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PolitikPolen

Polens Justizminister verspricht Rückkehr des Rechtsstaats

Aureliusz M. Pedziwol
23. April 2024

Im DW-Interview berichtet der polnische Justizminister und Generalstaatsanwalt Adam Bodnar, wie er die Rechtsstaatlichkeit im Land wiederherstellen möchte. Sein größer Widersacher dabei: Präsident Andrzej Duda.

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Ein Mann mit kurzen Haaren und eckiger Brille mit schwarzem Rand (Adam Bodnar) schaut an der Kamera vorbei, im Hintergrund sind ein Adlersymbol und rote Lichtreflexe zu sehen.
Justizminister und Generalstaatsanwalt in Personalunion: Adam BodnarBild: Pawe Supernak/PAP/picture alliance

Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 hat Adam Bodnar viel zu tun. Da wäre zum einen die Sache mit dem Amt an sich: Bodnar ist sowohl Justizminister als auch Generalstaatsanwalt - die Doppelfunktion verdankt er seinem Vorgänger, der beide Ämter zusammengeführt hatte. Mehr noch dürfte ihn jedoch der Rückbau der Justizreform beschäftigen. Die Reform war von der Vorgängerregierung unter Leitung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) initiiert und massiv vorangetrieben worden. Die PiS höhlte durch die Reform das Justizsystem aus und griff in die Unabhängigkeit der Justiz ein, etwa indem sie neue regierungsfreundliche Richter ins Amt hob und unliebsame Richter abstrafte. Die EU leitete ein Ermittlungsverfahren wegen einer Verletzung von Artikel 7 ein - dem Verstoß gegen EU-Werte - und blockierte Milliarden an Fördergeldern, darunter auch Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Im Februar 2024 gab sie bis zu 137 Milliarden Euro wieder frei.

DW: Wie haben Sie die Europäische Kommission überzeugt, den Corona-Wiederaufbaufonds zu entsperren? Ist Polen jetzt schon ein Rechtsstaat?

Adam Bodnar: Wir müssen zwischen dem Wiederaufbaufonds und Artikel 7 des EU-Vertrags unterscheiden, in dem von der Wahrung der europäischen Werte die Rede ist. Um den Wiederaufbaufonds zu entsperren, mussten wir die Kommission davon überzeugen, dass keine Richter mehr verfolgt werden, die das europäische Recht anwenden und Auslegungsfragen stellen oder die Rechtsstaatlichkeit verteidigen.

Das Verfahren nach Artikel 7 gegen Polen läuft noch. Um es abzuschließen, haben wir einen Aktionsplan vorgelegt, der die Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Wiederherstellung des Rechtsstaates vorsieht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass vieles von der Zustimmung von Präsident Andrzej Duda abhängt, der sich bei der Beurteilung dieser Gesetze besorgt oder zurückhaltend zeigt.

Denn er selbst ist der Autor dieser Gesetze - zumindest einiger.

Eben.

Mehrere Menschen mit Masken stehen vor einem sandfarbenen Gebäude. Sie halten polnische und EU-Fahnen hoch sowie Plakate mit der Aufschrift "Konstytucja" - polnisch für "Verfassung".
Demonstranten protestieren im Juni 2020 vor dem polnischen Verfassungsgericht in Warschau gegen die JustizreformBild: Omar Marques/Getty Images

Wie soll es weiter gehen? Wollen Sie ein System schaffen, das der Einflussnahme durch die Politik besser widersteht?

Zunächst müssen wir unser Rechtssystem in Ordnung bringen und stabilisieren.

Eine Rückkehr zum Zustand aus der Zeit vor der Machtübernahme durch die Partei Recht und Gerechtigkeit im Jahr 2015 also?

Eine Rückkehr kann es nicht geben, denn wir haben ziemlich ineffiziente Gerichte. Wir müssen ihre Effizienz wiederherstellen. Und das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Wir brauchen aber auch verschiedene Schutzmechanismen, die es 2015 in Polen nicht gab, wie etwa die Überwachung der Geheimdienste. Die Pegasus-Affäre ist ein Beweis dafür.

Pegasus ist eine israelische Spionagesoftware, die eigentlich von Staaten zur Überwachung von Kriminellen eingesetzt werden soll. In Polen wurden damit unter der Vorgängerregierung auch Journalisten und Oppositionspolitiker abgehört.

Genau davor haben wir uns vor 2015 nicht geschützt. Es geht also auch um die Aufarbeitung der Rückstände von damals. Die Gerichte sollten über echte Kontrollmechanismen gegenüber den Geheimdiensten verfügen, insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen über Lauschangriffe und operative Kontrollen.

Sie wollen auch Ihre beiden Posten voneinander trennen - zurzeit sind Sie sowohl Justizminister als auch Generalstaatsanwalt. Warum?

Die Trennung der Ämter des Justizministers und des Generalstaatsanwalts ist ein sehr wichtiger Teil des Aktionsplans, den ich in Brüssel vorgestellt habe. Als die PiS 2015 die Macht übernahm, waren beide Ämter getrennt. Zbigniew Ziobro, der dann das Justizressort übernahm, hat jedoch sehr schnell beide Funktionen wieder zusammengeführt. Das habe ich von ihm "geerbt". Nun unternehme ich konkrete Schritte, um sie wieder zu trennen und um die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft wiederherzustellen.

Wie macht man das?

