Fertig für den Brexit?
18. August 2020Die britische Regierung nutzte die Sommerpause zumindest für eine Brexit-Werbekampagne: "Macht euch bereit für einen Neuanfang, wenn wir aus der Übergangsphase in ein neues Verhältnis wechseln und umarmt die neuen Möglichkeiten", warb sie auf Twitter.
Man bereite sich auf das Ende der Übergangsperiode vor, indem die Grenzkontrollen verstärkt und das Zollsystem ausgebaut würden. Dazu sind Läufer in den Startblöcken auf einer Aschenbahn zu sehen. Bevor sie durchstarten können, gehen nach kurzer Sommerpause allerdings zunächst die Gespräche in Brüssel und London darüber weiter, wie das künftige Verhältnis überhaupt aussehen soll.
An diesem Dienstag macht sich das britische Team wieder auf nach Brüssel. Unterhändler David Frost wird sich mit seinem EU-Kollegen Michel Barnier zum Abendessen treffen. Offiziell erklärte Frost, dass er sich auf Runde sieben der Gespräche in Brüssel freue. Seiner Einschätzung nach könne man im September zu einem Abkommen kommen.
Abkommen im September?
Das würde bedeuten, beide Seiten müssten in den geplanten nächsten drei Verhandlungsrunden alle noch bestehenden Hürden überwinden und die offenen Probleme lösen. Verbirgt sich hinter der Ankündigung also ein neuer Wille der Briten zur Einigung oder ist sie nur übliche Rhetorik?
Frost weist noch einmal darauf hin, dass die britische Seite kein spezielles oder einzigartiges Abkommen wolle, sondern ein Freihandelsabkommen wie mit anderen befreundeten Staaten, etwa Kanada. Worauf die EU routinemäßig antwortet, dass man den Briten wegen der Größe ihrer Wirtschaft und der geographischen Nähe zu Europa nicht das gleiche Abkommen geben könne, sondern besondere Bedingungen für den Zugang zum Binnenmarkt wolle. Diese Formel-Argumente wurden seit dem Beginn der Verhandlungen immer wieder ausgetauscht und deuten zunächst nicht auf eine Annäherung hin.
Bremst Corona den Brexit?
Als Michel Barnier die EU-Botschafter nach den letzten Gesprächen vor der Sommerpause informierte, führte er die Gründe auf, warum die britische Regierung sich wohl am Ende kompromissbereit zeigen würde: Boris Johnson stehe unter Druck wegen seiner schlechten Corona-Bilanz und wegen des erstarkenden schottischen Nationalismus. Da kannte Barnier noch nicht die Zahlen aus der vergangenen Woche, wonach Großbritannien mit einem Minus von mehr als 20 Prozent bei der Wirtschaftsleistung in eine der tiefsten Rezessionen seiner Geschichte gefallen ist.
Alle diese politischen Entwicklungen haben den britischen Premier überrollt. Da Johnson gegenwärtig in Schottland Urlaub macht, kann er vor Ort die aufsässige Stimmung der Schotten beobachten. Sie befürworten inzwischen die Ablösung von England mit 54 Prozent und Regierungschefin Nicola Sturgeon erfreut sich mit ihrer schottischen Nationalpartei großer Beliebtheit. Ein Ende der Übergangszeit ohne Handelsabkommen mit der EU würde fast zwangsläufig ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum bringen.
Und könnte der britische Premier es sich überhaupt leisten, seiner durch die Pandemie schwer geschädigten Wirtschaft einen weiteren Schlag zu versetzen? Die geschätzten Kosten allein für neue Zollerklärungen und Verwaltungsauflagen bei Im- und Exporten im Fall eines No-Deal Brexit nach dem 1. Januar 2021 liegen bei rund 13 Milliarden Pfund. Das wäre mehr als der EU-Beitrag der Briten. Dennoch fragen britische Wirtschaftsvertreter weiter vergeblich nach Klarheit über das künftige Grenzregime und die Regeln beim Handel mit der EU.
Spricht also einerseits die politische Vernunft dafür, dass die Regierung in London in letzter Minute einlenken und Kompromisse suchen wird, sind hingegen die jüngsten Einlassungen der konservativen Ober-Brexiteers Ian Duncan Smith und David Davis eine Warnung. Sie agitieren weiter gegen Kompromisse bei den Verhandlungen mit der EU und greifen jetzt auch die Austrittsvereinbarung von 2019 an, in der angeblich verborgene finanzielle Verpflichtungen für Großbritannien stecken.
Sie wollen den Premier dazu bringen, dieses Abkommen zu kippen. Das ist zwar einseitig gar nicht möglich und wäre eine Art politischer Selbstmord für die Regierung – aber der Kampf der Hardliner zeigt, dass die harte Brexitfraktion bei den Konservativen noch nicht am Ende ist.
Knackpunkt Subventionen
Die Runde der Handelsexperten macht am Mittwoch dort weiter, wo sie aufgehört hat: Mit dem sogenannten "Level playing field", den fairen Wettbewerbsbedingungen zwischen beiden Seiten. Hier fordert die EU Zugeständnisse von der britischen Seite, die sie bislang nicht machen will.
Der Streit kristallisiert sich in der Frage der Staatsbeihilfen: London hat sich noch nicht festgelegt, wie es künftig die Beihilfen regeln wird. Die Regierung neigt zu möglichst wenig Regulierung und freien Einzelfall-Entscheidungen. Das könnte heißen, dass künftig ein britisches Unternehmen massive Unterstützung vom Staat bekommen würde, während ähnliche Hilfen für die Konkurrenten in der EU scharf reguliert sind.
Die Europäer aber wollen faire, also gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer. Komplizierte Kompromisse wären auch bei dieser kritischen Frage möglich, etwa mit einem Sanktionsregime bei Verstößen durch die Briten. Aber bislang gibt es hier keine Bewegung: Die Staatshilfen sind zum politischen Symbol für den Brexit an sich geworden, der dem Königreich unbegrenzte rechtliche und faktische Unabhängigkeit von den Regeln der Aufsicht der EU versprochen hat.
Auf dem Programm stehen weiter die Fischerei, die Kooperation der Justiz und die Dienstleistungen. Bei der Energie gibt es inzwischen erste Verhandlungserfolge, aber die fehlen noch beim Datenaustausch, der die Basis für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz.
Darüber hinaus steht erneut Fisch auf der Agenda: Ein zwar wirtschaftlich unbedeutendes, für beide Seiten aber politisch hoch explosives Thema. Die EU hat inzwischen angedeutet, dass sie zum Einlenken bereit ist, was den künftigen Zugang zu britischen Fischgründen angeht. Allerdings hat sich das britisch-französische Verhältnis inzwischen dermaßen verschlechtert, dass Paris eine Einigung durchaus noch torpedieren könnte.
London rief nämlich innerhalb von 24 Stunden Tausende von britischen Urlaubern wegen der mutmaßlichen Corona-Gefahr bei den Nachbarn zurück. Außerdem hat die Regierung eine neue Front wegen der gestiegenen Zahl von Flüchtlingsbooten im Ärmelkanal eröffnet, die von französischen Häfen starten. Beides führt zur Verärgerung in Paris, so dass die Basis für freundschaftliche Deals zwischen beiden Seiten derzeit gering ist. Die Brexitologen in Brüssel erwarten in jedem Fall einen heißen Herbst.