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Polit-Schaulaufen vor dem Industrieverband

Sabine Kinkartz11. Juni 2013

Die deutsche Wirtschaft hat Gewicht. Im Wahljahr lädt sie die Spitzenkandidaten fast aller Parteien auf ihren Tag der Industrie ein. Keiner sagt ab, aber nicht alle buhlen um die Gunst der Bosse.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und BDI-Präsident Ulrich Grillo auf dem Tag der Industrie (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images

Selbstbewusstsein liegt in der Luft. 1500 Gäste hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nach Berlin eingeladen. Ein Verband, der von sich sagen kann, dass ein Drittel der gesamten Wertschöpfung in Deutschland auf das Konto der von ihm vertretenen Unternehmen geht. Vor dem Tempodrom, einer Veranstaltungshalle unweit der politischen Stadtmitte, sind weiße Zelte aufgebaut. Hinter gut bewachten Absperrungen dominieren dunkle Anzüge das Bild, vier von fünf Gästen sind Männer.

Um "die Zukunft der Industrie" soll es gehen, so steht es in der Einladung. Welchen Herausforderungen steht die Industrie bis zum Jahr 2020 gegenüber? Und: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen? Die Forderungen seines Verbandes diktiert BDI-Präsident Ulrich Grillo den anwesenden Journalisten in die Schreibblöcke. "Deutschland ist leistungsstark, und damit wir das bleiben, dürfen wir unsere Reformerfolge nicht leichtsinnig verspielen", formuliert er. Staatlich verordnete Mindestlöhne und Managergehälter, das Betreuungsgeld oder eine Mietpreisbremse seien falsch. Gefährlich für Wachstum und Arbeitsplätze seien auch Pläne, Vermögen stärker zu besteuern. Das komme einer "Enteignung" gleich.

Heimspiel für Rösler

Philipp Rösler auf dem Tag der Industrie (Foto: dpa)
Kam gut an: Philipp RöslerBild: picture-alliance/dpa

Forderungen, die auch vom ersten Redner des Tages, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, stammen könnten. Der Bundeswirtschaftsminister versteht sich gut mit der Industrie. "Leistung ist keine Körperverletzung", sagt er und fordert "nicht nur Verteilungsgerechtigkeit". Das kommt bei seinen Zuhörern genauso gut an wie das Versprechen, auch in Zukunft "Politik für die Industrie" machen zu wollen. "Ich möchte mich für die Zusammenarbeit der letzten Jahre bedanken", so der Minister und fügt hinzu, er freue sich schon jetzt "auf die exzellente Zusammenarbeit der kommenden Jahre".

Was die FDP im Fall einer erneuten Regierungsbeteiligung machen will, zählt Rösler Punkt für Punkt auf. Die Währung stabilisieren, keine neuen Schulden machen, Fachkräfte- und Rohstoffsicherung betreiben, für die Bezahlbarkeit von Energie sorgen, keine weiteren Belastungen für die Unternehmen und auch nicht für ihre Beschäftigten einführen. Rösler stellt die unternehmerische Freiheit über alles. "Man kann sich auf die Unternehmen verlassen, sie sind mit ihrer Freiheit immer verantwortungsbewusst umgegangen, das zeigt die Geschichte unseres Landes", ruft er.

Probleme mit dem Rednerpult

Die Pläne von SPD und Grünen, hohe Vermögen und Erbschaften stärker zu besteuern, nennt Rösler einen "Raubzug durch die Mitte der Gesellschaft". Der treffe aber nicht nur "ihre Beschäftigten", gibt er seinen Zuhörern zu bedenken, "sondern auch sie als Unternehmer". Die Vermögensabgabe fehle am Ende für Investitionen in die Unternehmen. "Eine Vermögenssteuer ohne Substanzbesteuerung ist wie ein vegetarischer Schlachthof. Das kann am Ende nicht funktionieren."

