Pressefreiheit in Deutschland in Gefahr?
31. Juli 2015Markus Beckedahl ist nicht irgendein Journalist der deutschen Medienszene. Sein Blog "Netzpolitik.org" war eines der ersten und ist derzeit wohl das erfolgreichste seiner Art in Deutschland. Beckedahl erhielt dafür schon Preise und Ehrungen. Seine Meinungsmacht im Internet in Deutschland ist also nicht zu unterschätzen.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass gegen Beckedahl Generalbundesanwalt Harald Range ermittelt, der Chef von Deutschlands oberster Anklagebehörde. Vorwurf: Landesverrat. Auslöser war ein Bericht von Netzpolitik.org über eine geplante Ausweitung der Internetüberwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dabei hatte das Blog auch interne Dokumente des Inlandsgeheimdienstes veröffentlicht.
Der Verdacht, Landesverrat begangen zu haben, trifft die Internet-Szene ins Mark. Auch weil "Landesverrat" nun einmal kein Bagatell-Delikt ist. In anderen Staaten steht darauf schließlich die Todesstrafe. Die gibt es in Deutschland zum Glück nicht mehr, eine lebenslange Freiheitsstrafe aber wäre schon möglich. Aber der Anklagepunkt gegenüber Journalisten hat schon einmal, nämlich 1962 eine Regierungskrise ausgelöst, nachdem das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" dem Vorwurf ausgesetzt war.
Proteststurm entfacht
Dieses Mal geht es um Papiere des Verfassungsschutzes, die Beckedahl und sein Kollege André Meister veröffentlicht haben. Die beiden Blogger hatten das Material von Informanten zugespielt bekommen. Daraus soll hervorgehen, dass der Verfassungsschutz plante, eine spezielle Spionage-Einheit ins Leben zu rufen: 75 Mitarbeiter - so die Netzpolitik.org-Schlussfolgerung - sollten für den Geheimdienst das Internet und Soziale Medien überwachen.
Der Vorgang war bereits im April in dem Blog zu lesen, hatte damals aber zu keinem großen Aufschrei geführt. Was damit zusammenhängen könnte, dass die deutsche Öffentlichkeit seit geraumer Zeit regelmäßig und immer neue Enthüllungen zu hören bekommt, wie sehr Massenüberwachung im Internet Realität ist. Und wie wenig Erfolge die Regierung vorweisen kann, dem einen Riegel vorzuschieben - wenn sie es denn überhaupt vorhaben sollte.
In allen Medien drückten viele deutsche Journalisten am Freitag ihre Empörung und ihre Solidarität aus. Der Tenor vieler Kommentarspalten - auch bei DW.com - ist gleich und lautet: Die Journalisten interpretieren das Vorgehen als Angriff auf die Pressefreiheit. Die Protestwelle sei ein "Ritterschlag" für die Blog-Macher, schrieb der "Spiegel" in seinem Online-Angebot.
Unterstützt wurden die Journalisten von Politikern der Oppositionsparteien. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses, die Grünen-Politikerin Renate Künast, nannte die Ermittlungen eine "Blamage für den Rechtsstaat". Es gebe ein "massenhaftes Ausspähen" durch die NSA. "Und da passiert gar nichts." Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Jan Korte, warf Range vor, sich zum Häscher der Bundesregierung zu machen.
Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meldete sich zur Wort. Auf Facebook schrieb die FDP-Politikerin, das ganze Verfahren "riecht förmlich nach Einschüchterung von kritischer Berichterstattung".
Viele Proteste im Netz
Auf Twitter kann das Geschehen unter dem Hashtag #landesverrat verfolgt werden. Die Petitionsplattform Change.org stellte am Freitagvormittag eine Petition online. Mit der Forderung, das Verfahren wegen Landesverrat einzustellen. Innerhalb weniger Stunden schlossen sich 27.000 Unterstützer an. Für Samstag wurde aber auch zu einer Straßendemonstration "Pressefreiheit statt Geheimhaltung" in Berlin aufgerufen.
Auch zu lesen sind bei Twitter besorgte Meinungen über die Außenwirkung der Geschehnisse.
"Wie erkläre ich das jetzt nur meinen türkischen Journalisten-Kollegen?" fragt Oezlem Topcu in dem Kurzmittteilungsdienst. Und Twitter-Nutzer oxy833 schlägt vor, dass der chinesische Außenminister auf seiner Reise die "Bürgerrechtsproblematik in Deutschland" ansprechen solle.
"Generalbundesanwalt hat Lage unterschätzt"
Am Nachmittag dann die Kehrtwende: Gemeldet wurde, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org ruhen lassen wolle. Der Jurist und Journalist Constantin Baron van Lijnden von "lto.de", einem tagesaktuellem juristischen Online-Magazin, hält den Range-Rückzieher für "bemerkenswert".
Der vom Generalbundesanwalt angeführte Grund, "das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit", sei kein ordentlicher und inkonsequent. Schließlich sei das kein neuer Tatbestand, sagte van Lijnden im DW-Interview. Viel mehr habe Range wohl das Ausmaß der möglichen Kritik an seinen Ermittlungen unterschätzt und wolle die Lage jetzt beruhigen. Aber an der Sache an sich habe sich nichts geändert. Die Ermittlungen könnten "in fünf Minuten" auch wieder aufgenommen werden.
"Ranges Worte sind nichts anderes als Beruhigungspillen", schreibt Jurist Udo Vetter in seinem "law blog". "Tatsächlich sind sie sogar nur Placebos - denn am Beschuldigtenstatus der Betroffenen hat sich bislang rein gar nichts geändert. "
Publizistischer Landesverrat?
Aktuell hervorzuheben sei, dass in Deutschland überhaupt Journalisten wegen Landesverrats bestraft werden können, so Constantin van Lijnden weiter. In den USA zum Beispiel ginge das nicht. Zwar könne der Whistleblower Edward Snowden wegen Geheimnisverrats belangt werden, nicht aber die Journalisten, die darüber berichten. Auch der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, Ulrich Schellenberger, forderte eine Abschaffung des "publizistischen Landesverrats".
Sollte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen doch fortführen und damit auch noch Erfolg haben, wäre dies ein großer Schaden für Whistleblower und die Pressefreiheit, schreibt die netzpolitische Sprecherin der Linken, Halina Wawzyniak. Jede Veröffentlichung geheimer Unterlagen und das Bereitstellen dieser wäre dann potentiell Landesverrat. Das wäre nicht anderes als "ein Maulkorb für Journalisten".
"Eines hat die Bundesanwaltschaft mit ihren außergewöhnlichen Vorgehen, das in diametralem Gegensatz zu ihrer demonstrativen Hemmung in Sachen NSA-Überwachung steht, allerdings schon erreicht", schreibt der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar: "Eine Verunsicherung des Vertrauens - nicht nur bei Journalisten - in das Funktionieren unseres Rechtsstaats."
Der Schuss ging nach hinten los
Am späten Nachmittag meldete sich dann auch Bundesjustizminister Heiko Maas zu Wort - Ranges Vorgesetzter. Er habe dem Generalbundesanwalt seine Einschätzung übermittelt, dass es sich wohl eher nicht um Landesverrat handele. Deshalb begrüße er die Ankündigung, die Ermittlungen ruhen zu lassen. Der Bundesjustizminister überlegt nun sogar, ob die strafrechtlichen Vorschriften über Landesverrat und über den Schutz von Staatsgeheimnissen im Verhältnis zur Pressefreiheit insgesamt reformbedürftig sind.