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Der Fall EnBW

Andreas Becker3. Juli 2012

International gilt Deutschland als wenig korrupt. Und doch geht längst nicht alles mit rechten Dingen zu. Beim Verkauf eines Energiekonzerns Ende 2010 bestimmte ein Banker das Handeln eines gewählten Politikers.

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Stefan Mappus, Dirk Notheis
Kombibild Stefan Mappus Dirk NotheisBild: picture alliance / dpa

Dies ist die Geschichte von zwei Freunden, die gemeinsam ein Riesengeschäft machen wollten. Der eine behauptet, zum Wohl der Bevölkerung gehandelt zu haben, denn er war Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes. Der andere gibt zu, damit auch Geld verdient zu haben. Er war Chef einer Investmentbank und beriet den Ministerpräsidenten.

Das große Geschäft - es ging um den Kauf von Anteilen an Deutschlands drittgrößtem Energiekonzern - fand Ende 2010 statt. Inzwischen hat der Ministerpräsident sein Amt verloren und der Bank-Chef seinen Posten, ein Untersuchungsausschuss ermittelt. Dem Steuerzahler ist möglicherweise ein Milliardenschaden entstanden. Nicht zu beziffern ist der Schaden, den das Vertrauen in die Politik erlitten hat. Denn der Ministerpräsident brach die Verfassung und wirkte wie eine Marionette des Bankers. Doch der Reihe nach.

Im Jahr 2000 hatte das Bundesland Baden-Württemberg einen Teil des staatlichen Energiekonzerns EnBW verkauft, und zwar an den französischen Konzern EDF. Zehn Jahre später wollte das Land knapp die Hälfte der Anteile zurückkaufen und den Energieversorger wieder unter staatliche Kontrolle bringen.

Freunde, Brüder, Steuergeld

Der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, Dirk Notheis, fädelte den Deal ein. Er war dafür in einer einzigartigen Position. Sein Kollege, der Frankreich-Chef von Morgan Stanley, ist der Zwillingsbruder des EDF-Chefs, also des Verkäufers der Anteile. Und mit dem Käufer, vertreten durch Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, verbindet Notheis seit der Jugend eine enge Freundschaft.

Die handelnden Akteure waren also entweder befreundet oder verwandt. Bezahlt wurde mit Steuergeld: 4,7 Milliarden Euro. Für seine Beratung stellte der Investmentbanker dem Bundesland 12,8 Millionen Euro in Rechnung, plus Mehrwertsteuer.

"Es ist unmöglich, dass ein Ministerpräsident einem Freund, der Partner von Morgan Stanley ist, ein Mandat gibt und nicht sagt: ich habe einen Interessenkonflikt", so Caspar von Hauenschild, Vorstandsmitglied der Nichtregierungsorganisation Transparency International, die sich in der Korruptionsbekämpfung engagiert. Die Vorfälle beim EnBW-Geschäft zeigten darüber hinaus auch das Versagen des ganzen Systems: "Diejenigen, die wissen mussten, dass der Ministerpräsident in einer freundschaftlichen Beziehung zu diesem Mann steht, hätten ihm sagen müssen: Das geht nicht, du kannst gerade dem kein Mandat geben. Es gibt ja auch noch ein paar andere Investmentbanker", so von Hauenschild gegenüber DW.

"Du fragst Mutti"

Andere Investmentbanker wollte der Mann von Morgan Stanley bewusst aus dem Geschäft heraushalten. Am 4. Dezember 2010 schrieb Notheis eine Email an den Ministerpräsidenten: "Du wirst Anrufe von zahlreichen Banken bekommen. Sie werden Dich drängen, Ihnen ein Mandat zu geben. Du musst alles ablehnen (!!) und sagen, dass Du bereits vollständig beratungstechnisch aufgestellt bist. Bitte achte darauf, dass Du das durchziehst. Das verursacht sonst erheblich mehr Sand im Getriebe, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen."

Der Banker schrieb dem Politiker auch, wen er wann zu informieren habe - und Mappus hörte aufs Wort. Der damalige Finanzminister des Bundeslandes und der Chef des Energieversorgers erfuhren erst kurz vor dem Kauf von den Plänen. Notheis riet Mappus auch, sich um einen Termin mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy zu bemühen. "Du fragst Mutti, ob sie Dir das arrangieren kann", mailte er am 26. November 2010. Mit "Mutti" meinte er die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

"Das sind Verhaltensweisen von einzelnen Personen, die offensichtlich jede Form von Bindung an demokratische Strukturen aufgegeben haben, wohl auch aus persönlichen Bereicherungsinteressen", so der Wirtschaftsethiker Michael Aßländer vom Internationalen Hochschulinstitut Zittau gegenüber DW.

Das Logo "EnBW" der Energie Baden-Wuerttemberg (Foto: Felix Kaestle/dapd)
Dunkle Wolken über EnBWBild: dapd

Zwei Milliarden Euro zuviel

Vor dem Untersuchungsausschuss wiesen Mappus und Notheis jede Schuld von sich. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass sich einer der Beteiligten illegal bereichert hat. Allerdings nannte der Investmentbanker den Kaufpreis in einer Email an einen Kollegen "mehr als üppig", während er ihn gegenüber Mappus als "fair" bezeichnete. Das Land Baden-Württemberg hat EDF inzwischen auf die Rückzahlung von zwei Milliarden Euro verklagt.
Ministerpräsident Mappus sagte, er sei "nie zu etwas gedrängt" worden, Vorwürfe, er habe sich wie eine Marionette verhalten, seien "absurd".

Stock tickers light up Morgan Stanley headquarters Monday, Sept. 22, 2008 in New York. Investment bank Morgan Stanley said Monday it signed a letter of intent to sell up to 20 percent of the company to Mitsubishi UFJ Financial Group Inc. (AP Photo/Mark Lennihan)
Logo von Morgan Stanley, hier in New YorkBild: AP

"Ich fürchte, das Verhalten ist strafrechtlich nicht relevant. Aber es ist ethisch im höchsten Maße bedenklich", so Caspar von Hauenschild von Transparency International. In Deutschland fehle es immer noch an ausreichender Sensibilität für Interessenskonflikte. Die könnten im Alltag häufig vorkommen. Wichtig sei, wie man damit umgeht. "Man löst Interessenskonflikte auf, indem man sie transparent macht und sich dann aus der jeweiligen Verantwortung zurückzieht. Dann muss das eben jemand anders machen. Oder der Auftrag geht an einen anderen, mit dem ich keinen Interessenskonflikt habe."

Verfassungsbruch

Bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2011 erhält Ministerpräsident Mappus die Quittung. Seine Partei, die CDU, verliert die Wahl, er sein Amt. Ein halbes Jahr später befinden die obersten Richter des Landes, Mappus habe beim EnBW-Geschäft die Verfassung gebrochen, weil er das Parlament nicht ausreichend informiert hatte.

Auch Dirk Notheis, der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, ist seinen Job inzwischen los. Nach dem Bekanntwerden seiner Emails war er für seine Bank zu Belastung geworden. Mehrere Politiker kündigten an, bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten zu wollen. Ende Juni musste Notheis seinen Posten schließlich räumen.

Unterdessen hat der Energiekonzern EnBW schon mit dem nächsten Skandal zu kämpfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Untreue bei Geschäften in Russland.