Prekäre Lage der Hasara unter den Taliban
3. Januar 2022Die schiitische Minderheit in Afghanistan, zumeist Angehörige der Volksgruppe der Hasara, war und ist immer wieder Terroranschlägen ausgesetzt. Erst im vergangenen November wurden mindestens zwei Bewohner des schiitisch geprägten und von Hasara bewohnten Kabuler Vororts Dasht-e Barchi durch zwei Autobomben getötet und mehrere weitere verletzt. Im Mai kamen bei einem grauenvollen Anschlag vor einer Mädchenschule im selben Stadtteil 58 Menschen, darunter viele junge Schülerinnen, ums Leben; der Anschlag wird wie die meisten dieser Art dem afghanischen Ableger des "Islamischen Staats" (IS) zugeschrieben. Und nicht nur in Kabul nimmt er die Hasara ins Visier: Nach dem Anschlag am 15. Oktober in der Bibi Fatima-Moschee in Kandahar, bei dem 45 Menschen starben, drohten die islamistischen Fanatiker des IS, alle Hasara zu verfolgen, wo immer sie sich aufhielten.
Bedrängte Minderheit
In der Geschichte des 1919 gegründeten unabhängigen Staates Afghanistan seien die Hasara, eine vorwiegend turko-mongolische Volksgruppe, marginalisiert und verfolgt worden, sagt der Historiker Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Als Schiiten hätten sie in dem mehrheitlich sunnitischen Land - rund vier Fünftel der Afghanen sind Sunniten - seit jeher eine schwierige Position.
Der Druck auf die Minderheit verschärfte sich nochmals, als die fundamentalistisch-sunnitischen Taliban 1996 die Macht ergriffen. Die Hasara galten als "Ungläubige", wurden verfolgt und schikaniert. Mit dem Auftreten des afghanischen Ablegers des "Islamischen Staats" (der sich nach der historischen zentralasiatischen Region Khorasan "Islamischer Staat in Khorasan", IS-K, nennt) wurde die Bedrohung nochmals stärker, da der IS-K noch weitaus fanatischer als die Taliban gegen Schiiten und Hasara vorgeht.
Landraub
Taliban und IS sind zwar verfeindet, aber das hat sich bislang nicht günstig für die Hasara ausgewirkt. Im Gegenteil: Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge haben die Taliban im Oktober in mehreren afghanischen Provinzen Hasara-Angehörige gewaltsam aus ihren Gebieten vertrieben, um das Land an ihre eigenen Unterstützer zu verteilen.
"Die Taliban vertreiben Hasaras und andere Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer politischen Meinung, um Taliban-Anhänger zu belohnen", heißt es in einem Bericht von HRW. "Diese Vertreibungen, durchgeführt unter Androhung von Gewalt und ohne jegliches Gerichtsverfahren, sind schwerwiegende Verstöße, die einer kollektiven Bestrafung gleichkommen."
Dennoch sagten auf einem Treffen Ende November rund 1000 Hasaras der Taliban-Führung ihre Unterstützung zu. Sie seien "glücklich" über den Herrschaftswechsel in Afghanistan, erklärte sie. Die abgesetzte Regierung von Präsident Ashraf Ghani sei der "dunkelste Punkt" in der Geschichte Afghanistans gewesen, sagte Dschafar Mahdawi, ein hochrangiger Führer der Gruppe. Afghanistan habe keine echte Unabhängigkeit gehabt, zudem hätten ausländische Staaten über ihre Botschaften die Regierung beherrscht. "Gott sei Dank haben wir diese dunkle Zeit nun hinter uns gelassen", so Mahdawi. Dies ungeachtet der Ermordung mehrerer Hasara durch die Taliban, die als Sicherheitskräfte im Dienst der früheren Kabuler Regierung waren.
Schutz durch die Bedrücker?
Die Erklärung zeige vor allem die Notlage der Hasara, sagt Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Angesichts der Angriffe des IS haben sie nun ihre Unterstützung für die Taliban-Führung erklärt, von der sie sich Schutz erhoffen." Der Experte sieht auch die westlichen Staaten in der Verantwortung für den Schutz der Hasara: "Nach der Sowjetunion (in den 80er Jahren) haben auch letztere durch ihre Intervention (2001 und danach) zur schwierigen Situation in Afghanistan beigetragen." Derzeit liefen zahlreiche Gespräche, mit den Taliban ebenso wie mit den Nachbarstaaten, etwa Pakistan. Über diese Kanäle sollten die westlichen Staaten die Taliban zu einer Politik der Einbeziehung aller Ethnien anhalten, so schwierig das auch sei.