Angela Merkel auf dem Tag der Deutschen Industrie in Berlin (Foto: dpa)
Kein politisches Farbenspiel: Die Kanzlerin bei ihrer Rede auf dem Tag der IndustrieBild: picture-alliance/dpa

In die gleiche Kerbe schlägt anschließend der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Keine Steuererhöhungen, keine weiteren Belastungen für die Wirtschaft. Wichtig sei vor allem die Haushaltskonsolidierung. "Der Leitsatz, dem sich alles unterordnen muss, ist ein ausgeglichener Haushalt und der Beginn der Schuldentilgung." Das ist auch die Meinung der Bundeskanzlerin. Die hat allerdings erst einmal mit dem Rednerpult zu kämpfen, das noch auf den sehr viel größeren Seehofer eingestellt ist. "Sieht man mich überhaupt noch?", fragt sie, nachdem sie die Bühne betreten hat, und reckt den Kopf über das Pult hinweg.

Das kleinere Übel

An Angela Merkel wird die Wirtschaft allerdings auch bei der kommenden Bundestagwahl kaum vorbeisehen können und wollen. Das liegt weniger an der CDU, sondern vielmehr an der politischen Opposition in Berlin. Angesichts der angekündigten Steuererhöhungen von SPD und Grünen hat sich für die Unternehmer die Frage nach einer politischen Alternative zu schwarz-gelb längst erledigt. Daran ändert auch nichts, dass die CDU für den Geschmack der Wirtschaftsbosse in den vergangenen Jahren viel zu weit vom wirtschaftskonservativen Kurs abgerückt ist.

Die Bundeskanzlerin weiß um das Gegrummel in den Reihen der Wirtschaft und bemüht sich auf dem Tag der Industrie, ihre Kritiker zu überzeugen. Wie ihre Vorredner verspricht sie eine grundlegende Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Einschnitte bei der Förderung des Ökostroms. Steuererhöhungen werde es mit ihr nicht geben. "Jede Irritation ist falsch, wir behalten unseren Kurs bei."

Mütterrenten und Kindergeld

Merkel packt aber Themen an, die bei der Wirtschaft nicht gut ankommen. Da ist die Rede von Gerechtigkeit und der Frage, "wie wir den Laden zusammenhalten". Die CDU sei weiterhin gegen einen grundsätzlichen Mindestlohn, aber tarifliche Mindestlöhne müsse es einfach geben. Es könne nicht angehen, dass ein Arbeitnehmer 40 Stunden pro Woche arbeite und sich anschließend vom Arbeitsamt sein Gehalt aufstocken lassen müsse, um leben zu können, kritisiert die Kanzlerin. "Das ist nicht in Ordnung", sagt sie, fügt aber an die Wirtschaftsbosse gerichtet noch hinzu: "Ich bitte sie um Verständnis."

Es folgen noch die umstrittenen Wahlversprechen. Fast 30 Milliarden Euro würden höhere Mütterrenten, mehr Kindergeld sowie höhere Freibeträge für Familien kosten. Merkel ficht das nicht an. In den kommenden vier bis fünf Jahren werde es aufgrund der exzellenten Beschäftigungslage und der guten Wachstumsraten etwa 50 bis 60 Milliarden Euro mehr Steuermehreinnahmen geben, sagt sie. "Die kann ich doch dann wieder investieren, ohne dass ich mein Haushaltsziel infrage stelle", argumentiert die Kanzlerin. Außerdem sollten die Mütterrenten nicht aus dem Haushalt, sondern aus dem Bundeszuschuss und den Rücklagen der Rentenkasse finanziert werden.

Zumutungen zum Nachtisch

In der Mittagspause sind die Reden des Vormittags bei Zander in Rote-Beete-Gelee, kaltem Gurkensüppchen und Currywurst das beherrschende Thema. Den meisten hat grundsätzlich gefallen, was sie gehört haben. Den nun anschließenden Auftritten von SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück und der grünen Spitzenkandidatin Göring-Eckardt wird hingegen mit wenig Erwartungen entgegengesehen. Es ist der Teil des Tages, der mit dem Begriff "politische Zumutungen" überschrieben ist.

