Populisten gewinnen in Italien
5. März 2018Der Spitzenkandidat der eher linken Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, hatte vor der Wahl vorhergesagt, diese Nacht werde zum "Chaos" in Italien beitragen. Er hat mit seiner Vorhersage Recht behalten und seinen Willen bekommen. Folglich titelt die Zeitung "La Stampa" an diesem Montagmorgen: "Di Maio gewinnt – Italien ist unregierbar!" Die "5 Sterne" haben nach dem bisherigen Zwischenergebnis nach Auszählung der meisten Wahlkreise 32 Prozent der Stimmen geholt. Das ist mehr als erwartet. Doch es reicht nicht für eine Regierungsbildung. Koalitionen hat die Anti-Establishment-Partei bislang kategorisch ausgeschlossen. "Wir sind glücklich über dieses tolle Ergebnis, aber wir werden jetzt überhaupt nichts zu möglichen Bündnissen sagen", erklärte ein Sprecher Di Maios in der Nacht in Rom.
Rechte Populisten gewinnen, können aber nicht regieren
Die meisten Stimmen konnte die rechtspopulistische Liste auf sich vereinigen. Zusammen kommen die rechtsradikale "Lega", die populistische "Forza" von Silvio Berlusconi und zwei neofaschistische Splittergruppen auf 37 Prozent. Aber auch das reicht nicht, um eine Regierung zu bilden. Koalitionsfähig aus dem rechten Mix wäre höchstens die eher gemäßigte "Forza", meint der Politikwissenschaftler Gianluca Comin von der LUISS-Universität in Rom. Silvio Berlusconi, der sich im Wahlkampf als Königsmacher gerierte, könnte sich eine Koalition mit den abgeschlagenen Sozialdemokraten vorstellen. Aber selbst ein solches Bündnis des 81-jährigen Medien-Milliardärs mit den bisher regierenden Sozialdemokraten hätte nach den Hochrechnungen keine Mehrheit. Die Analysten nennen eine solche Verbindung in der Nacht auch schon "Dracula"-Koalition, weil sich beide "Partner" wohl gegenseitig aussagen würden. Die Sozialdemokraten sind auf unter 20 Prozent gefallen und haben damit auch keine Chance mehr auf eine eigenständige Regierungsbildung. Ein Sprecher kündigte in Rom an, die Partei werde auf jeden Fall in die Opposition gehen.
Rechtsextreme "Lega" überholt Berlusconi
Triumphieren kann der ausländerfeindliche Führer der "Lega", Matteo Salvini, der mit dem von US-Präsident Donald Trump geliehenen Spruch "Italiener zuerst" antrat. Er legte auf unerwartet knapp 18 Prozent zu. Damit überflügelte er Berlusconis Partei, die nun um ihren Führungsanspruch in der rechten Gruppe fürchten muss. Ein Sprecher von Silvio Berlusconi ließ erklären, die "Forza" gebe sich noch nicht geschlagen. Beim vorläufigen Endergebnis, das am Montag bekanntgegeben wird, rechne man noch mit Stimmenzuwachs. Matteo Salvini sieht sich selbst als neuer Regierungschef. Mit ihm möchte aber auch niemand aus den anderen Lagern koalieren. In der Wahlnacht twitterte Salvini nur ein einziges Wort: "Danke!" Ein Sprecher Salvinis sagte in der Nacht, es werde "eine Revolution der Vernunft" geben. Europa müsse sich daran gewöhnen, dass das italienische Volk wieder eine starke Stimme habe. "In Europa geht es nicht nur um Zahlen und ums Sparen." Glückwünsche bekam Salvinis "Lega" von der Rechtspopulistin Marine Le Pen aus Frankreich. Sie schrieb auf Twitter, die EU erlebe eine ganz schlechte Nacht. Dass rund 60 Prozent der Italienerinnen und Italiener populistische, nationalistische, EU-skeptische Parteien gewählt haben, wird in Brüssel keine Freude auslösen.
Wahrscheinliches Szenario: Technokraten-Regierung
Die Kommentatoren in den italienischen Medien sind sich weitgehend einig, dass nach diesen Siegen der Populisten nur eine pragmatische Lösung übrig bleibt. Nach gescheiterten Koalitionsgesprächen, wenn es zu diesen überhaupt kommt, könnte der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella ein Übergangskabinett aus Technokraten einsetzen. Diese Regierung würde dann ein Jahr lang Zeit haben, Neuwahlen vorzubereiten und vielleicht noch einmal das äußerst komplexe Wahlrecht zu überholen, das im Moment Wahllisten kleiner Parteien bevorzugt. Eine Technokraten-Regierung hat Italien schon mehrfach erlebt, zuletzt auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2011 bis 2013. In 72 Jahren hat Italien 64 Regierungen verschlissen. An Regierungskrisen ist man also gewöhnt.
Einige Experten wie etwa der Politikwissenschaftler Gianluca Comin räumen aber auch dem 31 Jahre alten "5-Sterne"-Kandidaten Di Maio noch Chancen ein, irgendwie Premierminister zu werden. "Er hat relativ moderate Ansichten und sich im Wahlkampf eher staatsmännisch gegeben. Das könnte helfen."
Der einstige Hoffnungsträger der Sozialdemokraten, der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi, war am Wahlabend nirgends zu sehen. Er hat die Sozialdemokraten, die sich vor der Wahl in Personalquerelen verwickelten, zu einem Ergebnis auf rund 18 Prozent geführt. Renzi werfen Parteifreunde zu arrogantes Verhalten vor. Parallelen zu anderen sozialdemokratischen Parteien, etwa in Frankreich oder Deutschland drängen sich auf.