Ich bemühe mich, den Staatsanwälten Handlungsfreiheit zu geben, indem ich zur Seite trete. So äußere ich mich öffentlich zu den Angelegenheiten nicht, mit denen sie befasst sind. Gleichzeitig wird ein Gesetzentwurf erarbeitet, beide Ämter voneinander zu trennen.

Ein Mann im schwarzen T-Shirt, Igor Tuleya, steht vor einer weißen Wand, auf die mehrfach ein Porträt von ihm gesprüht wurde.
Kritische Richter wie Igor Tuleya wurden im Rahmen der Justizreform suspendiert und andere, der PiS nahestehende Richter ins Amt gebrachtBild: Bernd Riegert/DW

Wenn es um die Frage geht, wie die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederhergestellt werden kann, wird oft die die Ernennung von neuen Richtern genannt. Was ist da das Problem?

Ein 2018 verabschiedetes Gesetz ändert die Art und Weise, wie 15 der insgesamt 25 Mitglieder des Landesrates für Gerichtswesen gewählt werden. Sie wurden zuvor von anderen Richtern gewählt. Seit 2018 tut das Parlament dies. Das ist insofern gefährlich, als dass der Rat dem Präsidenten Kandidaten als Richter empfiehlt. Seit 2018 sind so mehr als 2000 Personen nominiert worden.

Ist das viel?

Auf jeden Fall nicht wenig, denn wir haben über 9000 Richter. Dieses Vorgehen wurde von Anfang an in Frage gestellt. Die damalige Regierungsmehrheit konnte auf diese Weise Einfluss auf die Justiz ausüben. Dadurch, dass parteinahe Richter befördert wurden, wurde ein neues Gerichtswesen aufgebaut - ein bisschen so wie in Ungarn.

Die neue Regierung sagt, dass die Wahl dieser 15 Ratsmitglieder durch die Richter selbst, statt durch das Parlament, wiederhergestellt werden muss. Darum geht es in dem Gesetzentwurf, der dem Parlament vorliegt. Aber wenn wir das tun, stellt sich gleich die Frage, was mit den Richtern geschieht, die bereits ernannt wurden.

Und?

Diese Debatte dauert an. Das Wichtigste ist jedoch die Erklärung des Präsidenten, dass alle Ernennungen nach 2018 gültig seien und dass wir sie nicht anrühren dürfen.

Wird Präsident Andrzej Duda also ein Veto einlegen? Er steht der Vorgängerregierung nah.

Der Präsident hat ein Veto im Zusammenhang mit dem Gesetz über den Landesrat für Gerichtswesen angekündigt. Aber es ist noch etwas Zeit, da die Debatte im Senat noch bevorsteht. Die endgültige Position des Präsidenten bleibt also abzuwarten.

Sie haben bereits die Affäre um die Späh-Software Pegasus erwähnt. Wie groß ist dieses Problem?

Enorm. Inzwischen kümmert sich ein Ermittlungsausschuss des Parlaments darum, der meiner Meinung nach noch eine wichtige Rolle spielen wird. Jetzt haben wir Zugang zu Daten, die sich in den Beständen der Geheimdienste befinden, zu Informationen darüber, gegen wen Pegasus eingesetzt wurde. Und die Staatsanwaltschaft hat dadurch die Möglichkeit, festzustellen, ob die Software missbraucht wurde. Unser Ziel ist es, diejenigen vor Gericht zu bringen, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben.

Ein Mann läuft vor einer orangefarbenen Wand entlang, auf der das Logo der NSO-Group angebracht ist.
Das israelische Technologieunternehmen NSO-Group hat die Späh-Software Pegasus entwickeltBild: Sebastian Scheiner/AP/picture alliance

Vor Kurzem haben Sie berichtet, dass 578 Personen von Pegasus überwacht wurden.

So lauten die Informationen des Militärischen Abwehrdienstes, der Agentur für Innere Sicherheit und des Zentralen Antikorruptionsbüros. Diese drei Dienste und die Staatsanwaltschaft verfügen über vollständige Listen von Personen, gegen die Pegasus eingesetzt wurde. Weitere, zusätzliche Fälle sind mir nicht bekannt.

Sind Sie imstande zu sagen, wie viele dieser Menschen rechtswidrig überwacht wurden und warum?

Allein schon die Pegasus-Software ist fragwürdig, da sie ein tiefes Eindringen in den Inhalt eines Mobiltelefons ermöglicht und darüber hinaus Daten an den Softwarehersteller übertragen kann. Natürlich könnte es sein, dass die Behörden Pegasus in gutem Glauben verwendeten, zum Beispiel zum Schutz der grundlegenden Interessen des Staates im Kontext der Spionage oder bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Es ist nun Aufgabe der Geheimdienste und der Staatsanwaltschaft, jeden einzelnen Fall sorgfältig zu analysieren und festzustellen, wie oft die Technologie missbräuchlich, in trivialen Angelegenheiten, auf unverhältnismäßige Weise oder zur Verfolgung politischer Ziele eingesetzt wurde.

Das Interview führte Aureliusz M. Pedziwol.

Zur Person:

Der 1977 geborene Jurist Adam Bodnar war 2015 bis 2021 Ombudsmann für Bürgerrechte und kritisierte als solcher den Justizumbau durch die PiS. Zuvor hatte er bei der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte gearbeitet. 2023 wurde Bodnar in den polnischen Senat gewählt, seit dem 13. Dezember ist er parteiloser Justizminister und Generalstaatsanwalt in der Regierung von Donald Tusk.