Polemik gegen Europa
5. März 2014Der politische Aschermittwoch in Bayern ist die Fortsetzung des Karnevals mit anderen Mitteln. Die Rezeptur ist seit Jahrzehnten die Gleiche: Man nehme eine große Halle, einen Keller oder ein Bierzelt, versammele darin mehrere Hundert eingefleischte Parteigänger, schenke reichlich Alkohol aus und halte mit scharfer Polemik gewürzte Reden. Je polemischer die Angriffe auf den politischen Gegner, desto besser die Stimmung vor Ort und desto größer die Aufmerksamkeit im Rest der Republik.
Mit genau diesem Rezept hat der vor 25 Jahren verstorbene CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß den politischen Aschermittwoch zu einem bundesweit beachteten Termin entwickelt. Und weil Erfolg bekanntlich immer Nachahmer findet und Polemisieren nicht nur CSU-Politikern Freude bereitet, bestreitet heute jede Partei mit mehr als drei Prozent Wählerstimmen einen politischen Aschermittwoch. Das auch nicht mehr nur in Bayern, sondern selbst in Regionen Deutschlands, wo man vermutlich Vilshofen nicht einmal auf der Landkarte zeigen könnte. Vilshofen, so will es die Überlieferung, ist der Ort in Niederbayern, wo die Tradition des politischen Aschermittwochs im 19. Jahrhundert anlässlich eines Viehmarktes entstanden sein soll.
Arbeit der Partner in der Bundesregierung schien über jede Kritik erhaben
Polemik braucht ein Ziel, besser: ein Opfer. Die spannende Frage vorab lautet also jedes Jahr: Wer schießt sich auf wen ein? Das klassische Muster lautet: Die Union drischt auf die SPD ein, die Regierung auf die Opposition und natürlich auch jeweils umgekehrt. Diese bewährte Schlachtordnung ist durch die jüngste Bundestagswahl in Unordnung gekommen: Union und SPD bilden gemeinsam die Regierung und die Opposition ist so klein, dass sie Mühe hat, wahrgenommen zu werden.
Natürlich gibt es auch Streit in der Bundesregierung und in den vergangenen Tagen war viel von einer Vertrauenskrise zwischen Union und SPD die Rede. Eine "Rechnung" sei noch offen, unkten politische Beobachter, weil wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen einen früheren SPD-Abgeordneten ein Bundesminister der CSU zurücktreten musste. Aber weder die Hauptredner der CSU noch der SPD nutzten die Gelegenheit zum Nachkarten vor bierseligem Publikum. Die Arbeit der jeweiligen Partner in der Bundesregierung schien über jede Kritik erhaben.
"Weg mit Zentralismus und Bürokratie!"
Als hätten sich Horst Seehofer und Martin Schulz abgesprochen, schossen sich dagegen beide gemeinsam auf die EU-Kommission ein. Der Drang, alles und jeden zu regulieren, ersticke die europäische Idee, diagnostizierte CSU-Chef Seehofer und forderte: "Weg mit dem Zentralismus und der Bürokratie!" Aus dem Munde des bayerischen Ministerpräsidenten sind EU-kritische Töne nichts Neues.
Eine Überraschung ist es da eher, dass auch Martin Schulz in genau dieselbe Kerbe schlug: Man müsse in Brüssel aufhören, darüber nachzudenken, ob es Ecken gebe, in die man sich noch nicht eingemischt habe. Schulz ist immerhin Präsident des Europäischen Parlaments, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl mit dem klaren Ziel, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zu beerben. CSU- wie SPD-Publikum reagierten jeweils mit tosendem Applaus.
"Nackte, dumme Kaiser" in Brüssel
Nein - beide sind selbstverständlich nicht gegen Europa. Sie fordern nur ein "besseres" Europa. Das nimmt sogar der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler für sich in Anspruch, der vor Seehofer gegen die EU polemisieren durfte: Die EU-Kommission sei eine "Flaschenmannschaft" und in Brüssel stünden die "nackten, dummen Kaiser" zusammen, ätzte er in Anlehnung an das Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Gauweiler ließ Erinnerungen an Franz-Josef Strauß wach werden, wie er im Trachtenjanker am Rednerpult steht und einen großen Schluck Bier aus seinem Krug trinkt: "Ich musste mich nur kräftigen, weil ich was zum Euro sagen will" - da tobte die Halle vor Vergnügen.
Der politische Aschermittwoch der CSU sei "der größte Stammtisch der Welt", stellte die Kandidatin für das Amt der Passauer Oberbürgermeisterin zum Auftakt des Redenmarathons fest. Sie hat recht, denn auch am Stammtisch wird im wesentlichen getrunken und polemisiert - zielführende Ideen oder Lösungsvorschläge sind dagegen Mangelware.
Die Fußnote zum Schluss: Ihren für den Abend vorgesehenen traditionellen Aschermittwochsauftritt im vorpommerschen Demmin sagte Angela Merkel kurzfristig ab. Sie benötige die Zeit zur Vorbereitung auf den EU-Gipfel am Donnerstag (06.03.2014). Selbst daran ist also Brüssel schuld…