Pofalla: "Weißrussland ist die letzte verbleibende Diktatur in Europa"
1. Februar 2007DW-RADIO: Herr Pofalla, Sie waren in den letzten Monaten mehrfach in Weißrussland. Woher kommt Ihr Interesse für dieses Land?
Ronald Pofalla: Weißrussland ist die letzte verbleibende Diktatur in Europa. Und für jemanden, der in Freiheit lebt, der seine Meinungsäußerungen frei und ungefiltert tätigen kann, ist es eine Verpflichtung, sich für die Freiheit derer einzusetzen, die drangsaliert und in Unfreiheit leben.
Das heißt, es ist eigentlich ein moralischer Grund, warum Sie sich dafür einsetzen – es hat nichts mit Interessenpolitik zu tun?
Es ist ein Grund, der im Grundsätzlichen liegt, weil ich die Unfreiheit von Menschen insgesamt nicht akzeptieren kann. Wir haben als diejenigen, die in Freiheit leben, die Verpflichtung, da wo wir es können, uns für die Freiheit der Meinung und für die Freiheit der Personen einzusetzen, wo diese Umstände nicht gewährleistet sind.
Weißrussland ist in Deutschland – man kann sagen leider – kein großes Thema bei den Politikern, kein großes Thema auch bei uns, bei den Medien. Bedauern Sie das?
Ich bedauere das insofern, als dass man sich ja hier in Berlin vergegenwärtigen muss, dass der Flug in die Schweiz, je nach dem wohin Sie da fliegen, länger dauert als der Flug nach Weißrussland. Aber die wenigsten Menschen realisieren das. Und ich glaube, meine Reisen sollen auch mit dazu beitragen, dass in Deutschland das Bewusstsein für die Diktatur und die Unfreiheit in Weißrussland weiter geschärft werden.
Präsident Lukaschenko hat unlängst einer großen überregionalen Zeitung ein Interview gegeben, und dort hat er gesagt: ‚Die im Westen zeichnen ein vollkommen falsches Bild von mir, von meiner Regierung’. Glauben Sie, dass er da Recht hat?
Er hat absolut Unrecht. Es gibt politische Häftlinge in Weißrussland. Wenn Sie an Aleksandr Kosulin beispielsweise denken, der für eine demonstrationsrechtliche Nichtigkeit, für die er in Deutschland allenfalls mit einem Platzverweis geahndet würde, zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist, dann macht alleine dieses Beispiel deutlich, dass die Einschätzung des Präsidenten nicht stimmt. Nehmen Sie die letzte Kommunalwahl: In 10.000 Stimmbezirken sind ganze zehn Oppositionelle als Kandidaten zugelassen worden. Und da, wo es zugelassene Kandidaten gab, hat die Staatsmacht Flugblätter der unabhängigen Kandidaten beschlagnahmt mit der offiziellen Begründung, man wolle Rechnungen sehen, wo die Flugblätter gedruckt wurden. Und dann hat derjenige die Rechnungen vorgelegt, aber die Flugblätter hat er dann drei Tage nach der Kommunalwahl wieder bekommen mit dem Hinweis, es sei alles ordnungsgemäß, und nun könne er sie einsetzen. Das hat mit Meinungsfreiheit überhaupt nichts zu tun.
Wie soll der Westen mit dieser Diktatur umgehen?
In dem wir unmissverständlich klar machen, dass wir zwei Dinge fordern, bevor wir mit Weißrussland überhaupt erst auf offizieller Ebene reden können: Wir fordern die Freilassung aller politischen Häftlinge in Weißrussland, und zweitens: Wir erwarten, dass die politische Opposition im Land den Zugang zu den unabhängigen Medien erhält und damit die Meinungsfreiheit in Weißrussland für die politische Opposition gewährleistet ist.
Sollte – was im Augenblick wohl kaum jemand erwartet - Lukaschenko darauf eingehen, würde man dann auf westlicher Seite ihm zumindest ein wenig die Türen öffnen?
Dann – finde ich – sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass wir beispielsweise über engere wirtschaftliche Kontakte miteinander reden können. Dass wir nach wie vor das politische System von Lukaschenko ablehnen, ergibt sich von selbst.
Wenn wir jetzt weniger den moralischen Anspruch nach vorne schieben, sondern einfach von Interessenspolitik reden, so kann es doch nicht im westlichen Interesse sein, Lukaschenko in die Arme Moskaus zu treiben?
Davon kann ja gar keine Rede sein. Wir müssen streng voneinander trennen, dass es in Weißrussland auf der einen Seite eine Diktatur gibt und auf der anderen Seite in Russland ein Verhalten im Hinblick auf Gasprom, das für westliche Verhältnisse auch nicht zu akzeptieren ist. Wenn man Streitigkeiten im Vertragsbereich hat, dann müssen die geklärt werden, aber dann kann man den Öl- oder den Gashahn nicht zudrehen. Das widerspricht unserem westlichen Verständnis von guten wirtschaftlichen Beziehungen. Selbst wenn man anerkennt, dass es Vertragsschwierigkeiten gibt, dann muss man die lösen. Aber man kann die Hähne nicht zudrehen.
Kommen wir zurück zur weißrussischen Opposition. Die ist ja leider sehr zerstritten. Kann der Westen da helfen?
Nein! Und ich rate auch, dass wir uns da zurückhalten. Ich habe in meinen Gesprächen jetzt in der vergangenen Woche, als ich mit der politischen Opposition geredet habe, nur dafür geworben, dass eine politische Opposition in einer Diktatur nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie versucht, beieinander zu bleiben. Nun ist ja die Bandbreite des politischen Spektrums, der politischen Opposition, von links bis konservativ angesiedelt. Ich glaube aber, dass es einen Punkt gibt, auf den sich alle verständigen können: Nämlich diese Diktatur zu überwinden und zu einer Demokratie weiter zu entwickeln. Und an der Stelle wäre der Wunsch – und mehr können wir nicht äußern -, dass die Opposition bei diesem Ziel beieinander bleibt.
Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft inne. Spielt da Weißrussland eine Rolle?
Weißrussland spielt direkt überhaupt keine Rolle, weil ja die politischen Beziehungen der Europäischen Union zu Weißrussland sehr reduziert sind. Wir haben Visa-Verbote für einige Dutzend Angehörige aus dem Führungsclan in der Diktatur, weil wir glauben, dass sie Menschenrechte verletzt haben. Das ist die Ausgangslage, vor der die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Situation in Weißrussland zu beurteilen sind. Von daher gibt es an der Stelle nur ganz wenige Berührungspunkte. Aber selbstverständlich habe ich die Kanzlerin, weil sie die Vorsitzende der CDU-Deutschland ist und ich ihr Generalsekretär bin, natürlich über meine Gespräche und auch über die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, breit informiert.
Das Gespräch führte Miodrac Soric
DW-RADIO/Osteuropa, 1.2.2007, Fokus Ost-Südost