"Ida" macht das Rennen
13. Dezember 2014"Das ist ein großer Tag für Polen", freute sich Pawel Pawlikowski, der nicht nur die Trophäen als bester Regisseur und Drehbuchschreiber mit nach Hause nehmen kann. Sein Schwarz-Weiß-Film "Ida" gewann auch den Publikumspreis und ließ in der Königskategorie "bester Spielfilm" die starke Konkurrenz hinter sich. "Ida" erzählt die Geschichte einer jungen Novizin, die kurz vor ihrem Gelübde erfährt, dass sie eigentlich Jüdin ist.
Der favorisierte dänische Regisseur Lars von Trier mit seinem fünfstündigen skandalumwitterten Sexsüchtigen- und Masochistinnen-Sex-Drama "Nymphomaniac Director's Cut – Volume I & II" ging leer aus. Ebenfalls nominiert war das dreistündige türkische Opus "Winterschlaf" über die Lebenskrise eines intellektuellen Patriarchen in Kappadokien. Regisseur Nuri Bilge Ceylan hatte damit in Cannes schon die Goldene Palme geholt. Schweden kämpfte mit Ruben Östlunds "Höhere Gewalt" um die Trophäe, einer Geschichte über die unaufhaltsamen Dekonstruktion einer schwedischen Kleinfamilie während eines Skiurlaubs in den französischen Alpen. Und schließlich konkurrierte der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev mit "Leviathan" um den Preis als bester Spielfilm. In seinem Opus geht es um Alkoholsucht, Machismo, Waffenwahn, Gewalt und Korruption, die die freundschaftlichen und familiären Beziehungen in einem Dorf am Polarkreis zerstören.
Comedy Moderation à la Hermanns
Mehr als 1000 Filmschaffende waren in die Nationaloper der lettischen Hauptstadt Riga gekommen, wo am Samstag (13.12.) die Besten der Filmbranche gekürt wurden. Ein locker aufgelegter Moderator Thomas Hermanns, Begründer des "Quatsch Comedy Club", stellte sich dem Publikum gleich zu Beginn als deutscher Comedian vor und outete sich im gleichen Atemzug als Homosexueller. Es sei ihm klar, dass er damit bestimmt gleich in mehrere Fettnäpfchen einiger zugeschalteter Länder getreten sei. "Umso besser, dass ich auf dieser Seite der russisch-lettischen Grenze bin", strahlte er. Und bot sich an, das Publikum im Verlauf des "sehr langen Abends" mit Bier, Zigaretten und Drogen zu versorgen.
Ein Versprechen, das er im Laufe des Abends auch einlöste, aber ein Humor, der nicht bei jedem ankam. Während die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann lächelnd auf Hermanns Schäkerei einging, wusste die Filmemacherin Agnès Varda sichtlich nichts mit seinen Bemerkungen über ihre schöne Frisur à la "Prince Charming" anzufangen. Ebenso wenig wie mit seinen Tanzeinlagen in rosa Strümpfen. Andere wiederum fanden den ungewöhnlichen Moderationsstil erfrischend und applaudierten heftig.
Frankfurter Banker und Mr. Turner
Im Mittelpunkt allerdings standen die Filmausschnitte, die das Werk der Nominierten beleuchteten. Als einziger deutscher Beitrag stand der Dokumentarfilm "Master of the Universe" von Marc Bauder auf der Liste, der sich letztendlich gegen die Konkurrenz durchsetzte. Darin kommt ein ehemaliger Frankfurter Banker zu Wort, der von den Abläufen und Machenschaften in der Finanzbranche erzählt. Der einzige Schauplatz des Films ist ein heute verlassenes Bankgebäude. Sichtlich nervös bedankte sich der Stuttgarter Regisseur: "Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet zu gewinnen. Die Konkurrenz war so stark; diesen Preis ist für uns alle." Zwei weitere Preise für Deutschland holten Natascha Curtius-Noss und Claus-Rudolf für Kostüm- und Szenenbild des Alpendramas "Das finstere Tal".
Bester Schauspieler wurde der Brite Timothy Spall in seiner Rolle als malendes Genie in "Mr. Turner - Meister des Lichts", für die er schon in Cannes geehrt wurde. Zur besten Schauspielerin wurde in Abwesenheit die Französin Marion Cotillard für ihre Rolle in "Zwei Tage, eine Nacht" gekürt.
Nicht der absolute Publikumsrenner des Jahres 2014, die französische Multikulti-Komödie "Monsieur Claude und seine Töchter" wurde zur besten Europäischen Komödie ernannt, sie war - für viele unverständlich - gar nicht nominiert worden. Stattdessen holte sich der Italiener Pierfrancesco Diliberto mit "The Mafia Only Kills in the Summer" die Trophäe.
Spezialpreise für Varda und McQueen
Einige Gewinner standen schon im Vorfeld der Gala fest. So wurde die 86-jährige französische Filmemacherin Agnès Varda für ihr Lebenswerk geehrt. Damit würdigte die Jury ihre Schlüsselrolle in der europäischen Filmlandschaft. Varda gilt als "Großmutter der Nouvelle Vague", eine der wichtigsten Köpfe des modernen Films und eine der führenden Filmemacherinnen Europas. "Ich habe ein Geschenk bekommen", meinte Varda gerührt, kritisierte aber gleichzeitig, dass zu wenig Frauen unter den Nominierten gewesen seien.
Auch Regisseur Steve McQueen konnte die Veranstaltung gelassen und ohne banges Warten auf die Bekanntgabe der Preisträger verfolgen, wusste er doch schon seit September Bescheid: Den Oscar für den besten Film hat der Regisseur Steve McQueen in diesem Jahr schon abgeräumt, jetzt wurde der 45-jährige Brite für sein Sklaven-Drame "12 Years a Slave" mit dem Ehrenpreis der Europäischen Filmakademie ausgezeichnet. Man wolle damit seinen "einzigartigen Beitrag zum internationalen Kino" würdigen, so die Juroren. McQueen nahm die Auszeichnung aus den Händen von Regisseur und Akademie-Präsident Wim Wenders entgegen, der den Preisträger "einen der besten bildenden Künstler unserer Zeit" nannte. "Kino verändert Leben, meines hat es mit Sicherheit verändert", sagte McQueen in seiner Dankesrede.
Im Schatten des Oscars
Der europäische Filmpreis wird seit 1988 vergeben und firmierte bis 1997 unter dem Namen "Felix". Ziel war es von Anfang an, die Aufmerksamkeit des Publikums auf europäische Filme zu lenken und das Selbstbewusstsein des europäischen Kinos zu stärken. Die Auszeichnung wird jährlich wechselnd in Berlin und einer anderen europäischen Metropole vergeben. "Es ist die einzige Preisverleihung, die quer durch Europa reist – und es ist immer wieder großartig, den Preis an ganz unterschiedliche Ort zu bringen", erklärte die Geschäftsführerin der Europäischen Filmakademie, Marion Döring. Die Leiterin des Nationalen Filmzentrums in Lettland, Dita Rietuma, betonte: "Mit Hilfe der Film Awards wollen wir das lettische und europäische Kino stärker bekannt und populärer machen." An den lettischen Kinokassen hatten Hollywood-Streifen im Vorjahr einen Marktanteil von 77 Prozent.
Bei der diesjährigen Preisverleihung waren die klassischen Filmnationen wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien schon im Vorfeld abgeschlagen, obwohl die die meisten der über 3000 Akademiemitglieder aus diesen Ländern stammen. Laut Academy-Geschäftsführerin Marion Döring ist das ein "gutes Zeichen, dass unsere Mitglieder nicht national wählen."