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PolitikPolen

Polen und Ukraine: Werden aus besten Freunden nun Gegner?

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
21. September 2023

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich Polens Regierung ohne Wenn und Aber auf die Seite des angegriffenen Nachbarn gestellt. Der Streit um ukrainische Getreideimporte ist eine Zäsur.

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Vor einer polnischen und ukrainischen Fahne stehen Polens Präsident Andrzej Duda und sein Amtskollege aus der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj
Ein Bild aus besseren Tagen: Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda (li.) und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj am 9.07.2023 in Luzk in der Nordwest- UkraineBild: Ukrainian Presidential Press Service/REUTERS

Der Ton wird zwischen Polen und der Ukraine wird immer rauer. Polens Staatspräsident Andrzej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki ebenso wie auch andere Vertreter des rechtspopulistischen Regierungslagers benutzen seit einigen Wochen eine Sprache, die im Wahlkampf eigentlich für die traditionellen Bösewichte der polnischen Rechten reserviert war - Russland und Deutschland.  

"Mit der Ukraine ist es so wie mit einem Ertrinkenden", polemisierte Duda am Mittwoch (20.09.2023) in New York am Rande der UN-Vollversammlung. "Ein Ertrinkender ist extrem gefährlich und kann den Retter in die Tiefe ziehen. Man sagt, ein Ertrinkender greift nach dem Strohhalm. In der Tat greift ein Ertrinkender nach allem, was es gibt." Polen müsse seine Interessen verteidigen und sich vor Schäden schützen, fügte Duda hinzu.

Wolodymyr Selenskyj in olivgrüner Militärkleidung im UNO-Hauptquartier in New York
Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj am 20.09.2023 vor der UN-Vollversammlung in New YorkBild: Craig Ruttle/AP Photo/picture alliance

Polens Präsident reagierte mit diesen Aussagen auf die Rede des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj vor der UN-Vollversammlung. Er hatte unter anderem gesagt: "Es ist beunruhigend zu sehen, wie manche in Europa im politischen Theater die Solidarität ausspielen, indem sie die Getreide-Frage in einen Thriller verwandeln. Sie denken, dass sie eigene Rollen spielen, in Wirklichkeit aber helfen sie, die Bühne für den Schauspieler aus Moskau vorzubereiten." Selenskyj nannte keine konkreten Länder. Doch in Warschau wurden sein Worte als Affront gegenüber Polen verstanden. Das geplante Treffen in New York zwischen Duda und Selenskyj kam "aus Termingründen" nicht zustande.

Keine Waffen mehr aus Polen an die Ukraine

Polens Premier Morawiecki goss dann noch einmal richtig Öl ins Feuer - in einem Interview mit dem Fernsehsender Polsat. "Wir übergeben keine Waffen mehr an die Ukraine. Wir rüsten jetzt selbst auf, indem wir uns mit modernsten Waffen ausstatten", sagte Morawiecki am Mittwochabend (20.09.2023).

Polen werde der Ukraine weiterhin helfen, könne aber Störungen auf dem eigenen Agrarmarkt nicht hinnehmen. Morawiecki versicherte, dass Polen sich nicht in die Tätigkeit des Drehkreuzes in der südostpolnischen Stadt Rzeszow, von wo aus die westlichen Waffentransporte in die Ukraine geschickt werden, einmischen werde.

Polens Premier Mateusz Morawiecki spricht im Parlament
Polens Premier Mateusz Morawiecki am 16.08.2023 im Parlament in WarschauBild: Damian Burzykowski/IMAGO

Wie immer bei der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stehen hinter allen Machenschaften angeblich die Deutschen. "Die EU stellt Polen vor eine moralische Erpressung, und die Ukraine geht mit den Deutschen ein Bündnis gegen Polen ein", sagte der einflussreiche Europa-Abgeordnete der PiS, Jacek Saryusz-Wolski, dem Hörfunksender Polskie Radio24.

Bedroht die ukrainische Landwirtschaft die EU?

Landwirtschaftsminister Robert Telus warnte, dass die ukrainische Landwirtschaft eine "Bedrohung" nicht nur für die "Frontstaaten", sondern für ganz Europa darstelle. "Die Ukraine kann nicht ohne Bedingungen der EU beitreten", betonte er als Vertreter eines Landes, das noch vor kurzem den möglichst schnellen Beitritt der Ukraine zur EU gefordert hatte. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski seinerseits meinte auf einer Wahlveranstaltung, die Konkurrenz mit den ukrainischen Agrarprodukten würde die polnische Landwirtschaft "vernichten".

