die im Feuerzeug versteckte Kamera. Der Sowjetspion kam bisweilen mit der Mini-Pistole im Lippenstift oder der Giftspritze im Regenschirm daher. Gern installierte er auch Minisender in Schuhabsätzen, um die Wege des Schuhträgers verfolgen zu können. Und die Stasi verfügte über die tschechische Spezialkamera Robot TI-340, mit der Agenten durch Löcher in der Wand "geheime Geschehnisse" in benachbarten Hotelzimmern fotografieren konnten.
Deutsche Abteilung kommt nicht zu kurz
Zu sehen gibt es auch ein Exemplar der legendären "Enigma"-Chiffriermaschine der Nazis. Der schreibmaschinenähnliche Kasten galt damals als Wunderwerk, da er billionenfache Verschlüsselungsmöglichkeiten bot. Einem Team britischer Spezialisten gelang es schließlich dennoch den Code zu knacken.
Der Spionage im Kalten Krieg widmet das Museum eine eigene Abteilung. Berlin als damaliger Tummelplatz von Agenten aus Ost und West steht im Zentrum. Erzählt wird etwa die Geschichte des 583 Meter langen Spähtunnels zu einer Telefonanlage der Sowjets nach Treptow, über den Amerikaner und Briten 1955 mehrere hunderttausend Telefonate abhörten und tonnenweise Telexe abfingen. Geschildert werden auch die Aktivitäten der Stasi, die von den Museumsmachern nüchtern als "effektivster" Dienst der damaligen Zeit im Sammeln von Informationen aus dem In- und Ausland bezeichnet wird.
Interaktive Beteiligungsmöglichkeiten
Das Museum setzt viel daran, möglichst plastische Eindrücke aus der dunklen Welt der Maulwürfe zu vermitteln und dem Besucher interaktive Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. So kann jeder Gast versuchen, einen Code zu entschlüsseln oder getarnte Agenten zu identifizieren. Und damit Kinofans nicht zu kurz kommen, finden sich neben den echten Spionageartikeln auch eine Nachbildung des Aston-Martin-Sportwagens aus dem James-Bond-Film "Goldfinger".
Das International Spy Museum kostete 36 Millionen Dollar und liegt nahe der Mall, der Grünanlage im Herzen Washingtons. Direktor Earnest sieht in der US-Haupstadt den idealen Standort für sein Museum, denn "in dieser Stadt gibt es immer Spionageaktivitäten". Auch in eben dem Moment, in dem er dies sage, deponiere wieder irgendein Agent in der Stadt an geheimer Stelle seine Informationen, fügt er vielsagend hinzu. Doch das CIA muss sich keine Sorgen machen: Um den Geheimdienst nicht in Schwierigkeiten zu bringen, werden allzu neuartige und als geheim eingestufte Technologien selbstverständlich nicht gezeigt. (fro)