Abschied von den Waffen?
28. Februar 2015Von einer "historischen Willenserklärung" sprach der türkische Kurdenpolitiker Sirri Süreyya Önder am Samstag nach einem Treffen mehrerer kurdischer Parlamentarier mit dem türkischen Vizepremier Yalcin Akdogan und anderen Regierungsvertretern in Istanbul. Önder verlas eine Erkärung des seit 1999 inhaftierten Öcalan, der sei mehr als zwei Jahren mit der türkischen Regierung über eine friedliche Beilegung des Kurdenkonflikts verhandelt. Demnach soll die PKK bei einem Kongress im Frühjahr den Abschied von den Waffen formell beschließen.
Hoffnung auf Frieden
Die Aussicht auf ein Ende des blutigen Kurdenkonfliktes ist eines der wichtigsten innenpolitischen Themen in der Türkei kurz vor der Parlamentswahl am 7. Juni diesen Jahres. Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen mit Öcalan vor dem Wahltag würde der Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu großen Rückenwind sichern, schätzt der Meinungsforscher Adil Gür. Neben der Wirtschaftslage sei der türkisch-kurdische Friedensprozess für viele Menschen der entscheidende Faktor bei der Wahlentscheidung, sagte Gür der Deutschen Welle.
Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die blutige Vergangenheit: Mehr als 40.000 Menschen verloren ihr Leben, seit die PKK unter Öcalan im Jahr 1984 zu den Waffen griff. In den vielen Jahren des Krieges wurden mehrere tausend Dörfer im südostanatolischen Kurdengebiet zerstört, Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land oder in Europa. Zeitweise trug die PKK den Terror in den Rest der Türkei, während der türkische Staat mit außergerichtlichen Hinrichtungen gegen Kurden vorging - viele tausend Verbrechen sind bis heute ungeklärt. Millionen Türken wuchsen im Schatten des Krieges auf.
Unklarheit über Zugeständnisse
Erst vor wenigen Jahren setzte sich auf beiden Seiten die Überzeugung durch, dass der Konflikt mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen ist. Als der Geheimdienst MIT auf Weisung des damaligen Premiers und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende 2012 die Geheimverhandlungen mit Öcalan begann, ging es vor allem um eine Waffenruhe, die seit dem Frühjahr 2013 in Kraft ist und mehr oder weniger eingehalten wird. Jetzt ist eine neue Dimension greifbar, ist die Regierung sicher: Es gebe die Chance auf eine demokratischere Türkei, erklärte Davutoglu am Samstag.
Doch noch ist wenig über die Inhalte der Verhandlungen zwischen dem MIT und Öcalan bekannt. Die Kurden fordern mehr regionale und kulturelle Selbstbestimmung und mehr Sprachfreiheit, vor allem im Bildungsbereich. Auch eine Neudefinition des bisher türkisch-nationalistisch geprägten Staatsbürgerbegriffes gehört zum Forderungskatalog. Zudem wird über eine Amnestie für PKK-Mitglieder und über eine Freilassung Öcalans spekuliert. Doch zu welchen Zugeständnissen Ankara wirklich bereit sein könnte, ist unklar.
Skepsis und Kritik
In den Reihen der PKK und der politischen Vertretung der türkischen Kurden wurde die Erklärung vom Samstag deshalb skeptisch und zurückhaltend aufgenommen. Mustafa Karasu, ein Mitglied der PKK-Führung, forderte konkrete Schritte der Türkei. Zugleich warf er Ankara vor, den Eindruck verbreiten zu wollen, dass der Gewaltverzicht der PKK bereits beschlossene Sache sei. Ähnlich äußerte sich Selahattin Demirtas, der Chef der Kurdenpartei HDP.
Die eigentlichen Verhandlungen müssten jetzt beginnen, betonte er. Ankara müsse durch eine "Ausweitung der Grundfreiheiten" ein Zeichen setzen. Nach Ansicht von Kritikern ist Ankara allerdings gerade dabei, das Gegenteil zu tun: Das türkische Parlament berät über ein neues Demonstrationsstrafrecht, das die Vollmachten der Polizei drastisch erweitert und als Anschlag auf den Rechtsstaat kritisiert wird.
Auch der renommierte Kolumnist Hasan Cemal warf in einem Beitrag für das Nachrichtenportal T24 die Frage auf, ob die türkische Regierung wirklich bereit sei, Öcalans Forderungen nach mehr Demokratie und nach einer verfassungsrechtlich abgesicherten Gleichberechtigung von Kurden und Türken zu erfüllen. So richtig freuen konnte sich Cemal nach der Erklärung vom Samstag deshalb nicht. Natürlich sei dies eine positive Entwicklung, schrieb er. "Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen."