Junge Plastikpiraten erforschen Müll in deutschen Flüssen
3. Januar 2018Wie viel Plastikmüll in deutschen Flüssen schwimmt und letztendlich im Meer landet, ist vielerorts noch unerforscht. Damit sich das so schnell wie möglich ändert, haben tausende Schüler die Wissenschaftler der Kieler Forschungswerkstatt in ihrer Arbeit unterstützt.
Über die vergangenen zwei Jahre haben Kinder und Jugendliche von 300 Schulen anhand wissenschaftlicher Methoden Müll an und in Flüssen gesammelt, gezählt und dokumentiert. Wissenschaftler haben die Daten nun ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen ein erschreckendes Bild, sagt Lehrerin und Wissenschaftlerin Katrin Kruse. Sie hat das Projekt Plastikpiraten an einer Gemeinschaftsschule und der Kieler Forschungswerkstatt betreut.
DW: Wie steht es um Deutschlands Flüsse?
Katrin Kruse: Es gibt definitiv Verbesserungspotenzial in einigen Flüssen. So aufgeräumt und so sauber, wie man es sich immer vorstellt, ist es nicht. Unsere Forschungsergebnisse brechen das Bild auf, dass wir in Deutschland nicht so stark an dem Müll in den Ozeanen beteiligt sind. Über die Flüsse landet der Müll irgendwann im Ozean - dabei spielt es keine große Rolle, ob wir in Schleswig-Holstein oder in Bayern leben.
Wie viel Müll befindet sich im Rhein, der Elbe und Co.?
Die Schüler haben an den Flussufern insgesamt 10.897 Müllteile gefunden auf einer Fläche von 16.611 Quadratmetern. Das Meiste davon war Plastikabfall. Da wir mit Schülern zusammenarbeiten, versuchen wir das Ergebnis auch für sie verständlich darzustellen. Wenn man sich also ein 50 Quadratmeter großes Klassenzimmer vorstellt, würde das bedeuten, dass man auf dieser Fläche 33 Müllteile findet.
Die Mikroproben, also wie viel Plastikpartikel sich im Wasser befinden, sind noch nicht vollständig analysiert. Die Schüler haben über 200 Proben gesammelt, 50 davon sind mittlerweile ausgewertet. Wir können sagen, dass die Hälfte der ausgewerteten Proben Mikroplastik enthält - etwa fünf Mikroplastikteilchen auf einen Kubikmeter Wasser. Das hört sich zunächst nach wenig an. Aber der Rhein, zum Beispiel, entwässert pro Sekunde 2900 Kubikmeter Wasser in die Nordsee. Hochgerechnet würde das bedeuten, dass pro Sekunde 14.500 Mikroplastikteilchen im Meer landen. Das ist dann doch eine ganz andere Hausnummer.
Das klingt nach ganz schön viel Müll. Waren Sie und die Schüler überrascht von dem Ergebnis?
Wir von der Kieler Forschungswerkstatt beschäftigen uns schon seit fünf Jahren mit dem Thema Plastikmüll in Ozeanen. Uns wird immer mehr klar, dass auch in Deutschland jede Menge Müll in die Meere gelangt. Für die Schüler sind es aber doch noch neue Kenntnisse. Sie denken, dass das bei uns in Deutschland kein Problem sei. Hier werden Straßen, Ufer und Strände regelmäßig gereinigt. Doch die Untersuchungsergebnisse haben ein anderes Bild gezeichnet. Für die Schüler ist es dann doch sehr erschreckend, wenn man mal genau hin guckt, was eigentlich so am Flussufer rum liegt. Auch dass so viel Plastik unter dem Müll war, ist für die Schüler einigermaßen überraschend gewesen. Ich glaube, dass die Untersuchung für die beteiligten Schüler sehr, sehr nachhaltig ist.
Plastikpiraten ist ein Citizen-Science-Projekt, in dem Bürger mit Wissenschaftlern gemeinsam forschen. Wie genau lief die Zusammenarbeit zwischen den Schülern und dem Kieler Forschungswerkstatt ab?
Die Schüler haben wissenschaftliche Methoden gelernt und sie dann am Fluss ausgeübt. Sie haben alles dokumentiert und von ihren Ergebnissen Fotos gemacht. Anschließend haben die Schüler die Ergebnisse im Klassenzimmer genauer bearbeitet und dann auf einer Webseite hochgeladen. Jede der 376 Gruppen, die mitgemacht haben, konnte ihre Datensätze hochladen und mit anderen Gruppen vergleichen. So konnten sie sehen, was sie gefunden und was andere entdeckt haben.
Außerdem haben die Schüler Proben ihrer Mikroplastikuntersuchungen an die Kieler Forschungswerkstatt geschickt. Anhand der Proben und der Fotos konnten die Wissenschaftler überprüfen, ob die Angaben, die die Schüler auf der Webseite gemacht haben, auch stimmen. Diese Schritte sind bei Citizen-Science-Projekten besonders wichtig, damit die Datenqualität gewährleistet werden kann.
Insgesamt haben 5500 Schülerinnen und Schüler an der wissenschaftlichen Untersuchung teilgenommen. Das ist einfach Wahnsinn, denn eine kleine Gruppe an Wissenschaftler hätten Jahre gebraucht, um diese Daten erst mal zu erheben. Da ist von den Schülern wirklich eine ganz tolle Arbeit gemacht worden.
Wie war das Feedback der Jugendlichen zu dem Projekt?
Die Schülerinnen und Schüler waren total begeistert, dass sie ernst genommen wurden und selbst die Wissenschaftler waren, die diese wichtigen Daten zusammengetragen haben. Andererseits waren sie auch ganz schön bestürzt zu sehen, was für Mengen an Müll zusammengetragen werden können. Eine Gruppe hat beobachtet, wie Tiere in Plastikmüll verheddert waren oder den Abfall gefressen haben.
Wir hoffen natürlich, dass die Schüler nach den Erfahrungen, die sie hier gemacht haben, auch ihr Verhalten ändern. Dass sie jetzt nicht mehr ihren Müll einfach liegen lassen und auch über das Problem berichten. Dass sie nach Hause gehen und sagen, wir möchten nicht mehr Produkte kaufen, die dreimal verpackt sind, sondern lieber Produkte vom Markt.
Planen Sie, das Projekt Plastikpiraten weiterzuführen?
Wir möchten sehr gerne weitermachen. Das Projekt war vom Wissenschaftsjahr Meer und Ozeane finanziert [Das ist eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; Anm. d. Red.]. Das Projekt ist 2017 zu Ende gegangen. Wir müssen gucken, wie wir es weiter finanzieren können. Wir sind aber ganz guter Dinge, weil eine große Datenmenge zusammengetragen wurde, die aus wissenschaftlicher Sicht sehr bedeutend für Deutschland aber auch weltweilt ist. Deswegen sind wir ganz optimistisch, dass wir dieses Projekt weiterführen und die Ergebnisse auch in einer Langzeitstudie vergleichen können. Auch von den Schülerinnen und Schülern haben wir die Rückmeldung bekommen, dass sie gerne dabei bleiben würden. Sie sind sehr motiviert, sich so gegen den Müll in Ozeanen engagieren zu können.
Katrin Kruse ist Biologie- und Chemielehrerin an der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule Ahrensburg und arbeitet als Wissenschaftlerin an dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik. Ihr Forschungsinteresse gilt Citizen-Science-Projekten zum Thema Mikroplastik.