Jaroslaw Kaczynski spricht vor versammelten Menschen, im Hintergrund eine polnische Fahne
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw KaczynskiBild: Pawel Malecki/AGENCJA WYBORCZA/REUTERS

"Die PiS opfert die Beziehungen zur Ukraine", übertitelte der Publizist und Politologe Bartosz Wielinski am Donnerstag (21.09.2023) einen Kommentar in der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Er spricht darin von einer "destruktiven Politik, die sich an der Grenze zum Verrat bewegt". Seiner Ansicht nach ist der Streit um das ukrainische Getreide nur ein Vorwand. "Im Wahlkampf schreckt die PiS vor nichts zurück. Um ihre Wähler zu mobilisieren, heizen Kaczynski, Morawiecki und Duda den Konflikt mit dem Nachbarland und die antiukrainische Stimmung an", schreibt Wielinski.

PiS kehrt zur anti-ukrainischen Rhetorik zurück

Die PiS, die seit acht Jahren in Polen regiert, kann sich eines erneuten Sieges bei der Parlamentswahl am 15.10.2023 nicht sicher sein. Wichtige Stimmen könnte sie an die rechtsnationalistische Konföderation (Konfederacja) verlieren, die sich im Wahlkampf offen antiukrainischer Parolen bedient. Um diese Wähler zurückzugewinnen, ist die PiS zu ihrer traditionellen skeptischen Linie gegenüber der Ukraine zurückgekehrt.

Ein wichtiges Wählerpotenzial für die polnische Rechte stellen die Landwirte und die Dorfbevölkerung insgesamt dar. Diese Gruppen fühlen sich durch Getreide und andere Agrarprodukte aus der Ukraine in ihrer Existenz bedroht.

Traktoren stehen auf einer Brücke und blockieren die Fahrbahn
Protest polnischer Landwirte gegen ukrainische Getreideimporte am 3. April 2023 auf einer Brücke in StettinBild: Marcin Bielecki/PAP/picture alliance

Das rechtsnationale Lager in Polen, das Geschichtspolitik in den Vordergrund seines Handelns stellt, hat in der Vergangenheit immer skeptisch auf die Versöhnung mit der Ukraine geschaut.

Die blutigen Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren nach Kriegsende werfen bis heute einen langen Schatten. Die Nationalisten der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) griffen ab 1943 polnische Dörfer in Wolhynien in der heutigen Nordwest-Ukraine an, um die Polen aus diesem Gebiet zu vertreiben.

Lange Schatten der blutigen Vergangenheit

Durch die ethnische Säuberung sollten günstige Voraussetzungen für einen ukrainischen Nationalstaat nach dem Krieg geschaffen werden. Bis zum Kriegsende 1945 wurden nach Angaben polnischer Historiker etwa 100.000 Polen ermordet. Bis zu einer halben Million Menschen flohen oder wurden vertrieben. Bei Vergeltungsaktionen polnischer Partisanen starben zwischen 10.000 und 15.000 Ukrainer.

Männer in Militäruniformen, darunter der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj, außerdem der polnische Staatspräsident Andrzej Duda
Zeitweilige Annährung: Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj (vorn, li.) und sein polnischer Amtskollege Andrzej Duda (2.v.r.) am 9.07.2023 in Luzk in der Nordwest-Ukraine bei einer Gedenkfeier für das Wolhynien-Massaker im Zweiten WeltkriegBild: Maxym Marusenko/NurPhoto/picture alliance

Die PiS unterhält enge Kontakte zu polnischen Vertriebenenverbänden, welche die Polen aus Wolhynien vertreten, und machte eine ukrainische Entschuldigung und Verurteilung der einstigen Verbrechen zur Bedingung einer Annäherung zwischen Warschau und Kiew. Erst der russische Krieg gegen die Ukraine stellte die Probleme der Vergangenheitsbewältigung in den Hintergrund - doch wie es nun aussieht nur zeitweilig.

Kommen Kiew und Warschau zur Besinnung?

Der liberale Oppositionsführer Donald Tusk bezeichnete den polnisch-ukrainischen Konflikt als einen "moralischen und geopolitischen Skandal". Auf einer Wahlveranstaltung in Kalisz (Zentralpolen) sprach er von einem "abscheulichen antiukrainischen Zirkus", den die PiS veranstalte.

Es gibt aber auch erste Anzeichen für eine Entspannung. Die Landwirtschaftsminister beider Länder hätten am Donnerstag (21.09.2023) erstmals seit langem wieder telefoniert, berichtete die Polnische Nachrichtenagentur PAP. Auch der ukrainische Botschafter Vasyl Zvarych, der nach Selenskyjs Rede vor den Vereinten Nationen ins polnische Außenministerium einbestellt wurde, versuchte die Wogen zu glätten. "Das war eine gute Gelegenheit, um die Standpunkte auszutauschen. Es gibt keine Krise. Wir gehen weiter", erklärte der Diplomat.   

Dennoch: Wenn die PiS nach dem 15. Oktober an der Macht bleibt, wird das polnisch-ukrainische Verhältnis wohl einen Dauerschaden erleiden. Warschau wird zwar nicht aufhören, Kiew zu unterstützen, weil der ukrainische Sieg gegen Russland im ureigenen polnischen Interesse liegt. Aber die seit anderthalb Jahren andauernden "Flitterwochen" wären endgültig vorbei.

Polen und Ukraine im Streit

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.