Polen vor Rechtsruck
24. Oktober 2015Dieser Wahlkampf war ein Wettstreit per Bus. Beide Spitzenkandidatinnen fuhren damit quer durch die Republik. Denn nur die Großstädte sind neuerdings auch mit einem modernen Schnellzug von Warschau erreichbar. In die polnische Provinz hingegen kamen die Wahlkämpfer mit dem Szydlo- oder dem Kopacz-Bus.
Überraschend vernünftig
Um ihrerseits Aufmerksamkeit zu erregen, verzichteten die Kandidaten kleinerer Parteien bewusst auf größere Gefährte und gingen zu Fuß. So zum Beispiel der 36-jährige Adrian Zandberg von der erst im Mai gegründeten linksorientierten Partei "Razem", zu Deutsch "Gemeinsam". Nach einer Fernsehdebatte stieg er mit seinem Stab demonstrativ in die U-Bahn.
Der Programmierer und Hochschuldozent ist als Kind mit seinen Eltern aus Dänemark nach Polen gekommen. Gern greift er auch politisch zu Beispielen aus Skandinavien, vor allem bei der Arbeitspolitik. Zandberg setzt sich von der Anti-Flüchtlings-Rhetorik vieler polnischer Politiker ab, wirbt für Toleranz. Noch wenige Tage vor der Fernsehdebatte kannten die Medien ihn kaum, am Tag danach kürten sie ihn zum Sieger der TV-Runde - vor allem "weil er so erstaunlich vernünftig gesprochen hat".
Rechtsruck erwartet
Trotz des vielen Lobes dürfte der Newcomer mit seiner Partei aber kaum Sitze im Sejm bekommen. Stattdessen wird ein weiterer Sieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) erwartet. Erst im Frühjahr hat ein kaum bekannter Kandidat der Partei überraschend die Präsidentschaftswahl gewonnen - Andrzej Duda. Jetzt deutet alles darauf hin, dass seine Parteikollegin Beata Szydło eine ultrakonservative Regierung bildet.
Ihre Karriere verdankt Szydło dem Hardliner Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der PiS. Er selbst galt als ungeeigneter Kandidat, weil er zu viele gemäßigte konservative Wähler abschrecken könnte. Aus dem Wahlkampf hat er sich lange zurückgehalten. Erst vergangene Woche gab er sich als besorgter Bürger, um über die Flüchtlinge herzuziehen: Sie könnten Cholera, Parasiten und andere Krankheiten einschleppen, so Kaczyński.
Den jüngsten Umfragen zufolge kann die PiS zwar nicht mit der absoluten Mehrheit rechnen. Doch wenn Kaczyńskis Partei in der Regierung den Ton angibt, dürfte es in der EU schwierig werden. Gegen Flüchtlinge und alle Andersdenkenden, gegen Moskau und für eine NATO-Dauerstationierung im eigenen Land - das sind die erklärten Ziele der Nationalkonservativen.
Frust und Unzufriedenheit
Die noch regierende liberale Bürgerplattform (PO), die Donald Tusk bis vor einem Jahr erfolgreich führte, hat die beste Zeit hinter sich. Sie war die erste Partei seit 1989, die wiedergewählt wurde. In den 18 Jahren davor hat das Land zwölf verschiedene Regierungen gesehen. Lauf Umfragen dürften die Liberalen aber nun nur noch jede vierte Stimme bekommen.
Denn viele Polen sehen sich von den herrschenden Eliten der Bürgerplattform mittlerweile allein gelassen. Die Sparmaßnahmen setzen vielen zu. Wenn man boomende Städte wie Warschau oder Krakau verlässt, ist die Arbeitslosigkeit hoch und das Lohnniveau niedrig. Die soziale Ungleichheit wächst. Und die beschlossene Rente mit 67 lässt eben die Generation länger arbeiten, die in der harten Transformation der 1990er Jahre schon ständig um die Existenz kämpfen musste.
Jugend sucht das Weite
25 Jahre nach dem Ende des Kommunismus ist die Unzufriedenheit groß. Denn obwohl Berlin und Brüssel die polnischen Wirtschaftsdaten loben, spüren viele Menschen im Land nur wenig davon. Sogar die gut ausgebildete Jugend verlässt weiterhin das Land auf der Suche nach besserer Arbeit. "Ohne Beziehungen kein Job in der Heimat", hört man oft als Begründung.
Die derzeitige Regierung hat Arbeitsverträge zugelassen, die das Volk als "Schrottverträge" bezeichnet: Drei Millionen Polen arbeiten befristet, ohne Krankenversicherung und Kündigungsschutz, ohne Urlaub und das Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Die Einkommen gehören zu den niedrigsten in Europa. Vier von fünf Polen verdienen weniger als 845 Euro. Und die Durchschnittsrente liegt bei rund 460 Euro.
Verunsicherung der Wähler
Die Regierung kann also vor allem auf die Wähler zählen, die als privilegiert gelten, sowie vielleicht noch auf diejenigen, die das "kleinere Übel" wählen und verhindern wollen, dass die nationalkonservative PiS die Regierungsgeschäfte übernimmt..
Von der Enttäuschung über die jetzige Regierung dürfte aber nicht nur PiS-Spitzenkandidatin Beata Szydło profitieren. Denn Umfragen zufolgen wollen mehr als 40 Prozent nicht die zwei großen Parteien wählen. Jede zehnte Stimme könnte auf die rechte Protestbewegung des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz entfallen. Und möglicherweise könnte ein linkes Bündnis weitere acht Prozent auf sich vereinen und die marktliberale Moderne sechs Prozent. Andere Parteien, darunter auch auch radikale Gruppierungenen, dürften an der Fünfprozent-Hürde scheitern.