Polen unterstützen europäische Ukraine
12. Dezember 2013Die Entwicklung in der Ukraine wird in Polen fast zu einer Frage der Staatsräson: Gerät die Ukraine wieder unter die russische Hegemonie, könnte es Polen als nächstes Land treffen, befürchten viele Polen. Vor allem die Anhänger der polnischen rechtskonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PIS) von Jaroslaw Kaczynski vertreten diese These. Und das sind nicht wenige: PIS ist im Begriff, bei den nächsten Wahlen in Polen die regierende "Bürgerplattform" von Ministerpräsident Tusk zu verdrängen.
Sollte es wirklich dazu kommen, würden sich sowohl die anti-europäische Stimmung als auch die anti-russische Hysterie angesichts der Ereignisse in der Ukraine zuspitzen, warnte vor kurzem Jerzy Urban, polnischer Journalist, Satiriker und Politiker. Denn Kaczynski und seine Anhänger stehen beiden Seiten distanziert gegenüber.
Eine Schlüsselrolle im Osten
Die Lage in der Ukraine beunruhigt die Polen. Die Ukraine ist, neben Deutschland, der größte Nachbar Polens - ein Land mit einem riesigen politischen, ökonomischen und demografischen Potenzial. "Jedes Land will, dass seine Nachbarn stabil sind und sich wirtschaftlich entwickeln und keine Krisen durchlaufen", sagt Wojciech Kononczuk vom polnischen Zentrum für Oststudien (OSW) in Warschau. "Aus polnischer Sicht spielt die Ukraine, neben Russland, eine Schlüsselrolle im Osten. Sie ist wichtig für die Beziehungen Polens zu Russland sowie für die Rolle Russlands in der Region." Daher liege es in Polens Interesse, dass die Ukraine in die westlichen Strukturen eingebunden wird und nicht in Abhängigkeit von Russland gerät, so der Experte.
Es gehe jedoch nicht darum, Russland vom Westen abzuschotten, eher sei das Gegenteil der Fall, fügt er gleich hinzu. "Die Polen verstehen sehr gut, dass eine demokratische und europanahe Ukraine auch die Demokratisierungs- und Transformationsprozesse in Russland positiv beeinflussen würde. Deshalb reagiert Moskau so allergisch auf die Annährungsversuche der Ukraine an die EU", betont Kononczuk. Das sei auch der Grund, warum die inneren Spannungen in der Ukraine für die EU eine Angelegenheit von höchster Bedeutung sein sollten.
Russlands Einflussbereich schwächen
Polen und die Ukraine verbindet eine gemeinsame Kultur, Geschichte und Gegenwart. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten große Teile der heutigen Westukraine zu Polen. Als nach dem Krieg die Siegermächte in Jalta die Interessenssphären in Europa neu regelten und einige Grenzen neu zogen, wurden diese Gebiete der Ukraine zugeteilt, damals Teil der Sowjetunion. Hunderttausende Polen wurden aus der Ukraine nach Polen zwangsumgesiedelt, hunderttausende Ukrainer aus Polen mussten in die Sowjetunion übersiedeln. Viele Verbindungen blieben dennoch bis heute lebendig.
Es gibt aber auch politische Gründe für das Interesse Polens an den Entwicklungen in der Ukraine. Die Angst vor Russland spiele da eine sehr wichtige Rolle: "Die Politik Polens gegenüber den postsowjetischen Staaten beinhaltet eine Taktik der Schwächung Russlands und eine Demontage des russischen Imperiums. Die Förderung demokratischer westlicher Standards in den postsowjetischen Staaten und die Untergrabung des politischen Systems Russlands sind die Folgen dieser Politik", erklärt Andrzej Szeptycki vom Institut für Internationale Beziehungen der Warschauer Universität.
Und er verweist auf die Worte des polnisch-amerikanischen Politikwissenschaftlers Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter. In dem 2012 herausgegebenen Buch "Strategic Vision. America and the Crisis of Global Power" schrieb er: "Ohne die Ukraine wird Russland kein Imperium sein. Einige osteuropäische Länder, beispielsweise Polen und die Ukraine, können dank ihrer Größe, Lage und ihrem ökonomischen und militärischen Potenzial einen wirklichen Einfluss auf die Machtbalance in Europa haben."
Wirtschaftliche Verflechtung
Polen hat auch greifbare, ganz alltägliche Gründe, um den Prozess der Demokratisierung in der Ukraine zu unterstützen. Schon heute arbeiten in Polen tausende Ukrainer. Eine Massenmigration im Fall einer politischen und wirtschaftlichen Krise in der Ukraine würde auch die innere Stabilität Polens bedrohen. "Die Zusammenarbeit mit der EU und die eventuelle Mitgliedschaft der Ukraine würden bedeuten, dass nicht die Grenze Polens die Außengrenze der EU ist. Polen unterstützt heute die Ukraine in ihrer Annäherung an die EU, wie einst Deutschland Polen unterstützte", erklärt Andrzej Szeptycki vom Institut für Internationale Beziehungen der Warschauer Universität.
"Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine würde auch eine Kooperation zwischen Polen und der Ukraine fördern. Unsere Unternehmer hätten bessere Bedingungen für Aktivitäten in der Ukraine und die Ukrainer hätten einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt in Polen", sagt Szeptycki.
Im Zeichen der Solidarität
Die Polen seien eine wichtige Hilfe für die ukrainische Opposition: "Sie verbreiten Informationen im Westen und mobilisieren dort die öffentliche Meinung", sagt der Politologe Kazimierz Woycicki. Er war in den achtziger Jahren selbst ein aktives Mitglied der demokratischen Opposition in Polen. Wie viele andere Polen ist er dieser Tage mit anderen Wissenschaftlern und Studenten nach Kiew gereist, um die Proteste in nächster Nähe zu erleben.
Neben Vertretern polnischer Medien und Nichtregierungsorganisationen sind auf dem Maidan auch namhafte Politiker erschienen, darunter der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments (EP) Jerzy Buzek und der amtierende Vizepräsident des EP Jacek Protasiewicz.
Anfang Dezember erklärte sich das polnische Parlament in einer Resolution mit den Ukrainern solidarisch, die Anschluss an die EU suchen. Die Parlamentarier äußerten sich besorgt über die Gewaltanwendung gegen Demonstranten und versicherten, dass Polen alles unternehmen werde, damit die Türen zu Europa geöffnet blieben. "Wenn wir heute sagen würden, dass die Ukraine uns nicht interessiert", so der frühere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski im polnischen Rundfunk, "dann würden wir den Ukrainern damit empfehlen, ein Ticket nach Moskau zu lösen".