Politgefangener Dadin frei
22. Februar 2017Koffer packen, Flugticket holen und ab nach Sibirien, nach Barbaul zu Ildar! Ihren Mann hat Anastasia Sotowa, die Ehefrau von Ildar Dadin, seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Er war am 7. Dezember 2015 schuldig gesprochen und zu drei Jahren Straflagerhaft verurteilt worden. Vorwurf der Behörden: mehrfacher Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, genauer gesagt, wiederholte Teilnahme an nichtgenehmigten Einzelprotesten. Dass die Einzelproteste aber in Russland nicht genehmigt werden müssen, hat die Richter nicht interessiert.
"Mein Mann war ein Symbol aller politischen Gefangenen in Russland und gleichzeitig ein Dorn im Auge der russischen Behörden", erzählt Anastasia Sotowa kurz nach der Freilassung ihres Mannes der Deutschen Welle. "Darum kam er auch frei. Er sollte nicht länger an Russlands Image kratzen und die Diplomaten ständig daran erinnern, wie schlimm es um Menschenrechte in Russland bestellt ist."
Die Freilassung ihres Mannes sei nicht überraschend, sagt Sotowa. Schließlich sei das Oberste Gericht lediglich der Entscheidung des russischen Verfassungsgerichts gefolgt, das wiederum den Fall Dadin neu aufrollen wollte. Dadins Anwälte hielten den entsprechenden Strafrechtsparagraphen für verfassungswidrig. Das fand das Verfassungsgericht aber nicht. Es befand lediglich, dass eine ordnungsrechtliche Strafe von Dadin zum Zeitpunkt des Strafverfahrens noch nicht rechtskräftig war, womit der Tatbestand des Paragraphen nicht erfüllt war.
Ein Dorn im Auge der Behörden
Ildar Dadin war mehrmals auf Moskaus Straßen mit Plakaten unterwegs, auf denen Sätze wie "Gestern Kiew, morgen Moskau" oder "Je suis Charlie" stand. Er fiel auf, weil er immer wieder protestierte, friedlich, leise, aber beharrlich. Im Zentrum, nahe am Roten Platz, der russischen Machtzentrale. Er wurde tatsächlich zu einem Dorn im Auge der Behörden, und die Behörden wendeten bei ihm als erstem Bürger Russlands den umstrittenen neu eingeführten Paragraphen 212.1 des russischen Strafgesetzbuches an.
Doch auch nach der Verhaftung gab Dadin nicht auf. Am 1. November 2016 schrieb er einen Brief aus der Strafkolonie IK-7 in Senesch, in dem er sich über Folter beschwerte. Diesen Brief schickte er seiner Frau Anastasia, sie beschloss, ihn zu veröffentlichen. Über Dadin sprach wieder plötzlich ganz Russland. Darüber, wie er laut eigenen Aussagen misshandelt und schwer gefoltert worden war. Über schlimme Schmerzen danach, über die offensichtlichen Lügen der Behörden und die systematische Vertuschung der Foltermethoden.
Dadin rechnete bereits mit seinem Tod
Der Brief war riskant, Dadin nahm sogar seinen Tod in Kauf, der seiner Darstellung nach als Folge eines Unfalls, einer misslungenen Flucht oder einer einfachen Gefängnisschlägerei von der Gefängnisleitung hätte dargestellt werden können. Doch es kam anders. Dadins Brief erschütterte Russland. Eine Debatte entbrannte. Am Ende kam Dadin frei.
"Seine Schwester ist hier, sein Bruder, wir alle sind überglücklich", freut sich Anastasia Sotowa. Und mahnt gegenüber der DW: "Ildar ist frei, aber Dutzende andere sitzen noch ein und werden gefoltert. Sie haben Pech, weil sie im Gegensatz zu Ildar weniger oder gar nicht bekannt sind. Das sind die Krimtataren, das sind die Gefangenen der Proteste am Bolotnaja-Platz in Moskau. Die Behörden sind abhängig von den Befehlen von ganz oben. Auch mein Mann wurde nicht freigelassen, weil das Gericht seinen Fehler erkannte, sondern weil man es ganz oben so entschieden hat."
Will sie jetzt auch für die Rechte der anderen kämpfen? Sie wisse das noch nicht. Aber erstmal wolle Anastasia Sotowa wieder eine Ehefrau sein, die mit ihrem Mann zusammen ist. Und nicht die Frau eines politischen Gefangenen.