"Plan B" - der neue Currentzis-Film
7. September 2020Im März 2020 hätten der international gefeierte griechische Dirigent Teodor Currentzis und die Musiker seines Orchesters musicAeterna im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Musikwelt gestanden. Eine Aufführung eines Zyklus der Beethoven-Sinfonien stand an - beim Beethovenfest in Bonn und in Wien. Ein besonderes Ereignis, auf das der Dirigent und das Ensemble seit Jahren hingesteuert hatten.
Die letzten Proben liefen gerade im Petersburger "Dom Radio" ("Haus des Rundfunks"), dem neuen Domizil des Orchesters in Sankt Petersburg, als weltweit, auch in Russland, die Lockdown-Regeln eingeführt wurden. Kein gemeinsames Musizieren mehr, keine Reisen und Gastspiele, keine Konzerte - auf unabsehbare Zeit. Ein "Plan B" musste her. "B" wie "Beethoven".
Künstler teilen Corona-Erfahrungen der "gefrorenen Zeit"
Ausgehend von Beethovens Neunter Sinfonie mit ihrer Botschaft von Einheit, Freiheit und Brüderlichkeit verarbeiten Teodor Currentzis und Sergey Nurmamed, ein in den USA lebender, russischer Filmregisseur, die Erfahrung der Corona-Einsamkeit zu einem filmischen Hohelied der Gemeinsamkeit in der Kunst. Mit von der Partie sind die Mitglieder der internationalen Currentzis-Gemeinde: die Regisseure Romeo Castellucci und Peter Sellars, die Performance-Künstlerin Marina Abramović, die Tänzerin und Choreografin Sasha Waltz, der Komponist Helmut Lachenmann.
"Die Stille lehrt uns viel. Die Stille bringt uns einander näher, führt uns zusammen. Ausgerechnet in der Stille finden die wichtigsten Ereignisse statt", so Teodor Currentzis gegenüber der DW. "Stille ist etwas, was vor uns da war und nach uns bleibt. Unser Leben darf dieses Feld der Stille nicht verletzen, wir müssen immer wieder hinhören, die Stille lieben und achten."
Petersburg - abgeschottet von der Welt
Wichtige Elemente, fast schon selbständige "Akteure" des Films, sind die Stadt Petersburg und das majestätische Gebäude des Rundfunkhauses "Dom Radio" am Platz der Künste im Zentrum der Stadt. Seit 2019 dient es dem Orchester und Chor musicAeterna als Hauptquartier.
Die Kamera führt uns mitten im Frühling durch mystisch leere Straßen der Stadt am Ufer der Newa, durch Gänge, Studios und Säle des "Dom Radios". Aus diesen Studios wurde während der Leningrader Blockade durch die Truppen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges rund um die Uhr gesendet - Nachrichten, Gedichte, aber auch Musik. Im großen Sendesaal, wo musicAeterna nun ihren Beethoven probt, wurde im August 1942 die Siebte "Leningrader" Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch uraufgeführt, ein Monument für die Tragödie der Blockade. Die Belagerung der Stadt verursachte damals über eine Million Opfer, die meisten waren Zivilisten.
2020 fand Petersburg sich erneut im Belagerungszustand wieder - diesmal durch einen unsichtbaren Feind: das Coronavirus. Und wieder mussten die Menschen das Gefühl der Abgeschnittenheit vom Rest der Welt durchleben. "Man hat das Gefühl, dass unsere Stadt Sankt Petersburg schon immer etwas gewusst hat, was wir nicht wussten. Nun haben aber auch wir dieses Wissen erlangt", so Teodor Currentzis. "Isolation ist ein einmaliger Ort der Kommunikation."