Presseakkreditierungen: Türkisches Gericht ermahnt Erdogan
23. April 2021Eines der höchsten Gerichte der Türkei - der Staatsrat - hat jüngst in einem Urteil entschieden, dass die Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstellte Behörde für Kommunikation Korrespondenten die Akkreditierung aus vagen oder willkürlichen Gründen nicht weiter verweigern darf.
Druck auf Journalisten nimmt zu
Die zweitgrößte Journalistenvereinigen des Landes, Çağdaş Gazeteciler Derneği (ÇGD), hatte gegen Presseausweis-Verordnungen geklagt. Das hohe Gericht prüfte den Antrag und entschied, dass Presseausweise nicht aus vagen und willkürlichen Gründen wie "Verletzung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung" oder unter Verweis auf die "Schädigung der beruflichen Ehre des Journalismus" verweigert werden dürfen.
"Das Embargo ist juristisch aufgehoben"
Onur Can Keskin, der Anwalt der Journalistenvereinigung ÇGD, sagte der DW, dass die Entscheidung des Staatsrates unverzüglich umgesetzt werden müsse: "Die Entscheidung des Gerichts ist bindend. Die Verwaltung muss sich an die Entscheidung halten", so Keskin. Problematisch sei, dass nicht bekannt sei, aus welchem Grund die meisten bestehenden Anträge abgelehnt wurden. Bei der Ablehnung der Anträge konnte oft die Begründung nicht nachvollzogen werden.
Nach der gerichtlichen Entscheidung dürfen Akkreditierungsanfragen nicht länger unter dem Vorsatz "in Prüfung" aufgehalten werden. In den letzten zwei Jahren wies die besagte Behörde 1238 Akkreditierungen zurück und verweigerte in 1372 Fällen eine Verlängerung - darunter befanden sich auch türkische Mitarbeitende der Deutschen Welle, deren Anträge mit Verweis auf den Status "in Prüfung" hinausgezögert wurden.
Nach einem Bericht von Reporter ohne Grenzen sind schätzungsweise 95 Prozent der türkischen Medien unter der Kontrolle der Regierung. Der erschwerte Zugang zu Presseausweisen stellt ein weiteres Hindernis für Journalisten dar. Weil Akkreditierungen von der Regierung eingezogen werden, auslaufen oder Anträge unbeantwortet bleiben, können viele Journalisten ihrer Arbeit nicht nachgehen.
In vielen Ländern der Welt werden Presseausweise von Berufsverbänden oder Gewerkschaften ausgestellt. In der Türkei war bis 2018 die Generaldirektion für Presse und Informationen für Akkreditierungen zuständig – auch diese Behörde stand der Regierung nahe. Dennoch wurden keine Verstöße festgestellt; auch weil Vertreter von Journalistenorganisation in der Behörde tätig waren.
Eine neues Druckmittel für Journalisten: Presseausweis-Embargo
Im Jahr 2017 wurde das präsidentielle Regierungssystem eingeführt, was dazu führte, dass Akkreditierungen der präsidentiellen Behörde für Kommunikation – und somit Erdogan - unterstellt wurden. Fahrettin Altun, der viele Jahre die kontroverse Denkfabrik SETA leitete, wurde Direktor der neuen Behörde. Seitdem ist die Ausstellung von Presseausweisen vollständig unter der Kontrolle des Präsidentenpalastes.
Seit die präsidentielle Behörde die Kontrolle übernommen hatte, wurden vage Rechtfertigungen herangezogen, um Anträge von Journalisten abzulehnen. Es sei "die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung gefährdet" oder es sei "der Ehre des Journalismus geschadet worden", lauten häufig die Begründungen. Der Kommunikationsdirektor Altun nutzte diesen Hebel, um Oppositionsjournalisten, die unliebsame Inhalte veröffentlichten, an ihrer Arbeit zu hindern.
Korrespondenten als "Terroristen" gebrandmarkt
Während viele Medien mit rechtlichem und finanziellem Druck zu kämpfen haben, werden Journalisten wegen kritischer Veröffentlichungen oder Einträgen in den sozialen Netzwerken von der Regierung zu Terroristen erklärt.
Anträge von Journalisten der Türkisch-Redaktion der Deutschen Welle erhielten den Status "in Prüfung". Die Anträge liegen teilweise sechs Monate auf Eis. Schriftliche Nachfragen blieben unbeantwortet.
Warum sind die Akkreditierungen so wichtig?
Journalisten, die in der Türkei keinen Presseausweis haben, werden vom Staat nicht als Journalisten angesehen. Sie können von der Polizei daran gehindert werden, Straßeninterviews durchzuführen oder gesellschaftlichen Ereignissen beizuwohnen, wenn sie keinen Presseausweis haben. Oft lassen Behörden Anfragen für Information oder Interviews unbeantwortet. Sie sind zu Veranstaltungen der Regierung nicht zugelassen, wie beispielsweise Pressekonferenzen von Ministern oder des Präsidenten.
Zwar müsste die Entscheidung des Staatsrats unverzüglich umgesetzt werden, da sie bindend ist. Doch die ersten Aussagen der präsidentiellen Behörde für Kommunikation zeigen, dass nicht beabsichtigt ist, dem Urteil Folge zu leisten.
Behördenchef Fahrettin Altun stellte in einer Erklärung nach Veröffentlichung des Gerichtsurteils die Journalisten, denen keine Akkreditierung ausgestellt wurde, erneut mit Terroristen gleich: "Solange wir im Dienst sind, werden wir diejenigen bekämpfen, die Terrorismus betreiben und 'Propaganda' unter dem Deckmantel 'Journalismus' betreiben. Terrorliebhaber sollten sich nicht umsonst freuen". In seiner Erklärung sagte Altun auch, dass seine Behörde damit begonnen hätte, die vom Staatsrat kritisierten Regeln "besser" zu machen.
MLSA: Der Druck wird nicht abebben
Veysel Ok von der Media and Law Studies Association (MLSA) bewertete die Aussagen gegenüber der DW mit folgenden Worten: "Der Staatsrat hat mit seiner jüngsten Entscheidung festgestellt, dass der Presseausweis nicht als Instrument dafür dienen darf, um Journalisten unter Druck zu setzen. Der Schatten der präsidentiellen Behörde für Kommunikation und des Präsidenten, der über Journalisten schwebt, muss also aufgehoben werden. Wie man jedoch an den Aussagen von Fahrettin Altun sehen kann, hat die Regierung bereits Maßnahmen ergriffen, um neue und strengere Regelung zu treffen. Offensichtlich wird die Regierung nicht aufhören, illegale Wege zu beschreiten, um den Druck auf Journalisten zu erhöhen".
RSF: Internationaler Druck ist das richtige Mittel
Auch Erol Önderoğlu von Reporter ohne Grenzen (RSF) hat ähnliche Bedenken. Er weist darauf hin, dass die derzeitige Verordnung "den Eindruck erweckt, dass Journalisten, die auf Akkreditierungen warten, unerwünscht sind und dass sie sich genau überlegen sollen, was sie publizieren". Der RSF-Vertreter hält internationalen Druck für das richtige Mittel, um das Vorgehen der Regierung zu beenden.