Viel Häme, wenig Verständnis
13. Oktober 2016Vor allem eine Menge Spott gießen Kommentatoren verschiedener Medien über Sachsen aus, über seinem Justizsystem, seiner Polizei, ja, seiner gesamten Staatsführung.
Zum Beispiel Florian Gathmann auf "Spiegel Online". Unter der Überschrift "Failed Freistaat" schreibt er: "Auch wenn wohl erst in den nächsten Tagen ans Licht kommen wird, wie das genau passieren konnte - es ist ein unfassbares Staatsversagen. Der Syrer al-Bakr hätte den Sicherheitsbehörden zum einen wichtige Informationen liefern können, gleichzeitig steht sein erfolgreicher Suizid für die Unfähigkeit staatlicher Institutionen. Es ist eine Blamage. Der (sächsische) Justizminister ist nach der al-Bakr-Pleite nicht mehr zu halten."
Die "Mittelbayerische Zeitung" aus Regensburg sieht Versagen auf allen Ebenen Sachsens: "Dies war leider nicht das erste Mal, dass Polizei und Justiz des Freistaates beim Einsatz gegen gefährliche Extremisten und Terroristen dramatisch versagten. Die jüngsten Sprengstoffanschläge von Dresden sind bislang nicht aufgeklärt. Und das Mördertrio NSU konnte jahrelang unbehelligt von Zwickau aus agieren. Hinter den vielen Pannen in Sachsen steckt offenbar kein böser Zufall, sondern eine unfähige und unwillige politische Leitung durch die Staatsregierung."
Auch die "Sächsische Zeitung" aus Dresden greift die eigene Landesregierung an, wenn auch verbunden mit einem kleinen Seitenhieb auf Kritiker: "Besserwisserei kann ausgesprochen nervig sein. Schlimmer als die ewigen Bescheidwisser und Schnell-Kommentierer sind aber die Sturköpfe, die stets darauf beharren, alles richtig gemacht zu haben. Sie weisen Kritik als 'Pauschalvorwurf' zurück, verbitten sich Einmischung und igeln sich ein. Sachsens Regierung handelt seit geraumer Zeit nach diesem Muster."
"Blamage für Deutschland"
Der "Münchner Merkur" betrachtet die Vorgänge in einem größeren Zusammenhang und meint sarkastisch: "In ihrem nimmermüden Abwehrkampf gegen die Geißel des islamistischen Terrorismus beschreitet Sachsens wackere Polizei innovative Wege: Sollen sich die IS-Bösewichter halt totlachen, wenn sie sich schon nicht fangen lassen. An slapstickreifen Polizeieinsatzszenen hat es zuletzt jedenfalls nicht gefehlt. Aber jetzt, nach dem Suizid des verhinderten Selbstmordattentäters Dschaber al-Bakr, ist Schluss mit lustig. Was sich deutsche Sicherheitsbehörden, aber auch Politiker seit über einem Jahr leisten, ist nicht zum Lachen. Sondern zum Fürchten. Nach dem Skandal der Kölner Silvesternacht ist das Totalversagen der Behörden in Sachsen der nächste schwere Schlag gegen das Sicherheitsgefühl der Bürger."
Die "Westfälischen Nachrichten" aus Münster meinen: "Allein mit gesundem Menschenverstand hätte man in Leipzig zu dem Schluss kommen können, dass man auf den mutmaßlichen Terroristen ein besonderes Augenmerk haben muss. Jetzt können die Ermittler ihre wichtigen Fragen nicht mehr stellen. Deutschland hat sich im internationalen Kampf gegen den Terror blamiert."
Das scheint auch der italienische "Corriere della Sera" aus Mailand so zu sehen. Er macht darauf aufmerksam, dass al-Bakr schon angedeutet hatte, sich das Leben zu nehmen, und kommentiert: "Er war deshalb unter ständiger Beobachtung oder hätte es zumindest sein müssen, und die Tatsache, dass er sich erhängen konnte, wirft Fragen über den Ablauf der Ereignisse und die Effizienz der Kontrollen auf."
Die Erfolge zählen nicht
Kommentator Jasper von Altenbockum in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat dagegen Verständnis für die Schwierigkeiten der Sicherheitsbehörden: "Der Selbstmord wurde, kaum dass er bekannt wurde, als weitere 'Panne' und als Zeichen für ein Versagen der sächsischen Justiz und Polizei gebrandmarkt. Es gehört zu den Begleitumständen spektakulärer Festnahmen, dass es so läuft: Nicht der Erfolg beschäftigt dann die veröffentlichte Meinung, sondern die Möglichkeit, einen gravierenden Misserfolg zu entdecken. Die Öffentlichkeit spielt sich in solchen Fällen gerne als die Institution auf, die hinterher immer klüger ist."
Das Blatt findet auch lobende Worte: "Es ist für die Sicherheitsbehörden in Sachsen in der Tat eine Niederlage, dass ein mutmaßlicher Täter, der ihnen erst entwischen konnte, dann, nach einer glücklichen Festnahme, in Haft Selbstmord begeht. Es bleibt aber auch einer der größten Fahndungserfolge im Kampf gegen den islamistischen Terror. Der wird nicht dadurch geschmälert, dass sich der Verdächtige das Leben genommen hat."
Der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt ist einer der wenigen, der bei dem Selbstmord von Dschaber al-Bakr auch von einer menschlichen Tragödie spricht. Auf "tagesschau.de" schreibt er: "Es ist unerträglich, dass heute Stimmen laut werden, die den Freitod als effiziente Lösung für einen möglichen Massenmörder ansehen. Es mag sein, dass der Mann in Deutschland ein Blutbad anrichten wollte. Aber zu den Stärken unserer Gesellschaft gehört, dass auch gegenüber unseren Feinden der Rechtsstaat gilt. Dazu gehört das faire Verfahren und der Schutz des Lebens. Wer darüber hinweggehen will, ist nicht besser, als die, die unsere Freiheiten angreifen wollen."
"Möge Gott uns und unsere deutschen Freunde schützen"
In den sozialen Medien findet man auch zahlreiche arabische Kommentare zum Selbstmord von Dschaber al-Bakr. May Nader in Ägypten schreibt auf Twitter: "Du hast Dein Land verlassen und in Deutschland Asyl gesucht, und anstatt dankbar zu sein, wolltest Du einen Flughafen in Deinem Gastland in die Luft sprengen. Selbst Dein Selbstmord bringt Dir keine Sympathien ein."
An eine Verschwörungstheorie glaubt offenbar Abood Horia aus Idlib in Syrien: "Als die jungen Syrer halfen, ihn (al Bakr) festzunehmen, zerstörten sie die Darstellung, die die deutsche Regierung vorbereitet hatte. Doch um die Akte zu schließen, gaben sie (die Deutschen) den Befehl, ihn zu töten. Wartet auf die nächsten Episoden des Films vom IS und den Deutschen. Alles, was hier geschieht, ist der Plan der Deutschen."
Kilze Mohammed Amin schreibt: "Vielleicht besaß dieser junge Mann viele Informationen, hatte Angst, man würde ihn zwingen, diese Informationen preiszugeben, und nahm sich das Leben, um diese Geheimnisse zu wahren." Amin endet seinen Tweet mit dem Wunsch: "Möge Gott uns und unsere deutschen Freunde schützen."