Peer Steinbrück weiß, dass er kein Heimspiel haben wird. Doch es scheint, als fühle sich der SPD-Politiker dadurch erst richtig herausgefordert. "Das wird jetzt etwas spannender als heute Vormittag", sagt der Mann, der gerne Kanzler werden würde. Er könne sich vorstellen, dass einiges von dem, was er zu sagen habe, nicht mit Begeisterung aufgenommen werde, aber "ich kann mir vorstellen, dass in einer längeren Perspektive wir doch am Ende eines Taus zum gleichen Zeitpunkt ziehen sollten".

Peer Steinbrück und Ulrich Grillo (Foto: dpa)
"Ich verspreche ihnen nichts!" Der Kanzlerkandidat und der BDI-PräsidentBild: picture-alliance/dpa

Verdient das gute Zensuren?

An der Politik der zurückliegenden vier Jahre lässt Steinbrück kein gutes Haar, erinnert an Versäumnisse wie die gebrochenen Steuerversprechen der FDP. "Einige haben darüber erotisch verklärte Gesichtsausdrücke bekommen. Sie haben denen geglaubt und das gönne ich ihnen", sagt er nicht ohne eine gewisse Schadenfreude. Als entsprechend unglaubwürdig hakt er die aktuellen Wahlversprechen der Regierungsparteien ab. "Ich lege ihnen nahe, unserer Konkurrenz genauso wenig zu glauben, wie uns."

Während die Kanzlerin ein Land sieht, das gut dasteht, kontert Steinbrück mit maroder Infrastruktur, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft und einem gescheiterten EU-Krisenmanagement. "Das sind schlechte Nachrichten, aber ehrliche Nachrichten", fasst er zusammen. Geschickt sät Steinbrück Zweifel an der Regierungspolitik und stellt seinen Zuhörern immer wieder die gleichen Fragen: "Glauben sie das? Haben sie wirklich den Eindruck, dass das so ist? Verdient das gute Zensuren?"

Im Gegenzug versucht der Kanzlerkandidat, die Zweifel am Wahlprogramm seiner Partei auszuräumen. An der Unternehmensbesteuerung werde sich unter ihm nichts ändern, es werde auf keinen Fall an die unternehmerische Substanz gehen. Das gelte für die Körperschaftsteuer, die Kapitalgesellschaften zu zahlen haben. Auch an der Gewerbesteuer werde sich "nach Lage der Dinge" wenig tun. Die von der SPD geplante Erhöhung der Einkommensteuer solle nur vermögende Privatpersonen treffen. Wo der höhere Spitzensteuersatz der Einkommensteuer auch Personengesellschaften, also Firmen belasten könnte, solle mit verschiedenen Instrumenten sichergestellt werden, dass sie nicht schlechter als Kapitalgesellschaften behandelt würden.

Auto fährt an einem Schlagloch vorbei (Foto: picture alliance)
Marode Infrastruktur: Wer hat noch Geld, um Schlaglöcher zu stopfen?Bild: picture alliance/ZB

Farbloser Abschluss

Dem Argument des BDI, der Staat habe ein Ausgaben- und kein Einnahmeproblem, hält Steinbrück entgegen, dass es unbedingt mehr Geld für Bildung, für den Ausbau der Infrastruktur und für notleidende Kommunen geben müsse. Das sagt auch die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die anführt, Deutschland lebe von der Substanz, an allen Ecken und Ende fehle das Geld für Investitionen. "Wir sind davon überzeugt, dass die Starken zahlen sollen", sagt sie und verteidigt die von den Grünen geplante Vermögensabgabe als unabdingbar für die gewaltigen Aufgaben, die Deutschland vor sich habe.

Doch der Auftritt der grünen Spitzenkandidatin bleibt farblos, ihre Argumente erreichen niemanden. Schon lichten sich die Reihen, viele Zuhörer verlassen den Saal. "Ich komme mir vor wie auf einem Kirchentag", raunt ein Mann im Vorbeigehen und greift sich an den Kopf. Da spricht Göring-Eckardt gerade von 2,5 Millionen armen Kindern in Deutschland und von verschenkten Potenzialen.