Portugal im Halbfinale
1. Juli 2016Matchwinner Ricardo Quaresma strahlte, Cristiano Ronaldo nahm sich eine ruhige Minute und Pepe kickte entspannt und fröhlich mit seinen beiden Töchtern: Der erste Halbfinalist der Europameisterschaft in Frankreich steht fest, Portugal setzte sich gegen Polen mit 5:3 (1:1, 1:1, 1:1) im Elfmeterschießen durch. Es war ein ausgeglichenes Spiel zweier Mannschaften auf Augenhöhe und es wurde erst im Duell vom Punkt entschieden. Ein Nervenspiel, das dieses Mal Portugal gewann. Im Achtelfinale hatte sich Polen noch im Elfmeterschießen gegen die Schweiz durchgesetzt. Ausgerechnet der in der Gruppenphase überragende Jakub Blaszczykowsky vergab den entscheidenden Elfmeter. "Das tut sehr weh, wir waren das bessere Team, es ist traurig, dass wir im Elfmeterschießen verloren haben. Sie hatten mehr Ballbesitz, wir hatten mehr Chancen. Das schmerzt und es wird noch länger schmerzen", sagte Bayern-Star Robert Lewandowski, dem die Tränen in den Augen standen.
Die Polen waren vor 62.940 Zuschauern durch Lewandowski bereits in der 2. Minute in Führung gegangen. Sein künftiger Münchner Teamkollege Renato Sanches hatte jedoch in der 33. Minute ausgeglichen. "Das war der bestmögliche Zeitpunkt für mein erstes Länderspiel-Tor", jubelte Sanches nach der Partie. "Wir sind überglücklich. Das haben wir gebraucht. Jetzt wartet eine große Herausforderung auf uns." Portugal spielt am Mittwoch in Lyon (21 Uhr MESZ, im DW-Liveticker) bereits zum fünften Mal um den Einzug in ein EM-Finale, der Gegner wird im Duell zwischen Wales und Belgien ermittelt.
Bayern-Spieler sorgen für die Treffer
Er war der "Kapitän ohne Tor", der meist kritisierte Spieler im Ensemble des polnischen Nationaltrainers Adam Nawalka. Nicht nur die Fans fragten sich, wann endlich der Knoten platzen würde bei Robert Lewandowski - nach seinen 13 Toren in der EM-Qualifikation. Und der Bundesliga-Torschützenkönig gab im ersten Viertelfinale der EM in Frankreich rasch die passende Antwort: Nach 100 Sekunden erzielte er das 1:0 für Polen - ein strammer Schuss ins linke untere Eck. Es war der zweitschnellste Treffer der EM-Geschichte. Cedric hatte sich zuvor bei einer Flanke von Lukasz Piszczek total verschätzt und sie unterlaufen. Der Ball gelangte so auf die linke Seite zu Kamil Grosicki, der ihn dann Lewandowski auflegte.
Eine Negativ-Serie hatte auch Lewandowskis Gegenüber Cristiano Ronaldo vorzuweisen: Über 40 EM-Freistöße hatte der bislang getreten - aber dadurch noch kein einziges Tor erzielt. Und dabei sollte es auch bleiben. Ronaldo drosch seine Freistöße in die gegnerische Mauer und versprühte dabei kaum Torgefahr, er arbeitete dieses Mal auch nicht mehr so viel nach hinten wie noch zuletzt gegen Kroatien (1:0 n.V.). Doch der Superstar von Real Madrid stand dennoch zweimal im Mittelpunkt des Geschehens der ersten Halbzeit: In der 30. Minute wurde er von Michal Pazdan im polnischen Strafraum geradezu zu Boden geschubst, ohne dass dies Schiedsrichter Felix Brych sah oder mit einem Strafstoß bestrafte. Sieben Minuten später bekam Ronaldo einen schmerzhaften Tritt von Grzegorz Krychowiak ab, der sowohl mit gestrecktem Bein als auch "offener Sohle" zu Werke ging - erneut nicht geahndet vom deutschen Schiedsrichter.
Zu diesem Zeitpunkt hatte jedoch bereits ein anderer Portugiese alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Der zukünftige Bayernspieler Renato Sanches. Der 18-jährige Mittelfeldspieler hatte kurz zuvor mit einem satten Linksschuss den 1:1-Ausgleich (33.) erzielt und damit seinem Trainer das Vertrauen zurückgezahlt, ihn erstmals in die Startelf beordert zu haben - als jüngsten Nationalspieler aller Zeiten. Der vom FC Bayern München für 35 Millionen Euro von Benfica Lissabon gekaufte Portugiese stellte sein Können erneut eindrucksvoll unter Beweis. Sein durch Grzegorz Krychowiak abgefälschter Schuss aus gut 17 Metern flog unhaltbar für Fabianski ins Tor, zuvor hatte sich Sanches den Ball noch lässig von rechts auf lins gelegt.
Offene Partie
Hatten sich die Polen im ersten Durchgang noch einen Tick frischer, aggressiver und defensiv sicher präsentiert, versteckten sich die Portugiesen nach dem Seitenwechsel keineswegs. Beide Teams spielten mit offenem Visier und wollten die Entscheidung in den 90 Minuten. Cedric etwa hatte das 2:1 in der 64. Minute auf dem Fuß - und damit die Chance, seinen Fehler wieder gut zu machen - sein satter Schuss verfehlte das Tor aber um Zentimeter. Auf der anderen Seite nahm Lewandowskis Sturmpartner Arkadiusz Milik in der 69. einen Ball in vollem Lauf mit viel Risiko und brachte ihn aufs Tor, wo Rui Patricio aber die Übersicht behielt und parieren konnte. In der 81. Minute machte Artur Jedrzejczyk ein ganz langes Bein und verursachte um ein Haar ein Eigentor - hinter ihm hatte der einschussbereite Ronaldo gelauert. Der guckte in der 86. Minute ziemlich bedröppelt aus der Wäsche, denn der Weltstar hatte soeben ein Luftloch geschlagen und den Ball verfehlt - aus allerbester Schussposition. Es roch verdächtig nach Verlängerung. Und so kam es dann auch.
Unrühmlicher Höhepunkt in der 110. Minute war der Auftritt eines "Flitzers", dem es trotz der verschärften Sicherheitsvorkehrungen bei dieser EM gelungen war, auf den Rasen zu gelangen. Die Entscheidung über das Spiel jedoch fiel im Elfmeterschießen: Ronaldo, der gegen Österreich noch den Pfosten getroffen hatte, verwandelte souverän den ersten Elfmeter, genauso sicher traf Lewandowski auf der anderen Seite. Sanches jagte den Ball selbstbewusst in den linken oberen Winkel. Milik traf links unten. Joao Moutinho und Kamil Glik verwandelten ebenfalls sicher. Nani hob den Ball nach rechts oben. Dann trat Blaszczykowsky an, der Held der Gruppenphase. Und Patricio hielt. Der eingewechselte Ricardo Quaresma sorgte für die viel umjubelte Entscheidung.
Lesen Sie hier noch einmal alle Höhepunkte der Partie in unserem DW-Liveticker nach: