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Politik

"Politik ist nicht kompliziert"

21. Juni 2017

Die vietnamesische Sängerin und Aktivistin Mai Khoi engagiert sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Sie trat auf dem Global Media Forum der DW auf. Hier spricht sie über ihr politisches Engagement.

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Maikhoi Donguyen (Artist & Activist, Hanoi)
Bild: DW/K. Danetzki

Vietnam ist ein junges und dynamisches Land. 40 Prozent der etwa 90 Millionen Vietnamesen sind 24 Jahre alt oder jünger. Die Wirtschaft wächst rasant und in den Metropolen Ho Chi Minh Stadt und Hanoi schießen Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden.

Weniger jung und dynamisch ist die Politik des Landes. Die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) ist länger an der Macht als jede andere Kommunistische Partei der Welt. Die KPV duldet keine politischen Kräfte neben sich. Ältere Parteikader warnen seit längerem vor einer "friedlichen Evolution" hin zu einem pluralistischeren System, die das Machtmonopol der KPV untergraben könnte.

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Mai 2016 sorgte die vietnamesische Sängerin und Liedermacherin Mai Khoi für einige Unruhe. Sie kandidierte für die Nationalversammlung. Ohne Erfolg. Aber ihre Aktion löste eine rege Debatte über politische Teilhabe aus. Im gleichen Monat reiste der damalige US-Präsident Obama nach Hanoi, wo er die Sängerin neben anderen Aktivisten traf. Schon davor engagierte sich Mai Khoi für Demokratie, Menschenrechte und gegen die Gewalt gegen Frauen. 

Zurzeit arbeitet sie an einem neuen Album. Mit ihrer aktuellen Musik knüpft sie direkt an die reiche und einflussreiche Tradition politischer Songs an.

Die Deutsche Welle lud die Sängerin und Aktivistin ein, um auf dem Global Media Forum 2017 zu sprechen und den Freedom of Speech Award musikalisch zu begleiten. Der Preis wird seit 2015 an Personen oder Institutionen verliehen, die sich in besonderer Weise um die Menschenrechte und Meinungsfreiheit verdient gemacht haben.

Deutsche Welle: Wann und wie wurde Ihr Interesse für Politik geweckt?

Richtig angefangen hat das eigentlich erst, seit ich von Freunden ermutigt wurde, als unabhängige Direktkandidatin für die Nationalversammlung zu kandidieren. Das war im Februar 2016. Damit ging es richtig los.

Vorher hatte ich mich schon für verschiedene soziale Projekte engagiert. Schon damals sind mir viele Dinge in der Politik bzw. dem politischen System aufgefallen, die ich problematisch fand. Aber seit meiner Kandidatur hat sich das noch verstärkt. Seit ich das erlebt habe, sehe ich viel klarer, wie viele Grenzen es in Vietnam gibt. Und ich bin mit vielen Menschen in Kontakt gekommen, die das ähnlich empfinden.

Wie erklären Sie sich, dass sich nur wenige Vietnamesen und insbesondere wenige junge Vietnamesen für Politik interessieren?

Das hat meiner Ansicht nach mit dem Bildungssystem zu tun. Dieses enge System führt dazu, dass die Leute Angst haben, mit Politik in Kontakt zu kommen. Sie denken, dass ist die Aufgabe des Staates und der Regierung. Das gehe sie nichts an und sie sollen nicht darüber reden. Sie fürchten, sich in Gefahr zu bringen. Das gilt vor allem für junge Leute, die nicht den Mut haben, politische Fragen zu stellen. Leider führt das auch dazu, dass sie über viele soziale und gesellschaftliche Herausforderungen nicht nachdenken.

Was kann getan werden, um die Menschen für Politik zu interessieren?

Es ist zuerst einmal wichtig, alle Menschen, egal ob jung oder alt, und alle gesellschaftlichen Gruppen für die Politik zu gewinnen. Jede Entscheidung unseres Lebens wird von Politik beeinflusst. Ob wir uns scheiden lassen oder mit unserem Mann weiter leben, welche Schule unsere Kinder besuchen, ob wir für mehr Grün in den Städten sind oder nicht. All das sind wichtige Fragen und wir alle können etwas dazu beitragen. Mit meiner Kandidatur wollte ich unterstreichen, dass jeder das Recht haben sollte, sich einzubringen und die Politik mitzugestalten. Es geht schließlich um unser Leben.

Politik ist nicht schwierig oder kompliziert. Wir müssen die Menschen, vor allem die Jugend inspirieren. Jeder sollte das Gefühl haben, dass er etwas bewirken kann, dass er Teil einer Gruppe, eines Ortes oder des Landes ist und dass er helfen kann, das Leben zu verbessern. Wir müssen der Jugend zeigen, dass sie wichtig ist.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass es in der nächsten Nationalversammlung mehr Plätze für unabhängige Kandidaten gibt. Vor allem für junge Leute. Das wäre nur eine kleine Änderung, aber so können wir Schritt für Schritt etwas erreichen und unsere Regierung erweichen. (Lacht) Wie müssen auch darauf drängen, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Vietnam endlich Raum bekommt.

Menschenrechtsorganisationen wie HRW und AI berichten immer wieder, dass Aktivisten und Blogger in Vietnam angegriffen und massiv unter Druck gesetzt werden. Haben Sie Angst?

Als Aktivist in Vietnam muss man ein Gespür dafür haben, was zu welcher Zeit geht und was nicht. Aber das ist nicht leicht. Da es in Vietnam keine Rechtssicherheit gibt, weiß man nie genau, ob man die "rote Linie" schon überschritten hat oder nicht. Zurzeit etwa ist der Umweltskandal um das Stahlwerk eines taiwanesischen Konzerns ein sensibles Thema [das Stahlwerk hatte hochgiftige Abwässer illegal ins Meer eingeleitet und damit Tonnen von Fisch vergiftet, Anm. d Red.]. Oder die Auseinandersetzungen mit China über das Südchinesische Meer. Hier ist die Gefahr groß, verhaftet zu werden.

Trotzdem müssen wir uns weiter für Menschenrechte und Meinungsfreiheit engagieren. Aber wenn wir Probleme ansprechen oder Blogs schreiben, müssen wir uns wie im Verkehr von Hanoi geschickt durchschlängeln. Nur so können wir die Menschen erreichen.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen

Mai Khois Website

 

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia