Porträt: Angela Merkel
10. Oktober 2005Es muss kein Nachteil sein, wenn man vom politischen Gegner oder innerparteilichen Mitbewerber unterschätzt wird. Angela Merkel, die Kanzlerkandidatin der Christdemokraten wurde von vielen sowohl in der eigenen Partei als auch in der breiteren Öffentlichkeit lange Zeit nicht ganz für voll genommen.
Der jungen Frau aus dem Osten fehlten alle Attribute, die nach landläufiger Meinung einen erfolgreichen Politiker ausmachen: die Lehrzeit in der Jugendorganisation der Partei, ein tragfähiges Netzwerk von Beziehungen, die Einbindung in eine wirkungsvolle Hausmacht und vor allem der elegante Umgang mit den Medien.
Doch, woran sie immer festgehalten hat, das sind die für sie wichtigen politischen Werte: "Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als dass wir unter völlig veränderten Bedingungen unsere Werte - und das sind die Soziale Marktwirtschaft und das ist die Demokratie - dass wir unsere Werte behaupten können in Zeiten völlig neuer
Herausforderungen", sagte sie einmal.
Von der Wissenschaft in die Politik
Angela Merkel, die in diesem Jahr 51 Jahre alt wird, wurde zwar in Hamburg geboren, wuchs aber in Templin in der Uckermark nördlich von Berlin und damit in der DDR als Tochter eines evangelischen Pfarrers auf. In Leipzig studierte sie Physik, war dann Mitarbeiterin an der Akademie der Wissenschaften und promovierte. Erst mit dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde sie politisch aktiv. Als stellvertretende Pressesprecherin der ersten demokratischen Regierung der DDR betrat sie die politische Bühne um wenig später eine steile Karriere zu beginnen.
Bundeskanzler Helmut Kohl machte sie zur Ministerin für Frauen und Jugend, später übernahm sie das Umweltministerium. Die Zeitungen nannten Angela Merkel "Kohls Mädchen", um deutlich zu machen, dass sie ihre Ämter allein seiner Protektion zu verdanken habe.
Nach Kohls Abtritt berief der kurzzeitige Nachfolger im Parteivorsitz Wolfgang Schäuble sie zur Generalsekretärin. Als die Parteispendenaffäre und die Uneinsichtigkeit Helmut Kohls in das eigene Verschulden die Union erschütterte, bat man Angela Merkel als Vorsitzende den Neuanfang zu versuchen.
Parteiinternen Widerstand abgewehrt
Nicht wenige Christdemokraten gingen damals davon aus, dass es ein Leichtes sein werde, die unerfahrene Ossi-Frau nach getaner Aufräumarbeit wieder ins Abseits zu schieben. Vor allem der ehrgeizigen Riege der jungen Ministerpräsidenten und Landesvorsitzenden wurden solche Hintergedanken unterstellt. Doch mit zunehmend sicherer werdender Hand, festigte sie ihre Position an der Spitze der CDU. Sie, die sich als erste klar und deutlich von den Machenschaften Helmut Kohls distanziert hatte, schaffte auch die für das innere Gleichgewicht der Union so wichtige Aussöhnung mit dem ehemaligen Parteivorsitzenden.
Angela Merkel, die in zweiter Ehe mit dem Chemieprofessor Joachim Sauer verheiratet ist, weiß, wie schwer das Erbe ist, das sie nach einem möglichen Wahlsieg der Christdemokraten anzutreten hätte. Deutschland hat inzwischen das niedrigste Wirtschaftswachstum in Europa. Für Merkel die Folge einer "falschen nationalen Politik" der rot-grünen Bundesregierung. "Wir haben im Jahr 2000 noch 23 Milliarden Euro Rücklagen in den sozialen Sicherungssystemen gehabt. Die sind heute weg, diese Rücklagen. Sie haben diese sozialen Sicherungssysteme geplündert. Das ist die Wahrheit. Das ist das, was Sie hinterlassen", kritisiert sie in einer ihrer Reden.
Politikerin mit Machtinstinkt
Im Jahre 2002 überließ Angela Merkel dem Vorsitzende der bayerischen Schwesterpartei CSU, Edmund Stoiber, den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur. Zwar scheiterte Stoiber, doch Angela Merkel kassierte ihren Preis. Sie übernahm neben dem Vorsitz der CDU auch den Vorsitz der gemeinsamen Bundestagsfraktion. Der düpierte Amtsinhaber Friedrich Merz zog sich verärgert zurück, alle anderen Mitbewerber mussten erkennen, wie selbstbewusst und entschlossen "Kohls Mädchen" handeln kann, wenn es um die Macht geht. Diese Entschlossenheit wird notwendig sein, wenn es ihr gelingen soll, das nötige Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herzustellen.
Dass das Vertrauen der Bürger in die Politik ist erschüttert ist, das weiß auch Merkel. Deshalb appelliert sie an alle Parteien sich dieser schweren Aufgabe zu stellen. "In dem auf uns wahrscheinlich zukommenden Wahlkampf müssen wir populistische Argumente jeder Art abwehren. Da kann ich nur sagen: Begreifen Sie es als gemeinsame Aufgabe, dass Politik wieder Vertrauen herstellt. Das kann nicht eine Partei schaffen, das ist unsere gemeinsame Aufgabe in diesem Hause (im Bundestag; die Red.)."