Mexikaner misstrauen ihrer Polizei
18. Juni 2020Der Maurer Giovanni López wurde am 4. Mai in der mexikanischen Kleinstadt Ixtlahuacán de los Membrillos bei Guadalajara von zehn Gemeindepolizisten festgenommen. Wegen aggressiven Verhaltens, sagt Enrique Alfaro, der Gouverneur des Bundesstaates Jalisco. Weil er keinen Mundschutz trug, sagen die Verwandten von Giovanni López. Am nächsten Morgen wurde der 30-Jährige in ein Hospital eingeliefert und starb dort an Hirnblutungen. Nach Erkenntnissen der Menschenrechtskommission des Bundesstaates wurde López in Polizeigewahrsam gefoltert und zu Tode geprügelt.
Drei Polizisten wurden deshalb festgenommen. Jetzt demonstrierten Kollegen gegen die Kriminalisierung ihres Berufsstandes. "Die Regierung und die Institution lassen uns alleine. Wir haben weder klare Protokolle, noch Fortbildungen", klagten einige Hundert Uniformierte am Montag in Mexiko-Stadt.
Polizeigewalt ist seit Jahren ein strukturelles Problem in Mexiko. Das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Sicherheitskräften ist erschüttert. Und das nicht erst, seit dem Fall der 43 Lehramtsstudenten von Ayotzinapa. Sie waren von Polizisten und Kriminellen attackiert worden und wurden anschließend entführt. Bis heute ist unklar, was mit den Studenten passiert ist. Vermutlich wurden sie ermordet. Der Fall erregte weltweit Aufsehen und machte klar, dass mexikanische Polizisten auch Todesschwadrone im Sold von korrupten Politikern und Drogenkartellen sein können. Mexikos Polizei landet seit Jahren mit Parteien, Gewerkschaften und Senatoren bei Umfragen regelmäßig auf den hinteren Plätzen der vertrauenswürdigsten Institutionen des Landes.
Folter in Mexiko weit verbreitet
Zahlen zur Polizeigewalt sind kaum zu bekommen, kritisiert die Sicherheitsexpertin am Zentrum für Wirtschaftliche Forschung und Lehre (CIDE), Catalina Pérez-Correa. Einem Bericht des Online-Portals "Ruido en la Red" ("Lärm im Netz") zufolge gibt es pro Tag zwei willkürliche Festnahmen. Laut UN ist Folter in Mexiko noch immer ein weitverbreitetes Mittel, Geständnisse zu erzwingen. Fast die Hälfte aller Festgenommenen sagt vor dem Haftrichter, sie seien eingeschüchtert oder misshandelt worden, so eine Studie des CIDE.
Edgar Cortéz vom Institut für Demokratie und Menschenrechte (IMDHD) führt dies auf die schlechte Ausbildung und geringe Bezahlung der Polizisten zurück. Das Training dauert gerade mal ein halbes Jahr, der Verdienst beträgt im Schnitt umgerechnet 200 US-Dollar monatlich. "Weder werden sie psychologisch geschult, noch gibt es klare Protokolle für angemessene Gewaltanwendung in Krisensituationen oder eine externe Evaluierung", zählt Cortéz auf. "Die Polizisten werden alleine gelassen und müssen oft als Sündenböcke herhalten."Das hätte die 2016 in Kraft getretene Reform der Strafprozessordnung zwar ändern sollen, doch Politiker investierten lieber in moderne Gerichtssäle mit Videokameras, die man publikumswirksam einweihen kann, statt in die wenig sichtbare Fortbildung von Polizisten. Die dysfunktionale Polizei ist auch ein Problem von Mexikos Föderalismus, der jedem Bürgermeister und jedem Gouverneur eine eigene Polizeieinheit unterstellt, die manch einer als persönliche Schlägertruppe betrachtet. An der Professionalisierung der Polizei seien Politiker nicht wirklich interessiert, vermutet Cortéz.
Mit starker zentraler Polizei gegen das organisierte Verbrechen
Zwar gibt es auch positive Beispiele, etwa in den Bundesstaaten Aguascalientes oder Querétaro. Dort haben die jeweils gleichnamigen Hauptstädte ihre Gemeindepolizisten als Nachbarschaftspolizei ausgebildet und bieten regelmäßige Informationsveranstaltungen für die Bürger an. "Doch wechselt dort der Gouverneur, kann sich das Blatt schnell wenden", gibt Sicherheitsexpertin Pérez-Correa zu bedenken. Die Antwort der letzten vier Präsidenten auf die Problematik war immer dieselbe: Rezentralisierung. Die Gemeindepolizei versage im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen, so die Lesart, also müsse eine starke zentrale Polizei her. Die wurden auch geschaffen, und zwar von jedem Präsidenten neu - von der Bundespolizei über die Gendarmerie bis zur aktuellen Nationalgarde. Genutzt hat es wenig: Gewalt und Verbrechen nehmen in Mexiko weiter zu. 2019 war mit 35.588 Morden ein Rekordjahr; 2020 dürfte laut der Mordrate der ersten vier Monate noch tödlicher werden.
Seit einigen Jahren wird die öffentliche Sicherheit zunehmend militarisiert. Die Armee genießt in der Bevölkerung Ansehen. Sie hat fast 300.000 Mann unter Waffen, ist im ganzen Land vertreten und hat eine klare Befehlsstruktur. Präsident Andrés Manuel López Obrador hat deshalb die Nationalgarde dem Militär unterstellt. Menschenrechtler halten das für einen Fehler. "In so einem riesigen Land braucht man eine Nachbarschaftspolizei, die präventiv arbeitet", sagt Pérez-Correa. Präsident López Obrador hat diese zwar 2019 geschaffen - doch Geld im Haushalt hat er dafür nicht bereitgestellt.
Das Militär sei laut der Verfassung für die Landesverteidigung zuständig und nicht für die öffentliche Sicherheit, wofür es nicht ausgebildet sei, gibt sie zu bedenken. Zwischen 2012 und 2018 gingen bei der Nationalen Menschenrechtskommission 4600 Beschwerden von Bürgern gegen Soldaten ein. Sie reichen von illegalen Festnahmen bis zu außergerichtlichen Hinrichtungen.