"Eine blasse Figur"
25. Juni 2012Voller Spannung hatten über 80 Millionen Bürger auf die endgültigen Ergebnisse der ersten freien Präsidentschaftswahlen in ihrem Land gewartet. Eine Woche brauchte die Wahlkommission, um die Stimmen zu zählen. Nun ist es offiziell: Mohammed Mursi ist der neue Präsident Ägyptens.
Für viele Ägypter ist der neue Präsident ein typischer Apparatschik: Mohammed Mursi, Mitglied der Muslimbruderschaft und Präsident der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Bereits vor drei Jahrzehnten hat sich der promovierte Ingenieur der islamistischen Bewegung angeschlossen. Seither machte er innerhalb der Muslimbruderschaft Karriere: zunächst in der Abteilung für Religion, dann im Führungsbüro und schließlich als offiziell unabhängiger Kandidat im ägyptischen Parlament.
Karriere bei den Muslimbrüdern
Dabei blieb es nicht. Im Jahr 2005 wurde Mursi, der zwischenzeitlich auch in den USA lebte, offizieller Sprecher der Muslimbruderschaft. Weil er im selben Jahr Proteste gegen die mutmaßliche Manipulation der Parlamentswahlen unterstützte, wurde der Politiker 2006 festgenommen und verbrachte sieben Monate in Haft. Nach dem Aufruhr in Ägypten und dem Sturz des früheren Machthabers Hosni Mubarak wurde Mohammed Mursi im April 2011 Präsident der im Umfeld der Muslimbruderschaft gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit. Ende des vergangenen Jahres führte er die Partei in den Parlamentswahlkampf - und erzielte mit über 45 Prozent das beste Ergebnis.
Dass der 60 Jahre alte Islamist einmal Hosni Mubarak nachfolgen könnte – damit hatte allerdings kaum einer gerechnet. Selbst für die Muslimbruderschaft ist Mursi lediglich die zweite Wahl. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit schickte ihn erst ins Rennen, nachdem sein Stellvertreter Chairat al-Schater von einer Kandidatur für das Präsidentenamt ausgeschlossen wurde. Al-Schater gilt als charismatisch, Mursi als Pragmatiker.
Eher Kontinuität als Wandel
"Mohammed Mursi ist eine blasse Figur", sagt auch Hamadi El-Aouni, Ägypten-Experte an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Er bemüht sich um Dialog, aber er bleibt ein Fundamentalist." Auch nach Mursis Sieg rechnet El-Aouni damit, dass er dem Programm der Muslimbruderschaft treu bleiben wird. Die Voraussetzungen dafür sind ohnehin günstig: Die Muslimbruderschaft ist die stärkste Kraft in der ägyptischen Politik und verfügt über beste Kontakte im ganzen Land. Darüber hinaus ist die Bewegung in den konservativen Teilen der ägyptischen Gesellschaft tief verwurzelt.
Dass die Muslimbruderschaft unter Hosni Mubarak verboten war, verleiht ihr in den Augen vieler Ägypter eine besondere Glaubwürdigkeit. Als Gesicht eines ägyptischen Neuanfangs könne Mohammed Mursi allerdings nicht gelten, sagt Andrea Teti, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Aberdeen und Senior Fellow des European Center for International Affairs. "Die Muslimbruderschaft hat sich immer dafür entschieden, mit dem alten Regime zu verhandeln, statt es herauszufordern", sagt er im DW-Interview. Insofern stehe auch Mohammed Mursi, der sich zur Opposition gegen das alte Regime zählt, eher für Kontinuität als für Wandel.