Präsidentschaftswahl als Meilenstein für die Zukunft Liberias
11. Oktober 2005Da mag sich der charismatische Präsidentschaftskandidat George Weah auf Wahlkampfveranstaltungen noch so unbekümmert geben: Auf dem zukünftigen Präsidenten Liberias, den seine Landsleute am Dienstag (11.10.2005) zeitgleich mit einem neuen Parlament wählen, lastet eine große Verantwortung. "Diese Wahl ist ein zentraler Meilenstein für die Zukunft Liberias", betont Wolf-Christian Paes, Liberia-Experte und Konfliktforscher am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC).
Chance für einen Neubeginn
Denn das Land an der Westküste Afrikas befindet sich in einem labilen Übergangszustand: Der Wahlsieger wird die seit Herbst 2003 amtierende Übergangsregierung von Gyude Bryant ablösen, der Korruption und Missmanagement vorgeworfen werden. Als der einstige Kriegsherr und spätere Präsident Charles Taylor im August 2003 aus Monrovia ins nigerianische Exil flüchtete, lagen 14 Jahre Bürgerkrieg mit mehr als 300.000 Todesopfern hinter Liberia. UN-Generalsekretär Kofi Annan warnte erst vor kurzem vor einem Rückfall des Landes in Krieg und Gewalt.
Die Liberia-Forscherin Judy Smith-Höhn vom Institut für Afrika-Kunde (IAK) in Hamburg sieht in den Wahlen deshalb auch eine Chance, sich von den Altlasten Taylors zu befreien. Sie rechnet mit einem ruhigen und fairen Ablauf der Wahlen: "Dafür werden nicht zuletzt die vielen internationalen Beobachter und die Anwesenheit der UN-Truppen sorgen."
Ist Weahs politische Unerfahrenheit ein Risiko?
George Weah, von seinen Landsleuten "King George" genannt, gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl. Der einstige Superstürmer des AC Mailand und Weltfußballer des Jahres 1995 ist für viele ein lebender Nationalheld. In politischer Hinsicht ist Weah allerdings ein "unbeschriebenes Blatt", sagt Paes. Viele Beobachter sehen darin ein Risiko. Auch IAK-Expertin Smith-Höhn ist skeptisch: "Weah hat keinerlei politische Erfahrung, dafür aber einige dubiose Gestalten und ehemalige Taylor-Anhänger als Berater."
Der Vorstandsvorsitzende der Initiative Südliches Afrika Paes sieht hingegen in der mangelnden Erfahrung des politischen Emporkömmlings, der erst vor einem Jahr in seine Heimat zurückkehrte, auch große Vorteile: Schließlich gäbe es in Liberia kaum Menschen, die wie Weah über eine makellose Oppositionsweste verfügen. "Da hat sich eigentlich jeder zu irgendeiner Zeit die Hände schmutzig gemacht."
Medienhype um "King George"
Dabei sei die Favoritenrolle, die George Weah zugeschrieben wird, vor allem ein Produkt der Medienberichterstattung, ist Paes überzeugt. Unter den übrigen 21 Kandidaten für das Präsidentschaftsamt werden auch Ellen Johnson-Sirleaf große Chancen eingeräumt. Die Bürgerrechtlerin und Ökonomin, die bei der Weltbank und den UN arbeitete, gilt als Wunschkandidatin der internationalen Gemeinschaft. Doch auch Johnson-Sirleaf hat eine befleckte Weste: Unterstützte sie doch für kurze Zeit Charles Taylor.
Voraussichtlich wird keiner der Bewerber im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit erreichen. Eine Stichwahl könnte dann voraussichtlich im November stattfinden.
Wiederaufbau hat oberste Priorität
Wer auch immer das Rennen um das Präsidentschaftsamt für sich entscheiden wird: Die Aufgaben für den zukünftigen Präsidenten stehen schon fest. Ganz oben auf der Agenda finden sich die Bekämpfung der Korruption und der Wiederaufbau des Landes. Die Strom- und Wasserversorgung funktioniert noch nicht einmal in der Hauptstadt Monrovia. "Die Verhältnisse sind unvorstellbar schlimm", betont Paes, der allein in den vergangenen zwei Jahren zwölf Mal vor Ort in Liberia war.
Internationale Gemeinschaft in der Pflicht
Dabei seien die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen seit Ende des Bürgerkriegs nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, sind sich die Liberia-Experten Paes und Smith-Höhn einig. Sie sehen jetzt vor allem die internationale Gemeinschaft in der Pflicht.
Zurzeit haben die UN 15.000 Soldaten in Liberia stationiert, deren Mandat im März 2006 abläuft. "Aber die UN-Soldaten müssen mindestens noch fünf Jahre bleiben", sagt Smith-Höhn. Sie leisteten wertvolle Arbeit bei der Entwaffnung und Reintegration ehemaliger Rebellen in die Gesellschaft.
Liberia-Forscher Paes befürchtet zudem, dass sich die internationale Gebergemeinschaft nach den Wahlen von Liberia abwenden könnte: "Liberia und Westafrika allgemein sind für die internationale Gebergemeinschaft nicht besonders sexy", sagt Paes. Dabei sei es vor allem schwierig, Geldgeber für so sensible und wichtige Sektoren wie "Sicherheit" und "gute Regierungsführung" zu finden. "Doch davon hängt die Zukunft des Landes ab."