Viel Potential und viele Altlasten
19. August 2015Brasilien lag in der Rangliste der deutschen Außenhandelspartner im vergangenen Jahr beim Export an 23. und beim Import an 22. Stelle - so das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Deutsche Unternehmen exportierten Waren im Wert von 10,4 Milliarden Euro, darunter Autos, Maschinen und pharmazeutische Produkte. Nach Deutschland importiert wurden Waren im Wert von 9,2 Milliarden Euro - vor allem Kaffee, Eisenerz, Soja, Kupfer, Rohöl und Flugzeuge.
Wirtschaftsbeziehungen mit langer Tradition
Die tatsächliche Bedeutung Brasiliens für die deutsche Wirtschaft spiegelt sich nach Angaben des Auswärtigen Amts in der Außenhandelsstatistik allerdings nicht vollständig wider. Zahlreiche Unternehmen sind dort teils bereits seit langem mit Tochterunternehmen aktiv, weshalb die von ihnen umgesetzten Waren konzernintern abgerechnet werden. Paradebeispiel sind die großen Autohersteller.
Die in den 1950er Jahren gegründete Brasilien-Tochter von VW ist nach eigenen Angaben der größte inländische Autohersteller und eines der größten Privatunternehmen des Landes. Volkswagen do Brasil beschäftigt in vier Werken 20.000 Menschen und baute schon mehr als 22 Millionen Autos für den südamerikanischen Markt - darunter spezielle Schwellenländer-Modelle wie den Gol.
Wirtschaftliche Beziehungen werden intensiviert
Insgesamt sind in Brasilien rund 1400 deutsche Unternehmen tätig. Schätzungen zufolge tragen deutsche Firmen insgesamt etwa zehn Prozent zum industriellen Bruttoinlandsprodukt von Brasilien bei. São Paulo gilt sogar als der größte deutsche Industriestandort außerhalb der Bundesrepublik.
Derzeit bauen etliche deutsche Konzerne ihre Präsenz in Brasilien aus: Vor zwei Monaten weihte der Chemieriese BASF im Bundesstaat Bahia einen rund 500 Millionen Euro teuren Produktionskomplex für Grundstoffe ein, die für Babywindeln, Wandfarben und Klebstoff verwendet werden. Der Autohersteller BMW baut für rund 200 Millionen Euro einen neues Werk im südlichen Bundesstaat Santa Catarina.
Rezession hält sich zäh
Der Moment allerdings ist nicht der beste. Das lange mit robusten Wachstumsraten glänzende Land mit seinen rund 200 Millionen Einwohnern kämpft derzeit mit sich rapide eintrübenden Perspektiven. Die Preise für wichtige Export-Rohstoffe wie Erdöl und Eisenerz verfallen und die Inflationsrate im Land steigt. Daneben lasten eine schwierige innenpolitische Lage mit einem Korruptionsskandal in der Regierung und einem endlosem Ringen um Sparpakete auf der Stimmung und lassen die Investitions- und Konsumneigung sinken.
Laut Weltbank wuchs das Bruttoinlandsprodukt Brasiliens im vergangenen Jahr nur noch minimal um 0,1 Prozent. In diesem Jahr rechnen Ökonomen mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 2,1 Prozent. Auch 2016 wird es nur wenig bessser. Nachdem vor wenigen Wochen noch von Wachstum und einer Überwindung der Rezession 2016 ausgegangen worden war, wird nun mit einem weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung gerechnet, wenn auch nur um 0,15 Prozent.
Kreditwürdigkeit leidet
Um Jobs zu retten, hat die Regierung eine Kurzarbeit-Regelung mit staatlichen Zuschüssen nach dem Vorbild Deutschlands eingeführt. Die Zentralbank hat den Leitzins auf 14,25 Prozent angehoben - um Anlegern den Kauf von Staatsanleihen schmackhaft zu machen und den Real zu stärken, der fast täglich an Wert zum Dollar verliert. Trotzdem muss Brasilien mit einem Abzug von Investoren und damit eine Verschärfung der tiefen Wirtschaftskrise fürchten.
Die US-Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit des fünftgrößten Landes der Welt in der vergangenen Woche auf "Baa3" herunter. Das bedeutet, es gibt Risiken, dass Gelder am Ende verloren gehen können - die nächste Stufe wäre eine Warnung, dass Anleihenkäufe mit hohen Ausfallrisiken verbunden sind.
"Custo Brasil" drücken aufs Wachstum
Brasilien gilt zudem ohnehin nicht unbedingt als leichter Markt für Investoren. Bürokratische Regelungen, hohe Steuern und mangelhafte Infrastruktur machen es Firmen schwer und haben es als "custo brasil" (brasilianische Kosten) unter Ökonomen zum geflügelten Wort gebracht. Vor allem die heimische Industrie gilt als wenig wettbewerbsfähig.
So hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) vor dem Besuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Abschaffung von Handelsschranken gefordert. "Diese protektionistischen Maßnahmen schaden zu allererst dem Land selbst", sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann in Berlin. "Deswegen sollte die Regierung hier rasch gegensteuern und sich dem freien Wettbewerb stellen anstatt sich handelspolitisch abzuschotten." Derzeit erhebe Brasilien 35 Prozent Einfuhrzoll auf importierte Neuwagen und gewähre gleichzeitig hohe Steuervorteile für die heimische Produktion. Wissmann forderte weiter: "Zudem sind Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und ein besseres Investitionsklima nötig."
iw/ul (afp, dpa,rtrs)