Digitales Deutsches Frauenarchiv startet
13. September 2018Was früher der Slogan "Mein Bauch gehört mir" oder "Frauen gemeinsam stark" war, ist heute der Hashtag #aufschrei oder #metoo. Unter #frauenmachengeschichte feiert nun ein neues Online-Projekt seine Geburtsstunde. An diesem Donnerstag (13.09.2018) geht das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) online, ein in Europa einzigartiges Projekt. Das Ziel: die Bewahrung und Bewusstmachung von Frauengeschichte in Deutschland.
Der Platz in der Geschichte
Der Auf- und Ausbau des Portals wird staatlich gefördert. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung wurde das Ziel, Frauengeschichte in einem zentralen Archiv zu bewahren und wissenschaftlich aufzuarbeiten festgehalten.
"Wir alle zusammen müssen immer wieder und weiter für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen kämpfen", mahnt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey: "Im Digitalen Deutschen Frauenarchiv können wir sehen, nachvollziehen, uns inspirieren lassen, was die Frauen in den vergangenen Jahrzehnten für uns alle erkämpft haben."
Akteurinnen bekannt machen, Netzwerke aufzeigen, Zusammenhänge erklären - all das hat sich das DDF auf die Fahnen geschrieben.
Deutsche Frauenarchive: lieber regional und vernetzt
Hierfür haben rund 40 Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien relevante Originaldokumente, Zeitschriften und Bücher aus Frauen- und Lesbengeschichte zusammengetragen und digitalisiert. Unter dem Dachverband i.d.a. (Dachverband deutschsprachiger Lesben-/Frauenarchive,-bibliotheken und -dokumentationsstellen) haben die einzelnen Institutionen in den letzten Jahren ihre Kooperation verstärkt; mit dem neuen Portal machen sie ihre zentralen Dokumente jetzt online zugänglich.
In Deutschland gibt es rund 30 feministische Archive, die Material zur autonomen Frauenbewegung sammeln. Im Ausland ist das anders organisiert: In Holland und in Dänemark etwa gibt es ein zentrales Archiv oder Haus der Geschichte der Frauen. Der Grund für die starke Regionalisierung in Deutschland liegt auch in der Kriegsvergangenheit: "Es hängt mit dem Nationalsozialismus zusammen", so Sabine Balke, Geschäftsführerin des DDF. "Danach haben die Frauen bewusst entschieden, dass sie regional bleiben wollen, denn wenn ein Archiv zumachen muss, sind die anderen noch da. Zentrale Einrichtungen können viel schneller eingemeindet werden und unsere Geschichte kann verloren gehen."
Die Powerfrauen des 19. Jahrhunderts
Zu den ernüchterndsten Erkenntnissen für die Feministinnen der sogenannten Neuen Frauenbewegung kann die Entdeckung der Ersten (oder Historischen) Frauenbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts gezählt werden. Den 1968ern fehlte es weniger an historischem Bewusstsein als schlicht und ergreifend an Wissen über die historische Frauenbewegung.
"Die war verschütt!", betont Balke. "Niemand kannte Anita Augspurg, niemand kannte Helene Lange - man kannte vielleicht die Suffragetten in England. Und ähnlich ist das noch heute. Es wird sich bezogen auf England, weil die Suffragetten viel kämpferischer waren. In Deutschland hat die bürgerliche Frauenbewegung Vereine gegründet, hat ganz viel gemacht, das wird aber nicht so wahrgenommen. (...) Und da setzen wir an und sagen: Hier, das ist die deutsche Frauenbewegung der ersten Welle."
Denkerinnen und Frauenrechtlerinnen wie Anita Augspurg, Hedwig Dohm, Louise Otto-Peters oder Minna Cauer hatten keinen Eingang in Geschichts- oder Schulbücher gefunden, Wissensbestände wurden über lange Zeit unterschlagen. Es geht dem DDF auch um eine neue Bewusstseinsbildung.
Der Tomatenwurf: Endlich Gehör finden
Der Festakt in Berlin zum Launch des Digitalen Deutschen Frauenarchivs an diesem Donnerstag erinnert zugleich an einen der wichtigen Erinnerungsmomente für Feministinnen der Neuen Frauenbewegung: den legendären Tomatenwurf. 1968 war die Studentenbewegung in Deutschland in vollem Gange. Revolution lag in der Luft - doch bei den Frauen machte sich Unmut breit. Die gesellschaftliche Revolution - sollte sie nicht für beide Geschlechter gelten? Doch auch in der linken Studentenbewegung hielten die Männer die Reden, die Frustration wuchs.
Anfang 1968 hatten einige Frauen den Aktionsrat zur Befreiung der Frau gegründet, eine feministische Gruppe innerhalb der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Während einer Rede auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am 13. September 1968 stellte Helke Sander das Konzept des Aktionsrats dar und prangerte die Diskriminierung von Frauen im SDS an. Doch das ausschließlich von Männern besetzte Gremium wollte ohne eine Diskussion des Vortrags zu anderen Themen übergehen. Erbost schmiss die hochschwangere Romanistikstudentin Sigrid Rüger Tomaten aufs Podium.
Dieser Tomatenwurf - und seine mediale Rezeption - brachte die Frauenproblematik ins Licht der Öffentlichkeit. In der Folge gründeten sich die ersten Weiberräte und weitere Frauengruppen. Auch wenn erst die Abtreibungsproblematik mit der Selbstbezichtigungskampagne in der Zeitschrift "Stern" 1971 die Frauen bundesweit und in großer Zahl mobilisierte, gilt der Tomatenwurf als erstes Manifest und zentrales Symbol der westdeutschen Neuen Frauenbewegung.
"Parität der Geschlechter immer noch nicht erreicht"
"Es ging darum, dass die Männer die öffentliche Rede für sich beanspruchten, während die Frauen die Kinder betreuen sollten. Und genau das ist es, was uns auch heute noch begleitet: Dass die Parität der Geschlechter immer noch nicht erreicht ist", erklärt Sabine Balke die Wahl dieses Datums für die Veröffentlichung des DDF. "An dem Punkt können wir das zeigen, weil es da ganz eklatant war. Die Tomate wurde geworfen, weil die Frauen nicht reden sollten, weil Kinderbetreuung ein Nebenwiderspruch sein und nicht dazugehören sollte."
Ähnlich wie der Tomatenwurf wirft die eingehende Betrachtung der Neuen und Historischen Frauenbewegung Fragen auf, die bis heute nicht zufriedenstellend geklärt sind. Die Dokumente und Darstellungen des Digitalen Frauenarchivs schaffen einen direkteren Zugang, um sich ihnen auch heute zu stellen. Unterdessen schreiben an der Geschichte mehr Menschen mit als nur privilegierte weiße Männer.